“Thalamus” von der österreichischen Autorin Ursula Poznanski ist ein Thriller, der seine Leser in eine abgelegene Klinik entführt, die sich auf Traumapatienten spezialisiert hat. Ein Ort, an dem nichts ist, wie es scheint und an dem den Patienten seltsame Dinge passieren. Ein wirklicher Pageturner. Hier hat sich die Autorin mal wieder selbst übertroffen! Für alle, die packende Bücher lieben und dringend mal wieder eine Geschichte in einem Rutsch durchlesen möchten. Nun neu als Taschenbuch erschienen. Ab 14 Jahren empfohlen und für Erwachsene.
Nach einem Unfall mit dem Motorroller landet der 17-jährige Timo im Markwaldhof, einer Rehabilitationsklinik, die besondere Erfolge mit Traumapatienten erzielt. Er hat einige Verletzungen erlitten, vor allem aber ein Schädelhirntrauma, das große Auswirkungen auf seinen Alltag hat. Er kann nicht mehr richtig sprechen: “Die Erkenntnis sickerte langsam in Timos Bewusstsein ein, und ihm wurde innerlich kalt. Etwas war kaputtgegangen, die Verbindung zwischen seinen Gedanken und der Fähigkeit, sie auszudrücken, existierte nicht mehr. […] Er versuchte es noch einmal. Mit etwas ganz Einfachem, seinem Namen nämlich. Timo. Ti-mo. “Daaaaaauuuu-” Entsetzt brach er ab.” (Zitat S.14) Seine Feinmotorik erlaubt es ihm auch nicht etwas aufzuschreiben oder gar einen Trinkbecher richtig festzuhalten. Mit einer Schnabeltasse muss er sich vorerst begnügen und ebenso das Essen wieder richtig lernen. Mit einem Rollstuhl lässt er sich von Carl, einem netten Mitpatienten durch die Klinik fahren. Denn das Laufen strengt ihn unheimlich an und gehört ebenfalls zu den Dingen, die er erst wieder trainieren muss. Doch dann geschehen in der Klinik ein paar merkwürdige Dinge. Timos Bettnachbar, ein wirklich schwerer Fall, der im Wachkoma liegt und völlig regungslos vor sich hinvegetiert, steht nachts auf einmal auf und verlässt das Zimmer! Er droht Timo sogar ihm etwas anzutun, sollte dieser ihn verpetzen. Aber auch Timo selbst widerfährt Seltsames: er schlafwandelt des Öfteren und findet sich nachts plötzlich an ganz anderen Orten wieder. Und dann ist da auf einmal auch diese fremde Stimme in seinem Kopf: “Somnambulismus. Das Wort tauchte plötzlich in seinem Kopf auf, so deutlich, er konnte es beinahe hören. Somnambulismus bedeutete dasselbe wie Schlafwandeln, das wusste er. Allerdings erst seit einer halben Sekunde, davor hatte er den Begriff noch nie gehört. […] Stammt aus dem Lateinischen; von somnus — Schlaf und ambulare — herumwandeln, spazieren. Auch diese Erklärung tauchte plötzlich und ungefragt in seinem Kopf auf. Sie erschreckte
Timo weit mehr als das einzelne Wort vorhin, denn Latein hatte er nie gelernt.” (Zitat S.75) Wie kann das sein? Woher kann er das wissen? Und vor allem, warum kann er nachts viel besser laufen und sich bewegen als tagsüber? “Am nächsten Tag verweigerte er die Mitarbeit bei sämtlichen Therapien. […] Er saß einfach nur im Therapieraum und starrte die Wand an. Wozu üben? Nachts konnte er ziemlich gut laufen, bloß tagsüber ging er wie ein alter Mann, dem nach fünf Schritten die Kraft ausging. Daran hatte die Physiotherapie bisher nichts geändert.” (Zitat S.111) Irgendetwas scheint in dieser Klinik vor sich zu gehen. Warum treffen sich mehrere Patienten sonst wohl nachts im Park, scheinen sich tags darauf aber nicht mehr daran zu erinnern? Dann gibt es plötzlich den ersten Toten…
“Thalamus” wartet mit einem brillanten Cover auf. Absolut passend zum Inhalt und ein wirklicher Hingucker! Da hat sich die Grafikabteilung des Loewe Verlags tatsächlich etwas Tolles einfallen lassen. Geheimnisvoll und faszinierend, so wirkt das Cover — und ebenso erging es mir beim Lesen mit der Geschichte, die durchgängig aus Timos Sicht in der Ich-Perspektive in einer leichten und flüssigen Sprache geschrieben ist. Man ist sofort drin im Geschehen, ohne Umschweife und ohne großes Vorgeplänkel landet man direkt bei Timos Motorrollerunfall und erlebt mit ihm, wie er im Krankenbett erwacht und schließlich nach Markwaldhof verlegt wird. Eine abgeschiedene Klinik mitten im Wald, weit abgelegen von der nächsten Ortschaft — ein hervorragendes Setting und der Startschuss für ein Kammerspiel auf engstem Raum. Denn gefangen ist Timo nicht nur durch seine Krankheit an diesen Ort, sondern buchstäblich auch in seinem Kopf, der zunehmend ein Eigenleben entwickelt: “Um erkennen zu können, in wessen Zimmer er sich verwirrt hatte, war es zu dunkel, aber — Vorhang. Das Wort bildete sich klar und unmissverständlich in seinem Kopf, aber er hatte es nicht selbst gedacht. Nein, es war anderswo hergekommen, als hätte jemand ihm etwas zugeraunt. Nicht von außen, sondern von innen. Das Gefühl war scheußlich, als wäre Timo plötzlich nicht mehr allein in seinem Körper.” (Zitat S.106) Noch dazu kann er nicht reden und sich nicht verständlich machen, sonst hätte er längst jemanden von den seltsamen Vorkommnissen in Kenntnis setzen können. Was noch mehr die Ausweglosigkeit seiner Situation unterstreicht. “Thalamus” zieht seine Leser buchstäblich in einen Sog, wirkt an manchen Stellen — wenn Timo Dinge tut, die er selbst gar nicht tun wollte — fast gruselig. Ein fesselnder, atemraubender Thriller - genauso wie solch ein Buch erzählt werden sollte!
Fazit: Bestes Lesefutter!
Wenn dir “Thalamus” gefallen hat, dann lies doch noch die anderen Thriller von Ursula Poznanski, hier chronologisch nach Erscheinungsdatum aufgelistet: “Erebos” (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2011) “Erebos 2”, “Saeculum” (Rollenspiel im Wald) und “Layers” (Obdachlosigkeit, virtuelle Realität), “Elanus” (selbstgebaute Drohne, Überwachung) und “Aquila” (Blackout). Außerdem hat sie die dystopische “Eleria”-Trilogie geschrieben: “Die Verraten” (Band 1), “Die Verschworenen” (Band 2) und “Die Vernichteten” (Band 3). Eine ausweglose Situation auf engstem Raum? Das findest du in dem packenden Zweiteiler “Du kannst keinem trauen” und “Ihr seid nicht allein” von Robison Wells, der sich in einem Internat abspielt. Ein Junge, der auf einmal außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt? Das findest du in der spannenden “Gone”-Reihe von Michael Grant oder in der “Pheromon”-Reihe von Rainer Wekwerth & Thariot. Ich könnte mir auch als fesselnde Alternative gut “iboy” von Kevin Brooks, “Du. Wirst. Vergessen” von Suzanne Young (schon etwas älter) und “Boy 7” von Mirjam Mous gut vorstellen. ««««««ACHTUNG SPOILER:»»»»»» Zur Thematik der Nanotechnologie wären folgende Bücher empfehlenswert: die “BZRK”-Reihe von Michael Grant oder “T.R.O.J.A. Komplott” von Ortwin Ramadan. ««««««SPOILER ENDE»»»»»»
Bibliografische Angaben:Verlag: Loewe ISBN: 978-3-7855-0686-1 Erscheinungsdatum: 11.März 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,95€ Seitenzahl: 448 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: - Hörprobe:
Kasimiras Bewertung:
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