Endlich mal wieder ein neues Jugendbuch für ältere Leser von der deutschen Autorin Antonia Michaelis! “Weil wir träumten” ist ein Roman, der in das paradiesische Madagaskar entführt. Ein junges herzkrankes Mädchen, das mit ihrer Urgroßmutter dorthin verreisen darf und eine Einheimische kennenlernt, die sie nicht nur mit den Schönheiten der Insel bekannt macht, sondern auch mit deren Schattenseiten. Die Autorin hat vor Kurzem selbst erst zwei Jahre mit ihrer Familie auf Madagaskar gelebt und dort eine Schule und ein Kinderhaus eröffnet. 1€ pro Verkaufserlös pro Buch werden an ein gemeinnütziges Projekt gespendet. Eine Freundschaftsgeschichte und so viel mehr! Sprachlich wunderschön und äußerst berührend. Mit einer Erzählart — wohltuend wie eine warme Tasse Tee im Winter. Ein Herzensbuch! Absolute Leseempfehlung!! Jetzt schon eines meiner Jahreshighlights!!! Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Schon immer hat die 16-jährige Emma von Madagaskar geträumt. Dort gibt es Wale, Halbaffen, exotischen Urwald und jede Menge zu entdecken. “Es geht um das Leben. Die Mitte des Lebens. Den Ursprung. Ja, ich weiß, es ist nicht auf dieser verflixten Insel entstanden, aber diese verflixte Insel ist nahe dran. Ich habe so viel gelesen. Sie ist… alles in klein. Der Urwald. Die Tiere. Das Leben im Meer. Ich möchte einmal die Mitte des Lebens sehen.” (Zitat S.8) Doch Emma ist nicht wie andere Kinder. Sie ist mit mehrfachem Herzfehler geboren worden, wurde oft operiert und muss immer vorsichtig sein. Sie ist zu klein und zu dünn für ihr Alter und muss jeden Tag Medikamente nehmen. Sie beneidet die anderen Kinder, die auf Madagaskar in freier Natur spielen: “Sie haben Muscheln oder Krabben in alten Flaschen gesammelt, balancieren über Felsen, hüpfen hinunter in den Sand, lachen: jeder Schritt ein Abenteuer. […] So wollte ich sein, als Kind. So frei. So wild. Und ich stelle es mir vor: ein Kind auf der Île aux Nattes zu sein, ein Kind in Madagaskar, ein kleines Mädchen mit einem Dutzend geflochtener Zöpfe. Ich war nie ein freies Kind.” (Zitat S.5). Doch nun fährt ihre Urgroßmutter Elise mit ihr nach Madagaskar. Sie hat es geschafft Emmas überängstliche Mutter und ihren Vater zu überzeugen. Die Reise wird Emmas größtes Abenteuer werden. Hier auf der Insel Îles aux Nattes, weiß niemand von ihrer Vorgeschichte. Hier wird sie keine Außenseiterin mehr sein. “Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre jemand anders. Ich habe im Kindergarten damit begonnen, wo alle Kinder größer und stärker waren als ich. Sie durften mich nicht schubsen oder ärgern, das hatten die Erwachsenen ihnen verboten, auf mich musste man aufpassen. Wenn die Erwachsenen es nicht sahen, streckten die anderen mir die Zunge raus. Und ich träumte davon, groß und dick zu sein und drahtige Locken zu haben…” (Zitat S.9) Ein Urlaub mit eindrucksvollen Erlebnissen, einer paradiesischen Natur und anderen Menschen, die sie nicht kennen, warten auf Emma. Und so trifft sie bald nicht nur auf Luc, einen jungen Weltenbummler, der ihr Herz höher schlagen lässt, sondern macht auch die Bekanntschaft mit Fy, die sich in ihrer Lodge um die Wäsche kümmert: “Sie war jünger, als ich zuerst gedacht hatte. Ein Mädchen, keine Frau. Ihr Gesicht war rund wie ihr Bonbon-Französisch, ein schönes Gesicht, ihre Augen mandelförmig und groß, ihre Nase flach, ihre Lippen voll. Sie trug ihr Haar in vielen Zöpfe […] Über ihre linke Wange und die Stirn lief eine lange Narbe.” (Zitat S.16ff) Fy ist auch 16 Jahre alt und hat ein kleines Baby, das sie mit sich auf dem Rücken herumträgt. Doch irgendetwas hat das Madagassische Mädchen zu verbergen. “Sie trug etwas mit sich herum, zusätzlich zu all den anderen Dingen, die sie ständig trug, etwas Unerklärliches und Dunkles. Ein Geheimnis. Sie schien Angst vor den anderen hier zu haben. Oder vielleicht hatten die anderen Angst vor ihr.” (Zitat S.28) Emma will herausfinden, was das ist und taucht immer mehr in das Leben ihrer neuen Freundin ein. Allmählich wird ihr klar, dass Madagaskar auch seine Schattenseiten hat…
Das Cover stellt die Hauptcharaktere des Buches bereits deutlich in den Mittelpunkt. Emma und Fy. Obwohl der größte Teil von “Weil wir träumten” aus Emmas Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist, so gibt es zuweilen auch kurze Abschnitte mit Fys Sicht der Dinge. Sie spricht hierbei ihre kleine Tochter Onja direkt an: “Die Stadt ist grausam und riesengroß, sie war nie freundlich zu mir. Nur diese Insel, Onja, diese kleine Insel ist freundlich. Sie wird euch beschützen, hat Faly gesagt. Auf der Insel werden sie euch niemals finden.” (Zitat S.20) Dass Fy eine unheilvolle Vergangenheit hat, das wird schon relativ früh klar. Erst allmählich erfährt Emma immer mehr von ihrer Lebensgeschichte. Wie sie aufgewachsen ist, dass sie in Armut lebt, dass die Schule zu besuchen, ein Luxus ist, den sich nicht jeder leisten kann. Und dass es viele Wege gibt, um Geld zu verdienen. Faszinierend sind vor allem die Gegensätzlichkeiten der Mädchen: “Ich dachte an das kleine, blasse, einsame Kind, das in einem weißen Bett lag, in dem es nach Sauberkeit und Sterillium roch. Das Kind, das so sehnsuchtsvoll aus dem Fenster in den blauen Himmel sah. Und das sich nichts mehr wünschte, als seine Hände mit Kohle zu beschmieren und in einem schmutzigen Kanal zu plantschen. Das Kind, dessen Mutter sich die Hände desinfizierte, ehe sie es anfasste.” (Zitat S.37) Die unerfüllten Träume und Wünsche. Aber auch die falschen Vorstellungen vom Leben der jeweils anderen, die erst nach und nach aus dem Weg geräumt werden können. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten, denn in gewisser Weise sind sie beide Außenseiter geworden: “Nicht, dass irgendwer in der Schule unfreundlich zu mir gewesen wäre. Sie hatten Angst vor mir. Vor meiner Blässe, meiner Zerbrechlichkeit, dem Gerede um das verdammte Herz. Sie hatten Angst vor mir wie die Leute auf der Insel Angst vor Fy zu haben schienen.” (Zitat S.53) Während Fy von der Existenz von Geistern überzeugt ist und glaubt, dass schon seit Geburt ein Fluch auf ihr liegt, weil sie als Zwillingskind geboren wurde, hat Emma jedoch mit ganz anderen “Geistern” zu kämpfen. Sie möchte nicht immer das kranke Mädchen sein, dem man mit Mitleid, Vorsicht oder Ausgrenzung begegnet. Umso glücklicher ist sie, dass sie zum Beispiel von Luc ganz anders wahrgenommen wird: “Luc versuchte nicht, meinen Arm oder den Schirm zu nehmen, er fragte nicht, ob alles in Ordnung wäre. Wie wunderbar sich das anfühlte. Ich würde keinem hier die Wahrheit erzählen über mein Herz und mich. Keinem.” (Zitat S.115) Dennoch schwebt die Gefahr ihrer Herzkrankheit wie ein Damoklesschwert über der Geschichte. Und auch wenn es zu Beginn noch keine riesengroßen Spannungsbögen in “Was wir träumten” gibt, versteht es Antonia Michaelis mal wieder brillant zu unterhalten. Denn das braucht die Geschichte auch nicht. Man wird förmlich in einen Lesesog hineingezogen: liest von kleinen Momenten, die Großes bedeuten und taucht ein in ein atmosphärisch beschriebenes, geheimnisvolles Madagaskar: “Mondlicht tropfte auf Flechten und vermodertes Holz, auf Stämme voller Stacheln und Stämme, glatt wie Haut; Schatten fraßen Umrisse, nur ab und zu sah ich die Zacken eines Blattes deutlich, die Windungen einer Liane, eine schlafende Urwaldblüte. Manchmal sanken unsere Füße so tief ins alte Laub ein, als müssten wir jeden Moment hindurchfallen, bis zum Herzen der Erde.” (Zitat S.76) Was ich an ihren Büchern vor allem immer liebe, das ist die Sprache, die die Autorin verwendet: diese bedeutungsvolle Erzählart; diese Tiefgründigkeit; diese Kunst, schon fast nebenbei Satzmelodien im Kopf entstehen zu lassen — all das macht “Weil wir träumten” zu einem ganz besonderen Leseerlebnis! An manchen Stellen ist die Geschichte fast ein bisschen märchenhaft, zeigt jedoch äußerst deutlich, dass unter der oft schönen Oberfläche sich auch Dunkles verbergen mag, dass man manchmal genau hinschauen muss, dass man dann aber auch wieder Schönheit in der Unschönheit entdecken kann. Das Ende ist hoch emotional, aber passend. Im Anhang berichtet Antonia Michaelis zudem noch über ihre eigenen Erlebnisse in Madagaskar und wie sie dort helfen konnte, begleitet von zwei Fotografien und der Möglichkeit selbst aktiv zu werden.
Dir gefällt Antonia Michaelis Art zu schreiben? Dann lies noch alle anderen Jugendbücher von ihr, chronologisch nach Erscheinungsdatum sortiert: “Mike und ich und Max Ernst” (2003) “Die wunderliche Reise von Oliver und Twist” (2003), “Morgenstern” (2004), “Das Adoptivzimmer” (2004), “Tigermond” (2005), “Das Geheimnis des 12.Kontinents” (2007), “Laura und der Silberwolf” (2007), “Drache der Finsternis” (2008), “Die Nacht der gefangenen Träume” (2008, toll!), “Jenseits der Finsterbachbrücke” (2009), “Wenn der Windmann kommt” (2009), “Die geheime Reise der Mariposa” (2010), “Der Märchenerzähler” (2011, eines ihrer besten Bücher!), “Wolfsgarten” (2011), “Die Worte der weißen Königin” (2011, gefiel mir auch gut), “Solange die Nachtigall singt” (2012, grandios), “Nashville oder Das Wolfsspiel” (2013, etwas schwächer), “Niemand liebt November” (2014, okay), “Das Blaubeerhaus” (2015), “Die Attentäter” (2016, bewegend!) und “Grenzlandtage” (zusammen mit Peer Martin, 2016), “Wind und der geheime Sommer” (2018) und “Tankstellenchips” (2018, amüsant & tiefgründig), “Hexenlied” (2019, faszinierend), “Der Koffer der tausend Zauber” (2020) und “Manchmal muss man Pferde stehlen” (2022).
Bibliografische Angaben: Verlag: Thienemann ISBN: 978-3-522-20277-0 Erscheinungsdatum: 27.Januar 2022 Einbandart: Hardcover Preis: 18,00€ Seitenzahl: Übersetzer: 448 Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimira auf Instagram:
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
Dieser Titel hat es in folgende Kategorie geschafft: **Kasimiras Lieblingsbücher**