“Exilium” ist ein Thriller des österreichischen Autoren Colin Hadler. Er entführt in eine Welt, in der ein Junge mit einem künstlichen Hightech-Arm einer Verschwörung auf die Spur kommt. Werden in seiner Stadt wirklich Experimente an Menschen gemacht? Menschen, denen ein Chip eingepflanzt wird, der sie willenlos macht? Eine Geschichte über eine gläserne Gesellschaft, Überwachung und die Macht der Technik, aber auch Werte wie Freundschaft und Menschlichkeit. Äußerst fesselnd und mit einem wirklich angenehmen Erzählstil geschrieben. Dazu sehr actionreich, aber dennoch mit Tiefgang. Außerdem hat der Autor einige raffinierte, überraschende Wendungen parat! Perfektes Lesefutter für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Vor zwei Jahren ist Lennox’ Schwester bei einem Autounfall gestorben. Seitdem ist für den nun 17-jährigen nichts mehr so wie es einmal war. Oft plagen ihn Alpträume. Seine Mutter ist meistens in einer Klinik und den Draht zu seinem Vater, der sich in Arbeit verkriecht, hat er auch völlig verloren. Dafür liebt Lennox das Hacken. “Mit dem Hacken habe ich angefangen, da war ich sieben. Die virtuelle Welt war mein Stofftier, mein sicherer Hafen, an dem ich anlegen konnte, wenn mich die Realität erdrückt hat.” (Zitat aus “Exilium” S.15) Denn seit dem Autounfall hat Lennox eine künstliche Prothese. Sein Arm sieht aus wie der eines Roboters und er hat ihn selbst mit allerlei technischem Schickschnack aufgerüstet. “Ich bin eine wandelnde Karaokebar. Eine Alarmanlage. Ein moderner Frankenstein. Manchmal habe ich den Eindruck, meine Hand fühlt mehr als mein Herz.” (Zitat S.29) Freunde hat Lennox nur einen einzigen. Dorian. Mit dem er manchmal sinnlose Streiche spielt, indem er zum Beispiel sämtliche Bildschirme eines Einkaufscenters hackt und mit Tierfilmen bespielt. Desöfteren hat er dafür schon Ärger bekommen. Doch nun wird sein Leben völlig auf den Kopf gestellt, als seine Nachbarin Tessa ihn einiges Tages anspricht und auf eine Verschwörung in seiner Stadt aufmerksam macht. “Ich habe etwas gefunden”, sagt sie knapp. “Etwas, das ich nicht hätte finden sollen. Und nun muss ich den Preis dafür bezahlen. Ich bin in dieser Stadt nicht mehr sicher. […] Menschen werden sterben, Lennox. Deine Familie, Dorian, Nia. Aber man kann es noch aufhalten. Du kannst es noch aufhalten.” (Zitat S.36) Tessa glaubt, dass ihr bald etwas zustoßen wird. Sie gibt ihm eine Karte mit ein paar Koordinaten. Lennox weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Er ist ohnehin gerade damit beschäftigt sich Gedanken über ein Mädchen an seiner Schule zu machen, die ihm eine Karte ins Schließfach geschmissen hat und ihn treffen will. Sie heißt Nia und gefällt ihm äußerst gut. Aber dann wird Tessa tatsächlich tot auf gefunden und Lennox beschließt an den Ort zu gehen, dessen Koordinaten Tessa ihm vor ihrem Tod gegeben hat. Auf einem abgeschirmten Gelände im Wald trifft er zusammen mit Nia in einer Halle auf eine Frau, die von Wissenschaftlern belagert wird. “Jemand experimentiert an Chips herum. Im Grunde nichts Neues, aber… du hast es selbst gesehen. Sie überschreiten Grenzen. Und die Frau auf dem Stuhl hat bestimmt nicht freiwillig dort gesessen. Ich will gar nicht wissen, was sie schon alles mit ihr angestellt haben. Oder was mit so einem neuartigen Chip möglich ist.” (Zitat S.84) Der große Technikkonzern “Exilium”, der die Fäden in der Stadt zusammenhält, scheint mit alldem zu tun zu haben. Und Lennox findet heraus, dass sogar sein Vater für “Exilium” arbeitet. Bald wird Lennox gnadenlos gejagt. Weil er zu viel weiß…
Das Cover ist ansprechend gestaltet und passt sehr gut zum Kontext des Thrillers. Dieser beginnt mit einem Prolog, auf welchen interessanterweise noch zwei weitere Prologe zu späteren Zeitpunkten folgen;-) Manches in “Exilium” ist einfach erfrischend anders. Colin Hadler ist definitiv ein neuer Stern am Jugendbuchthrillerhimmel, eine moderne Erzählstimme, die sich zu lesen lohnt. Er hat einen wunderbar lässigen Erzählstil: “Warum Dorian und ich beste Freunde sind, ist schwer zu sagen. Manche Dinge passieren eben einfach. An dem einen Tag rutscht man in der Dusche aus, am anderen donnert man gegen eine Straßenlaterne — und ja, ich hatte plötzlich Dodo an der Backe.” (Zitat S.12), bietet jede Menge spritziger Dialoge, die zielgruppengerecht und höchst unterhaltsam sind, dazu einige gelungene Überleitungen. “Ich bin mir nie sicher, ob deine Katze überfahren wurde oder ob das dein normaler Gesichtsausdruck ist”, sagt Dorian […] “Du weißt doch, dass ich keine Katze habe”, murmle ich und nehme einen Schluck von meinem Softdrink. “Keine Katze, keine Nerven, keinen Appetit”, ergänzt Dorian. “Nenn mir eine Sache, die du hast.” Kopfschmerzen, denke ich und werfe einen Blick zu den anderen Tischen. Die gestressten Familien mit ihren schreienden Babys sind kaum auszuhalten.” (Zitat S.10) Der Thriller spielt in einer unbekannten Zeit, die durchaus die unsere sein könnte und in einer fiktiven Stadt namens Libea. Das Setting geht hierbei aber nicht allzu sehr in die Tiefe. “Libea ist atemberaubend. Und das liegt nicht nur an den Abgasen, die einen in den Seitengassen kaum Luft holen lassen. Riesige Leinwände thronen hoch oben an öffentlichen Platzen — an den Fassaden der Wolkenkratzer. […] Hier unten, am Boden ist die Welt eine andere. Heruntergekommene Imbissbuden, Zeitungsverkäufer, beleuchtete Schaufenster und rauchende Taxifahrer. Sie beleben eine Metropole, die niemals zum Stillstand kommt.” (Zitat S.23) Es könnte also eine beliebige Großstadt unserer heutigen Zeit sein. Lennox als Charakter ist sehr gut getroffen. Er berichtet durchgehend in der Ich-Perspektive. Ein eher zurückgezogener Jugendlicher, der sich in virtuelle (Hacker-)Realitäten flüchtet, den Tod seiner Schwester nicht wirklich verarbeitet hat und ungern Gefühle zeigt. “Nüchtern betrachtet bin ich nämlich eher ein Durchschnittstyp. Magerer Körperbau und schwarzes Haar, das ich mir an den Spitzen Blau gefärbt habe. Meine Klamotten sind schlicht, meist einfarbig” (Zitat S.16) Doch durch Tessas Offenbarungen wird in Lennox’ Leben plötzlich alles ganz anders. Er muss aus seiner Komfortzone ausbrechen und sich tatsächlich mit einem riesigen Konzern anlegen. Doch aufgrund von Freundschaft und auch einer langsam aufkeimenden Liebe (kleine Lovestory inklusive), aber auch jeder Menge heldenhafter Ambitionen funktioniert das David-gegen-Goliath-Prinzip und Lennox wächst über sich hinaus, macht eine glaubhafte Wandlung durch. Spannungstechnisch wird man als Leser*in hierbei ordentlich auf Trab gehalten. Auch ein paar fiese Cliffhänger am Ende des Kapitels durchziehen den Thriller, beispielsweise als Lennox eine schriftliche Einladung von Nia in seinem Schließfach findet und zu ihrem vorgeschlagenen Treffpunkt kommt: “Nia mustert mich mit einem Blick, den ich nur schwer deuten kann. Sie öffnet den Mund, kneift die Augen zusammen und fragt: “Wer bist du?” (Zitat S.44) An manchen Stellen hätte ich mir noch gerne mehr über die Hintergründe/Machenschaften des Konzerns gewünscht, hier hätte die Dramatik noch etwas erhöht werden können. Was genau stellen sie mit den Chips alles an? Wie manipulieren sie damit? Das Ende ist ein einzigartiger Showdown mit höchst raffiniertem, perfekt konstruiertem Ausgang und lässt einen das ganze Buch noch einmal ganz neu überdenken. Chapeau!
Dir gefällt der Erzählstil von Colin Hadler? Dann lies noch seine anderen Bücher, hier chronologisch nach Erscheinungsdatum sortiert: “Hinterm Hasen lauert er” (2019), “Wenn das Feuer ausgeht” (2020) und “Ancora: Die Zeit ist gegen dich” (2022). Lesealternativen gibt es einige zu “Exilium”. Als Erstes musste ich an die geniale “Cainstorm Island”-Reihe von Marie Golien denken, die auch das Thema Computerchip und Überwachung höchst actionreich verarbeitet. Oder lies die “Data Leaks”-Reihe von Mirjam Mous oder den in sich abgeschlossenen Thriller “Seeing what you see, feeling what you feel” von Naomi Gibson. Gut könnte dir außerdem “Thalamus” von Ursula Poznanski gefallen. Einen Chip im Kopf? Dieses Phänomen findest du ebenso in “Boy in a white room” von Karl Olsberg und in der Spannungsreihe von Andreas Eschbach: “Black out” (Band 1), “Hide out” (Band 2) und “Time out” (Band 3.). Hinsichtlich des Endes gibt es auch eine große Gemeinsamkeit mit dem grandiosen “Secret Zero: Das Spiel beginnt…” von Morgan Dark.
Bibliografische Angaben: Verlag: Planet! (Thienemann Esslinger) ISBN: 978-3-522-50721-9 Erscheinungsdatum: 24.Februar 2023 Einbandart: Broschur Preis: 16,00€ Seitenzahl: 336 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: - Exklusiver Song zum Thriller:
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