Joanna Ho — Und zwischen uns ein Ozean aus Schweigen

17.April 2024

Die ame­ri­ka­ni­sche Autorin Joan­na Ho mit den chi­ne­sisch-tai­wa­ni­schen Wur­zeln hat mit “Und zwi­schen uns ein Oze­an aus Schwei­gen” ein wich­ti­ges Buch geschrie­ben. Sie stellt ein jun­ges Mäd­chen in den Mit­tel­punkt ihres Romans, das mit ihren Eltern, die eben­falls aus Tai­wan bzw Chi­na stam­men, in Ame­ri­ka lebt und deren Bru­der sich uner­war­tet das Leben nimmt. Als sich ein Vater in der Schu­le ras­sis­tisch gegen­über ihrer Fami­lie äußert und sie ver­ant­wort­lich für den Sui­zid macht, will May­bel­li­ne nicht wei­ter schwei­gen, so wie ihre Eltern. Sie ver­fasst eine Gegen­dar­stel­lung, die in einer Zei­tung abge­druckt wird. Damit bringt sie eini­ges ins Rol­len… Eine Geschich­te über Sui­zid, Trau­er­be­wäl­ti­gung, Leis­tungs­druck und Ras­sis­mus. Ein bemer­kens­wer­tes, mit­rei­ßen­des Buch, das sich vor allem inten­siv mit Ras­sis­mus, Unge­rech­tig­keit und dem Mut zu han­deln, aus­ein­an­der­setzt. Sehr lesens­wert! Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren und Erwachsene.

Für May­bel­li­ne, deren Fami­lie aus Taiwan/China stammt, bricht eine Welt zusam­men, als ihr Bru­der Dan­ny sich das Leben nimmt. Er hat­te kurz zuvor zwar kei­ne Zusa­ge für die Uni­ver­si­tät in Stan­ford erhal­ten, über für die in Prince­ton. Hat­te er wirk­lich Depres­sio­nen? Und war­um hat sie nichts gemerkt? Als sie schließ­lich wie­der zur Schu­le geht, erhält sie vor allem Unter­stüt­zung von ihrer bes­ten Freun­din Tiya und ihrem Bru­der Marc, der auch Dan­nys bes­ter Freund war. Doch auf einem Eltern­sprech­tag, auf den May­bel­li­nes Fami­lie eben­falls ein­ge­la­den ist, der nächs­te gro­ße SchockKasimira: Ein äußerst ein­fluss­rei­cher Vater steht auf und the­ma­ti­siert die Sui­zi­de an der Schu­le in der letz­ten Zeit. Nicht nur Dan­ny hat sich das Leben genom­men. Auch noch vier ande­re Schü­ler. “Jeder weiß, dass der wah­re Grund, war­um unse­re Kin­der gestress­ter sind, die vie­len Asia­ten an unse­ren Schu­len sind.” (Zitat S.100) Weil die Eltern asia­ti­scher Kin­der so einen hohen Leis­tungs­druck aus­üben, könn­ten nicht asia­ti­sche Kin­der hier­mit unmög­lich mit­hal­ten. Vie­le Fami­li­en wären des­we­gen auch schon weg­ge­zo­gen. “Frü­her gab es die­ses Pro­blem nicht. Es fing erst an, als asia­ti­sche Fami­li­en hier­her­ge­zo­gen sind. Wir wis­sen alle, dass irgend­ein asia­ti­scher Jun­ge letz­tes Schul­jahr in Prince­ton ange­nom­men wur­de und sich danach vor den Zug gewor­fen hat. Ich bit­te Sie. Was haben sei­ne Eltern zu ihm gesagt? Wenn Prince­ton für die­se Leu­te nicht gut genug ist, was dann?” (Zitat S.101ff) May­bel­li­nes Eltern ver­las­sen die Ver­an­stal­tung umge­hend. Wol­len über den Vor­fall nicht mehr reden. Doch KasimiraMay­bel­li­ne kann das nicht auf sich sit­zen las­sen. Sie ver­fasst eine schrif­li­che Ant­wort auf die Wor­te von Mr. McIn­ty­re und schickt die­se an eine Zei­tung. Nicht ahnend, dass ihre Wor­te tat­säch­lich ver­öf­fent­licht wer­den. Aber auch Mr. McIn­ty­re lässt die Sache nicht auf sich beru­hen. Bald beginnt sich an der Schu­le eine Pro­test­be­we­gung zu bilden…

Und zwi­schen uns ein Oze­an aus Schwei­gen” hat ein bild­hüb­sches Cover mit pas­sen­dem Titel. In dem Roman, der durch­ge­hend aus May­bel­li­nes Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve geschrie­ben ist, spielt das Schwei­gen eine gro­ße Rol­le, wie bereits der ers­te Satz des Buches zeigt: “Mei­ne Mut­ter hat ihr ganz per­sön­li­ches Waf­fen­ar­se­nal an Schwei­gen, das sie wie die MACHT ein­setzt, um mich ihrem Wil­len zu unter­wer­fen. […] Meis­tens ist ihr Schwei­gen ein Nil­pferd, das mit Ent­täu­schung träch­tig ist und das sie dro­hend vor mir hin und her schwenkt, wäh­rend sie char­mant ein Abend­essen gibt, mit den Gäs­ten Kasimiraplau­dert und ihnen Tee anbie­tet.” (Zitat S.7). May­bel­li­nes Mut­ter ist sel­ten zufrie­den mit ihr. Sie hat gute Noten in der Schu­le, aber das reicht ihrer Mut­ter nicht. Die Toch­ter einer befreun­de­ten asia­ti­schen Fami­lie macht bei­spiels­wei­se ein Prak­ti­kum bei goog­le“Cele­s­te weiß, was das Bes­te für ihre Zukunft ist und sie strengt sich sehr an. Von ihr kannst du eine Men­ge ler­nen.” “Ich stren­ge mich auch an, Ma.” “Wirk­lich?” (Zitat S.19) Aber auch das Schwei­gen über die Unge­rech­tig­keit nach dem Vor­fall mit Mr. McIn­ty­re steht stark im Vor­der­grund. May­bel­li­nes Eltern gehen ein­fach zur Tages­ord­nung über, wol­len über die Sache nicht reden. Sich nicht weh­ren. Schwei­gen. Etwas, das May­bel­li­ne irgend­wann nicht mehr kann. “Wenn eine asia­ti­sche Frau schweigt, dann nicht, weil sie unter­wür­fig ist, son­dern weil sie erst mal alles beob­ach­tet. Beob­ach­tet und lernt. Wie ein Krie­ger.” (Zitat S.115) Sie star­tet tat­säch­lich ihren eige­nen Kriegs­feld­zug, beginnt eine Pro­test­ak­ti­on an der Schu­le zu Kasimirapla­nen, Geschich­ten ande­rer Mit­schü­ler, die mit Ras­sis­mus zu tun haben, zu sam­meln, um sie der Öffent­lich­keit preis­zu­ge­ben. Der Roman umfasst vie­le erns­te The­men. Die Auf­ar­bei­tung des Sui­zids des Bru­ders, die Trau­er­be­wäl­ti­gung, der Leis­tungs­druck, die ras­sis­ti­schen Anfein­dun­gen. Vor allem letz­te­re wer­den sehr inten­siv the­ma­ti­siert, oft auch im Unter­richt mit einer sehr enga­gier­ten Leh­re­rin dis­ku­tiert. “Du magst glau­ben, du seist kein Ras­sist, Noah, aber du hast über­haupt kein Pro­blem damit, ras­sis­ti­sche Sys­te­me auf­zu­rech­zu­er­hal­ten, die dir nut­zen. Viel­leicht ist dir nicht mal bewusst, dass du dich so ver­hältst.” “Wir sind nicht alle böse”, beharrt Noah. “Ich bin kein Ras­sist. Ich bin ein net­ter Typ.” “Es genügt nicht, nett zu sein”, wider­spre­che ich.” (Zitat S.231) “Und zwi­schen uns ein Oze­an aus Schwei­gen” ist ein Roman, der zum Nach­den­ken anregt, der für rege Dis­kus­sio­nen über Ras­sis­mus sor­gen wird. Denn auch May­bel­li­ne selbst ver­hält sich ihren Freun­den Tyia und Marc, die bei­de Schwarz sind, unwis­sent­lichKasimira nicht immer kor­rekt. Marc, der bei­spiels­wei­se immer das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein. Ich möch­te irgend­wo aufs Col­lege gehen, wo ich nicht dop­pelt so gut sein muss, damit mich die Leu­te nicht für doof hal­ten. Irgend­wo­hin, wo Schwarz nicht das ein­zi­ge Kri­ter­um ist, wonach mich Men­schen beur­tei­len.” Marc seufzt und schüt­telt den Kopf. “Ich wür­de zur Abwechs­lung gern mal nicht auf­fal­len.” (Zitat S.124) Die Prot­ago­nis­tin wird am Endes des Romans auf eine gro­ße Zer­reiß­pro­be gestellt, als sie zwar aktiv han­deln will für ihren Pro­test, aber auch gleich­zei­tig Druck von ihrer Fami­lie bekommt, dies nicht zu tun, um die Arbeits­stel­le ihrer Mut­ter nicht zu gefähr­den. Was ist rich­tig, was ist falsch? Die­ser Ant­wort darf man als Leser*in gespannt nachgehen.

LesealternativenDir gefällt Joan­na Hos Erzähl­stil? Bis­her hat sie mit “Und zwi­schen uns ein Oze­an aus Schwei­gen” lei­der nur ein ein­zi­ges Jugend­buch geschrie­ben. Aller­dings gibt es noch eine Viel­zahl an Bil­der­bü­chern (auf Eng­lisch) von ihr. Dich inter­es­siert das The­ma Ras­sis­mus? Ein moder­ner Klas­si­ker im Jugend­buch ist zum Bei­spiel “The Hate U Give” von Angie Tho­mas. Emp­feh­len kann ich dir außer­dem “Dear Mar­tin” von Nic Stone und “Off the record: Unse­re Wor­te sind unse­re Macht” von Cam­ryn Gar­rett oder auch “End­land” von Mar­tin Schäub­le. Auf beson­de­re Art und Wei­se gegen Unge­rech­tig­keit kämp­fen auch die Prot­ago­nis­tin­nen in “Ihr sollt (nicht) schwei­gen” von Kyrie McCau­ley.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: cbj
ISBN: 978-3-570-16669-7
Erscheinungsdatum: 17.April 2024
Einbandart: Broschur
Preis: 17,00€
Seitenzahl: 480
Übersetzer*in: Claudia Max
Originaltitel: "The Silence that Binds Us"
Originalverlag: Harper Teen

Amerikanisches Originalcover:












Joanna Ho liest aus ihrem Buch (auf Englisch):
 

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Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Amerikanisches Cover: Homepage von Harper Collins

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