Der deutsche Autor Reiner Engelmann hat ein weiteres Buch über den Holocaust geschrieben: “Der Buchhalter von Auschwitz: Die Schuld des Oskar Gröning”. Diesmal widmet er sich erstmals der Perspektive des Täters zu, anstatt nur aus der Sicht des Opfers zu schreiben. Er rückt Oskar Gröning, der letztes Jahr erst verstorben ist, in den Mittelpunkt seines biografischen Buches. Eine Geschichte über Schuld, das Leben in Auschwitz und den Werdegang eines Mannes, der sich nur als kleines “Rädchen im Getriebe” sah, nicht aber als Täter. Ein erschreckendes, heftiges — aber ein wichtiges Buch. Nun neu als Taschenbuch erschienen. Für reife Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Oskar Gröning wurde in Nienburg geboren und begann als 17-jähriger eine Ausbildung als Bankkaufmann. Als Mitglied der Hitlerjugend schloss er sich schließlich auch der Waffen-SS an. Wollte teilhalben an der Macht, auf der Siegerseite stehen. Mit 21 Jahren erhielt er einen ganz besonderen Auftrag, der es sogar verlangte, dass er eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieb. Er landete in Auschwitz. Dort im Konzentrationslager wurde er aufgrund seiner beruflichen Ausbildung als Buchhalter eingesetzt. Er zählte das Geld, das den Häftlingen abgenommen wurde. Er überwachte auch die Gepäckstücke an der Rampe, wenn neue Transportwägen mit Juden eintrafen. Damit niemand sich daran bereicherte. Dass Menschen in den Krematorien starben, das bekam Oskar Gröning mit. Ebenso andere Grausamkeiten. Aber die Juden waren eben der Feind. Und es war nun mal Krieg. “Er hatte schnell gelernt, die Unannehmlichkeiten des Lagers entweder auszublenden oder erst gar nicht hinzusehen. Mit dem Hunger und dem Tod der Häftlinge hatte er ja nichts zu tun. Er, Oskar Gröning, war doch nur für das Geld verantwortlich. Und diese Aufgabe erfüllte er gewissenhaft.” (Zitat S.47) Doch viele Jahre später wird er sich vor Gericht dafür verantworten müssen…
Harte Kost erwartet den Leser in “Der Buchhalter von Auschwitz: Die Schuld des Oskar Gröning”. Das Buch ist im Grunde kein wirklicher Roman, sondern eher ein Sachbuch. In mehreren Teilen und Kapiteln erzählt Reiner Engelmann Oskar Grönings Lebensgeschichte bis zu seiner Zeit in Auschwitz, aber auch noch seinen Werdegang danach. Die Erzählungen sind nicht immer chronologisch, mal gibt es Einschübe, die bestimmte Ereignisse genauer beschreiben. Das ist nicht unbedingt verwirrend, aber manche Dinge werden daher aus unterschiedlichen Blickwinkeln mehrmals beleuchtet. Vor allem, da im zweiten Teil des Buches neben der Perspektive des Täters — auch die eines Opfers beschrieben wird: die Jüdin Éva Fahidi wird hier in den Mittelpunkt gestellt. Im dritten und letzten Teil werden der Prozess gegen Oskar Gröning und die Gerichtsurteile behandelt. Ebenso wird die Frage geklärt, warum es so spät erst zu einer Anklage kam. Äußerst hilfreich beim Lesen fand ich die mit einem Sternchen markierten Wörter, die im anschließenden Glossar näher erläutert werden. Fachbegriffe, aber auch vor allem Namen, zu denen man ausführliche Kurzbiografien finden kann. Das Bildmaterial, das sich über viele Seiten erstreckt, veranschaulicht außerdem noch deutlicher die Zustände der damaligen Zeit. Jedoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass dies kein Buch ist, das ausblendet oder verschönert. Reiner Engelmann konfrontiert seine Leser mit der schonungslosen Wahrheit und mit manch heftigen Szenen. Zum Beispiel schildert er, wie ein kleines Baby brutal g
etötet wird oder ein zehnjähriger Junge Konservendosen auf Kopf und Schultern gestellt bekommt, auf die geschossen wird, bis ein gezielter Schuss schließlich in sein Gesicht trifft. Am Ende folgt nach einem kurzen Epilog noch ein Nachwort des Autors.
Fazit: Ein wichtiges Thema, das nicht in Vergessenheit geraten darf, unterhaltsam und gut recherchiert aufbereitet. Für Leser, die bereit sind sich mit einem bedeutsamem Stück Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Übrigens: Oskar Gröning wurde zu einer Haftstrafe von 4 Jahren verurteilt, wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen. Trotz mehrerer Gnadengesuche, die abgelehnt wurden, sollte er ins Gefängnis kommen. Kurz vor seinem Haftantritt dieses Jahr verstarb er jedoch im Krankenhaus. Sein Fall erhielt zuvor besondere mediale Aufmerksamkeit, da er der erste noch lebende SS-Mann war, der aufgrund einer sich veränderten Rechtslage zur Beihilfe am Mord verurteilt wurde. Die bisherigen Urteile trafen nur Menschen, die nachweislich selbst getötet hatten. Jedoch wird Oskar Gröning aufgrund seines Alters — er starb mit 96 Jahren — vermutlich auch einer der letzten Verurteilten sein.
Wenn du noch mehr Bücher von Reiner Engelmann über den Holocaust lesen möchtest, greif zu “Wir haben das KZ überlebt: Zeitzeugen berichten” und “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse”. Eine Neuerscheinung von ihm ist “Alodia, du bist jetzt Alice!”. Andere Jugendbücher von ihm sind: “Anschlag von rechts” oder schon etwas älter: “Zivilcourage jetzt”, “Frei und gleich geboren: Ein Menschenrechte-Lesebuch”, “Dass wir heute frei sind: Ein Amnesty-International-Lesebuch” und “Keiner hat was gesehen: Texte über Gewalt an der Schule”. Dich interessiert das Thema Holocaust? In diesem Special findest du viele Bücher darüber! Sehr empfehlen kann ich “28 Tage lang” von David Safier, “Der Klang der Hoffnung” von Suzy Zail, “Der Junge auf dem Berg” von John Boyle und “Ich habe den Todesengel überlebt” von Eva Mozes Kor/Lisa Rojany.
Bibliografische Angaben:Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-31293-3 Erscheinungsdatum: 9.September 2019 Einbandart: Taschenbuch Preis: 8,99€ Seitenzahl: 224 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
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