Antonia Michaelis — Weil wir träumten

Kasimira6.Februar 2022

End­lich mal wie­der ein neu­es Jugend­buch für älte­re Leser von der deut­schen Autorin Anto­nia Michae­lis“Weil wir träum­ten” ist ein Roman, der in das para­die­si­sche Mada­gas­kar ent­führt. Ein jun­ges herz­kran­kes Mäd­chen, das mit ihrer Urgroß­mutter dort­hin ver­rei­sen darf und eine Ein­hei­mi­sche ken­nen­lernt, die sie nicht nur mit den Schön­hei­ten der Insel bekannt macht, son­dern auch mit deren Schat­ten­sei­ten. Die Autorin hat vor Kur­zem selbst erst zwei Jah­re mit ihrer Fami­lie auf Mada­gas­kar gelebt und dort eine Schu­le und ein Kin­der­haus eröff­net. 1€ pro Ver­kaufs­er­lös pro Buch wer­den an ein gemein­nüt­zi­ges Pro­jekt gespen­det. Eine Freund­schafts­ge­schich­te und so viel mehr! Sprach­lich wun­der­schön und äußerst berüh­rend. Mit einer Erzähl­art — wohl­tu­end wie eine war­me Tas­se Tee im Win­ter. Ein Her­zens­buch! Abso­lu­te Lese­emp­feh­lung!! Jetzt schon eines mei­ner Jah­res­high­lights!!! Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren und Erwachsene.

Schon immer hat die 16-jäh­ri­ge Emma von Mada­gas­kar geträumt. Dort gibt es Wale, Halb­af­fen, exo­ti­schen Urwald und jede Men­ge zu ent­de­cken. “Es geht um das Leben. Die Mit­te des Lebens. Den Ursprung. Ja, ich weiß, es ist nicht auf die­ser ver­flix­ten Insel ent­stan­den, aber die­se ver­flix­te Insel ist nahe dran. Ich habe so viel gele­sen. Sie ist… alles in klein. Der Urwald. Die Tie­re. Das Leben im Meer. Ich möch­te ein­mal die Mit­te des Lebens sehen.” (Zitat S.8) Doch Emma ist nicht wie ande­re Kin­der. Sie ist mit mehr­fa­chem Herz­feh­ler gebo­ren wor­den, wur­de oft ope­riert und muss immer vor­sich­tig sein. Sie ist zu klein und zu dünn für ihr Alter und muss jeden Tag Medi­ka­men­te neh­men. Sie benei­det die ande­ren Kin­der, die Kasimiraauf Mada­gas­kar in frei­er Natur spie­len: “Sie haben Muscheln oder Krab­ben in alten Fla­schen gesam­melt, balan­cie­ren über Fel­sen, hüp­fen hin­un­ter in den Sand, lachen: jeder Schritt ein Aben­teu­er. […] So woll­te ich sein, als Kind. So frei. So wild. Und ich stel­le es mir vor: ein Kind auf der Île aux Nat­tes zu sein, ein Kind in Mada­gas­kar, ein klei­nes Mäd­chen mit einem Dut­zend gefloch­te­ner Zöp­fe. Ich war nie ein frei­es Kind.” (Zitat S.5). Doch nun fährt ihre Urgroß­mutter Eli­se mit ihr nach Mada­gas­kar. Sie hat es geschafft Emmas über­ängst­li­che Mut­ter und ihren Vater zu über­zeu­gen. Die Rei­se wird Emmas größ­tes Aben­teu­er wer­den. Hier auf der Insel Îles aux Nat­tes, weiß nie­mand von ihrer Vor­ge­schich­te. Hier wird sie kei­ne Außen­sei­te­rin mehr sein. “Manch­mal stel­le ich mir vor, ich wäre jemand anders. Ich habe im Kin­der­gar­ten damit begon­nen, wo alle Kin­der grö­ßer und stär­ker waren als ich. Sie durf­ten mich nicht schub­sen oder ärgern, das hat­ten die Erwach­se­nen ihnen ver­bo­ten, auf mich muss­te man aufKasimirapas­sen. Wenn die Erwach­se­nen es nicht sahen, streck­ten die ande­ren mir die Zun­ge raus. Und ich träum­te davon, groß und dick zu sein und drah­ti­ge Locken zu haben…” (Zitat S.9) Ein Urlaub mit ein­drucks­vol­len Erleb­nis­sen, einer para­die­si­schen Natur und ande­ren Men­schen, die sie nicht ken­nen, war­ten auf Emma. Und so trifft sie bald nicht nur auf Luc, einen jun­gen Wel­ten­bumm­ler, der ihr Herz höher schla­gen lässt, son­dern macht auch die Bekannt­schaft mit Fy, die sich in ihrer Lodge um die Wäsche küm­mert: “Sie war jün­ger, als ich zuerst gedacht hat­te. Ein Mäd­chen, kei­ne Frau. Ihr Gesicht war rund wie ihr Bon­bon-Fran­zö­sisch, ein schö­nes Gesicht, ihre Augen man­del­för­mig und groß, ihre Nase flach, ihre Lip­pen voll. Sie trug ihr Haar in vie­len Zöp­fe […] Über ihre lin­ke Wan­ge und die Stirn lief eine lan­ge Nar­be.” (Zitat S.16ff) Fy ist auch 16 Jah­re alt und hat ein klei­nes Baby, das sie mit sich auf dem Rücken her­um­trägt. Doch irgend­et­was hat das Mada­gas­siscKasimirahe Mäd­chen zu ver­ber­gen. “Sie trug etwas mit sich her­um, zusätz­lich zu all den ande­ren Din­gen, die sie stän­dig trug, etwas Uner­klär­li­ches und Dunk­les. Ein Geheim­nis. Sie schien Angst vor den ande­ren hier zu haben. Oder viel­leicht hat­ten die ande­ren Angst vor ihr.” (Zitat S.28) Emma will her­aus­fin­den, was das ist und taucht immer mehr in das Leben ihrer neu­en Freun­din ein. All­mäh­lich wird ihr klar, dass Mada­gas­kar auch sei­ne Schat­ten­sei­ten hat…

Das Cover stellt die Haupt­cha­rak­te­re des Buches bereits deut­lich in den Mit­tel­punkt. Emma und Fy. Obwohl der größ­te Teil von “Weil wir träum­ten” aus Emmas Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve geschrie­ben ist, so gibt es zuwei­len auch kur­ze Abschnit­te mit Fys Sicht der Din­ge. Sie spricht hier­bei ihre klei­ne Toch­ter Onja direkt an: “Die Stadt ist grau­sam und rie­sen­groß, sie war nie freund­lich zu mir. Nur die­se Insel, Onja, die­se klei­ne Insel ist Kasimirafreund­lich. Sie wird euch beschüt­zen, hat Faly gesagt. Auf der Insel wer­den sie euch nie­mals fin­den.” (Zitat S.20) Dass Fy eine unheil­vol­le Ver­gan­gen­heit hat, das wird schon rela­tiv früh klar. Erst all­mäh­lich erfährt Emma immer mehr von ihrer Lebens­ge­schich­te. Wie sie auf­ge­wach­sen ist, dass sie in Armut lebt, dass die Schu­le zu besu­chen, ein Luxus ist, den sich nicht jeder leis­ten kann. Und dass es vie­le Wege gibt, um Geld zu ver­die­nen. Fas­zi­nie­rend sind vor allem die Gegen­sätz­lich­kei­ten der Mäd­chen: “Ich dach­te an das klei­ne, blas­se, ein­sa­me Kind, das in einem wei­ßen Bett lag, in dem es nach Sau­ber­keit und Ste­ril­li­um roch. Das Kind, das so sehn­suchts­voll aus dem Fens­ter in den blau­en Him­mel sah. Und das sich nichts mehr wünsch­te, als sei­ne Hän­de mit Koh­le zu beschmie­ren und in einem schmut­zi­gen Kanal zu plant­schen. Das Kind, des­sen Mut­ter sich die Hän­de des­in­fi­zier­te, ehe sie es anfass­te.” (Zitat S.37) Die uner­füll­ten Träu­me und Wün­sche. Aber auch die fal­schen Vor­stel­luKasimirangen vom Leben der jeweils ande­ren, die erst nach und nach aus dem Weg geräumt wer­den kön­nen. Doch es gibt auch Gemein­sam­kei­ten, denn in gewis­ser Wei­se sind sie bei­de Außen­sei­ter gewor­den: “Nicht, dass irgend­wer in der Schu­le unfreund­lich zu mir gewe­sen wäre. Sie hat­ten Angst vor mir. Vor mei­ner Bläs­se, mei­ner Zer­brech­lich­keit, dem Gere­de um das ver­damm­te Herz. Sie hat­ten Angst vor mir wie die Leu­te auf der Insel Angst vor Fy zu haben schie­nen.” (Zitat S.53) Wäh­rend Fy von der Exis­tenz von Geis­tern über­zeugt ist und glaubt, dass schon seit Geburt ein Fluch auf ihr liegt, weil sie als Zwil­lings­kind gebo­ren wur­de, hat Emma jedoch mit ganz ande­ren “Geis­tern” zu kämp­fen. Sie möch­te nicht immer das kran­ke Mäd­chen sein, dem man mit Mit­leid, Vor­sicht oder Aus­gren­zung begeg­net. Umso glück­li­cher ist sie, dass sie zum Bei­spiel von Luc ganz anders wahr­ge­nom­men wird: “Luc ver­such­te nicht, mei­nen Arm oder den Schirm zu neh­men, er frag­te nicht, ob alles in Ord­nunKasimirag wäre. Wie wun­der­bar sich das anfühl­te. Ich wür­de kei­nem hier die Wahr­heit erzäh­len über mein Herz und mich. Kei­nem.” (Zitat S.115) Den­noch schwebt die Gefahr ihrer Herz­krank­heit wie ein Damo­kles­schwert über der Geschich­te. Und auch wenn es zu Beginn noch kei­ne rie­sen­gro­ßen Span­nungs­bö­gen in “Was wir träum­ten” gibt, ver­steht es Anto­nia Michae­lis mal wie­der bril­lant zu unter­hal­ten. Denn das braucht die Geschich­te auch nicht. Man wird förm­lich in einen Lese­sog hin­ein­ge­zo­gen: liest von klei­nen Momen­ten, die Gro­ßes bedeu­ten und taucht ein in ein atmo­sphä­risch beschrie­be­nes, geheim­nis­vol­les Mada­gas­kar: “Mond­licht tropf­te auf Flech­ten und ver­mo­der­tes Holz, auf Stäm­me vol­ler Sta­cheln und Stäm­me, glatt wie Haut; Schat­ten fra­ßen Umris­se, nur ab und zu sah ich die Zacken eines Blat­tes deut­lich, die Win­dun­gen einer Lia­ne, eine schla­fen­de Urwald­blü­te. Manch­mal san­ken unse­re Füße so tief ins alte LaKasimiraub ein, als müss­ten wir jeden Moment hin­durch­fal­len, bis zum Her­zen der Erde.” (Zitat S.76) Was ich an ihren Büchern vor allem immer lie­be, das ist die Spra­che, die die Autorin ver­wen­det: die­se bedeu­tungs­vol­le Erzähl­art; die­se Tief­grün­dig­keit; die­se Kunst, schon fast neben­bei Satz­me­lo­dien im Kopf ent­ste­hen zu las­sen — all das macht “Weil wir träum­ten” zu einem ganz beson­de­ren Lese­er­leb­nis! An man­chen Stel­len ist die Geschich­te fast ein biss­chen mär­chen­haft, zeigt jedoch äußerst deut­lich, dass unter der oft schö­nen Ober­flä­che sich auch Dunk­les ver­ber­gen mag, dass man manch­mal genau hin­schau­en muss, dass man dann aber auch wie­der Schön­heit in der Unschön­heit ent­de­cken kann. Das Ende ist hoch emo­tio­nal, aber pas­send. Im Anhang berich­tet Anto­nia Michae­lis zudem noch über ihre eige­nen Erleb­nis­se in Mada­gas­kar und wie sie dort hel­fen konn­te, beglei­tet von zwei Foto­gra­fien und der Mög­lich­keit selbst aktiv zu werden.

Dir gefällt Anto­nia Michae­lis Art zu schrei­ben? Dann lies noch alle ande­ren Jugend­bü­cher von ihr, chro­no­lo­gisch nach Erschei­nungs­da­tum sor­tiert: “Mike und ich und Max Ernst” (2003) “Die wun­der­li­che Rei­se von Oli­ver und Twist” (2003), “Mor­gen­stern” (2004), “Das Adop­tiv­zim­mer” (200Lesealternativen4), “Tiger­mond” (2005), “Das Geheim­nis des 12.Kontinents” (2007), “Lau­ra und der Sil­ber­wolf” (2007), “Dra­che der Fins­ter­nis” (2008), “Die Nacht der gefan­ge­nen Träu­me” (2008, toll!), “Jen­seits der Fins­ter­bach­brü­cke” (2009), “Wenn der Wind­mann kommt” (2009), Die gehei­me Rei­se der Mari­po­sa” (2010), “Der Mär­chen­er­zäh­ler” (2011, eines ihrer bes­ten Bücher!), “Wolfs­gar­ten” (2011), “Die Wor­te der wei­ßen Köni­gin” (2011, gefiel mir auch gut), “Solan­ge die Nach­ti­gall singt” (2012, gran­di­os), “Nash­ville oder Das Wolfs­spiel” (2013, etwas schwä­cher), “Nie­mand liebt Novem­ber” (2014, okay), “Das Blau­beer­haus” (2015), “Die Atten­tä­ter” (2016, bewe­gend!) und “Grenz­land­ta­ge” (zusam­men mit Peer Mar­tin, 2016), “Wind und der gehei­me Som­mer” (2018) und “Tank­stel­len­chips” (2018, amü­sant & tief­grün­dig), “Hexen­lied” (2019, fas­zi­nie­rend), “Der Kof­fer der tau­send Zau­ber” (2020) und “Manch­mal muss man Pfer­de steh­len” (2022).

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Thienemann
ISBN: 978-3-522-20277-0
Erscheinungsdatum: 27.Januar 2022
Einbandart: Hardcover
Preis: 18,00€
Seitenzahl: 
Übersetzer: 448
Originaltitel: -
Originalverlag: -
Originalcover: -

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Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

Die­ser Titel hat es in fol­gen­de Kate­go­rie geschafft: **Kasi­mi­ras Lieb­lings­bü­cher**

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