Der deutsche Autor Reiner Engelmann erzählt in dem biografischen Roman “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse” die Geschichten eines Zeitzeugens, der im Konzentrationslager Schreckliches erleben musste und zugleich gezwungen war seinem erlernten Beruf nachgehen und das Leid der Menschen zu dokumentieren. Heftig, erschreckend und wahr. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für interessierte Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren.
Wilhelm Brasse kam am 3. Dezember 1917 in Zywiec in Polen zur Welt. Seine Mutter war eine Polin, sein Vater ein Österreicher, weswegen er sowohl deutsch als auch polnisch sprach. In seiner Heimatstadt machte er eine Ausbildung zum Fotografen und ging für einige Zeit nach Kattowitz, um in dem Fotoatelier seines Onkels zu arbeiten. Als der zweite Weltkrieg begann, rechnete Wilhelm Brasse damit eingezogen zu werden, und kehrte nach Zywiec zurück. Bei einem Volksbefragung hatte er die Möglichkeit die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, doch er lehnte ab. Er war Pole und das wollte er auch bleiben. Selbst als ihn dadurch gesellschaftliche Nachteile entstanden, selbst als er nach einer Flucht (um sich der Widerstandsbewegung anzuschließen) gefasst wurde und ins Gefängnis kam und dort die Wahl hatte für die Deutschen zu kämpfen und deswegen frei zu kommen, weigerte er sich. Dann wurde Wilhelm Brasse in das Konzentrationslager Auschwitz verlegt. Nach mehreren Arbeitseinsätzen landete er schließlich im Erkennungsdienst, wo er die Gefangenen fotografieren musste…
“Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse” ist zwar in Romanform geschrieben, jedoch in einem eher sachlichen und dokumentarischem Erzählton gehalten. Dadurch bekommt der Leser einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse zu jener Zeit, die oft sehr detailliert sind und durch Fotografien (teilweise von Wilhelm Brasse) ergänzt werden. Reiner Engelmann blendet nichts aus und verschönert keine Tatsachen, er berichtet ganz genau, welche Grausamkeiten Wilhelm Brasse miterleben musste. Für ein Jugenbuch ist das manchmal ganz schön heftig, also nichts für Zartbesaitete. Das Buch beginnt mit einem Vorwort von Max Mannheimer und einem Prolog des Autoren Reiner Engelmann: “Das vorliegende Buch, in dem das Leben von Wilhelm Brasse nacherzählt wird, basiert auf Interviews, die ich einige Monate vor seinem Tod mit ihm geführt habe. Aber auch auf Recherchen im Stammlager Auschwitz, in den Gebäuden, in denen er leben musste, im Fotoatelier, in dem er gearbeitet hat.” (Zitat aus “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse” Seite 11).
Auch werden viele Persönlichkeiten erwähnt, deren einzelne Biografien im Anhang nachzulesen sind. Ebenfalls viele Fachbegriffe werden im hinteren Teil erklärt. Sowohl diese als auch die Personen sind mit Sternen gekennzeichnet, so dass man während des Lesens mal schnell nach hinten blättern kann, um genauere Informationen zu erhalten. Sehr bewegend ist, wie Wilhelm Brasse sich für die Gefangenen, die er fotografieren muss, einsetzt. Wird ein Häftling beispielsweise geschlagen, sagt er, dass solche Sachen hier beim Erkennungsdienst nicht geduldet werden, auch auf die Gefahr hin, dass sich jemand über ihn beschweren könnte. “Und zu den Häftlingen gewandt: “Verhaltet euch ruhig, euch passiert hier nichts.” Er wollte, dass die Gefangenen in dieser kurzen Zeit, in diesen wenigen Minuten, in denen er mit ihnen alleine war, nichts zu befürchten hatten. Wenigstens für diese Augenblicke sollten sie das Gefühl haben, sicher zu sein.” (Zitat aus “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse” Seite 58). Insgesamt hat Wilhelm Brasse bis zu 50.000 Menschen fotografiert, sogar SS-Leute kamen zu ihm, um sich porträtieren zu lassen. Auch die medizinschen Experimente von Dr. Mengele musste er ablichten, etwas, das er nie mehr vergessen konnte.
Gegen Ende des Krieges, als das Konzentrationslager kurz davor stand befreit zu werden, sollten alle Fotografien vernichtet werden. Doch es gelang Wilhelm Brasse einen Teil davon zu retten, um Zeugnis darüber abzulegen, was diesen Menschen Furchtbares angetan wurde. Nach seiner Befreiung kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Über die Zeit in Auschwitz hat er nie viel gesprochen, nicht einmal mit seiner Frau, die er später kennenlernte (um sie nicht damit zu belasten). In seinem Beruf als Fotograf konnte er nach einer Weile nicht mehr arbeiten. Die Erinnerungen an die KZ-Zeit waren zu stark, dass er bald nicht einmal mehr den Auslöser drücken konnte. Erst Jahre später gab er seine komplette Geschichte preis, es wurden unter anderem ein Dokumentarfilm über ihn gedreht (“Der Porträtist”) und mehrere Bücher über ihn geschrieben.
Über Wilhelm Brasse gibt es noch zwei andere Romane, die allerdings nur für Erwachsene sind: “Wilhelm Brasse : der Fotograf von Auschwitz” von Luca Crippa und “Drei tränenlose Geschichten” von Erich Hackl. Jugendbücher von Rainer Engelmann sind unter anderem: “Anschlag von rechts” oder schon etwas älter: “Zivilcourage jetzt”, “Frei und gleich geboren: Ein Menschenrechte-Lesebuch”, “Dass wir heute frei sind: Ein Amnesty-International-Lesebuch” und “Keiner hat was gesehen: Texte über Gewalt an der Schule”. Das neueste Buch von ihm, das sich ähnlich dokumentarisch/erzählerisch liest, ist “Der Buchhalter von Auschwitz: Die Schuld des Oskar Gröning” — die wohl beste Alternative zu dem hier rezensierten Buch. Jugendbücher über den Holocaust, die nicht ganz so grausam geschildert sind, sind “Der Junge im gestreiften Pyjama” von John Boyne (ein brillantes Werk!) oder “Ich habe den Todesengel überlebt” von Eva Mozes Kor und Lisa Rojany Buccieri (v.a. über die Mengeles-Experimente) und “Der Klang der Hoffnung” von Suzy Zail (sehr bewegend). Wie mutig manche Menschen im Zweiten Weltkrieg waren, zeigt zum Beispiel ebenso Phillip Hoose in “Sabotage nach Schulschluss: Wie wir Hitlers Pläne durchkreuzten”. Bewegend fand ich auch “Wir sind die Adler: Eine Kindheit in Theresienstadt” von Michael Gruenbaum & Todd Hasak-Lowy.
Bibliografische Angaben: Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-31236-0 Erscheinungsdatum: 10.September 2018 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,99€ Seitenzahl: 192 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: - Fernsehbericht über Wilhelm Brasse:
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------------------------------------------- 2. Bild von oben: „Czeslawa-Kwoka“ von Original uploader was Poeticbent at en.wikipedia - The original photograph is credited to Wilhelm Brasse; Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons