“Sankt Irgendwas” ist der neueste Roman der preisgekrönten Autorin Tamara Bach. Eine Geschichte über eine Klassenfahrt, auf der etwas gehörig schief gegangen sein muss. Die Gerüchteküche brodelt und eine Elternkonferenz wird einberufen. Kann tatsächlich eine ganze Klasse von der Schule verwiesen werden? Und was ist eigentlich genau passiert? Protokolle, E‑Mails, persönliche Berichte geben langsam Aufschluss. Ein ungewöhnlich geschriebener, kurzweiliger Roman mit einem ganz anderen Erzählstil, nah an der Sprache der Jugendlichen. Anders, aber dennoch irgendwie fesselnd und faszinierend. Für Leser, die Bücher abseits des Mainstreams lieben. Ab 14 Jahren und für interessierte Erwachsene.
Die 10b ist auf Klassenfahrt gegangen. Mit dem Klassenlehrer Herr Utz und einer Begleitlehrerin. Das hat sich selbst bei den Mitschülern der anderen Klassen schon herumgesprochen. “Oder waren die in Spanien? Kann das sein? Spanien?” “Gibt’s in Spanien auch Ruinen?” “Oder waren die in Frankreich? Ich weiß, dass die in irgend so ein Kaff gefahren sind. Irgendwas Heiliges. Sankt Irgendwas, oder Santa Weißnichwer.” (Zitat aus “Sankt Irgendwas” S.6) Und dort muss etwas vorgefallen sein. Haben sie tatsächlich etwas in die Luft gesprengt? Oder ist das auch nur ein Gerücht? Und warum wurde nun eine Elternkonferenz einberufen? Die Gerüchteküche brodelt hoch. Kann tatsächlich eine ganze Klasse der Schule verwiesen werden? Nein, oder? Aber was haben die Schüler wirklich getan? Ein Protokoll, das die Schüler während der Klassenfahrt anfertigen mussten, lässt eine erstaunliche Wahrheit ans Licht kommen…
Das Cover ist schlicht und gleichzeitig irgendwie faszinierend schön. Äußerst passend zu dem, was darin steckt (und auch was sich Interessantes unter dem Schutzumschlag verbirgt!). Und in Tamara Bachs Bücher steckt meist eine ganze Menge, auch wenn sie eher sehr schmal gehalten sind. Das aktuelle Werk umfasst lediglich 128 Seiten und liest sich relativ zügig. Ich muss gestehen, ich freue mich immer auf neue Bücher der Autorin, weil sie so vielschichtig und literarisch raffiniert erzählt sind, aber bei “Sankt Irgendwas” war ich anfangs doch etwas zwiegespalten. Die Grundidee, der Plot des Buches ist gelungen, aber die Erzählart ist eine völlig andere, ungewohnte. Es beginnt mit einem Gespräch mehrere Jugendliche, da ausschließlich in Dialogform erzählt wird. Schüler, die nicht aus der 10b sind und sich über diese unterhalten. Die Unterhaltung ist meist sehr flach und jugendsprachlich, aber authentisch: “Ich
find den Utz so scheiße.” “Warum?” “Weiß nicht. Der ist so scheiße.” “Ah. Deswegen. Guter Grund.” (Zitat S.12). Oftmals drehen sich die Gespräche auch im Kreis, verschiedene Themen werden immer wieder angeschnitten. Aber eines bleibt klar: alle — einschließlich des Lesers — sind verdammt neugierig, was in der besagten Klasse passiert ist und die Theorien dazu werden immer ausschweifender. Dann folgt — nach einer E‑Mail des Klassenlehrers an die Eltern, die auf die bevorstehende Klassenfahrt hinweist — die Protokollierung eben jener Klassenreise. Der Ort ist unbekannt, alle exakteren Angaben in der E‑Mail sind geschwärzt. Jeder Tag wird von unterschiedlichen Schülern, als Aufgabe des Lehrers, protokolliert: “14:08: Ich versteh kein Wort und kann daher auch nichts aufschreiben. 14:20: Wir müssen zur Stadtmauer. Alle haben Hunger. Frau Kaiser verteilt Müsliriegel und Äpfel. 14:30: Ich bin zu schwach, um zuzuhören. Wer was über die Stadtmauer wissen will, kan
n das bestimmt auch googeln. WIR GEHEN DIE GANZE STADTMAUER LANG?!? 15:00: Wir gehen die ganze Stadtmauer lang.” (Zitat S.29) Diese Erzählart ist erst mal etwas ganz Anderes, baut eine gewisse Dynamik auf, aber ist eben doch erst etwas gewöhnungsbedürftig. Es bleibt eine gewisse Distanz beim Lesen, eine Verbindung zu den Personen des Geschehens lässt sich zunächst schwer aufbauen, es wirkt mehr wie ein voyeuristisches Zuschauen, wie ein nüchterner Bericht. Wobei nüchtern in Tamara Bachs Bücher auch wieder hinfällig ist, denn auch wenn die Sprache absolut klar, schnörkellos und schlicht ist, so steckt wieder zwischen den Zeilen eine Menge — und das gerade macht bei ihren Büchern immer einen großen Reiz aus, ihre Vielschichtigkeit. Zuweilen findet man auch eine schöne Portion Ironie und unterschwellige Süffisanz in den Protokollen: “04.50: Bin wohl wieder eingeschlafen. Es wird hell. Wir sind irgendwo. Wir fahren irgendwo lang. Draußen ist Welt und
drinnen wir. Es riecht jetzt nach vielen, alten, ungewaschenen Füßen. Sonne geht auf. Guten Morgen. 05:00: Pullerpause. Kaffee und Backwaren. Meine Klassenkameraden müffeln aus den Mündern. Der Busfahrer geht nie auf die Toilette. Der Mann ist ein Kamel.” (Zitat S.23) Aber glücklicherweise wechselt der Schreibstil schließlich. Ein Schüler führt das Protokoll beständig fort, in mehr erzählerischer Form und man bemerkt eine schöne Entwicklung mancher Figuren, wie zum Beispiel dem Busfahrer. Das Ende hinterlässt ein tolles Gefühl von Solidarität und Zusammenhalt und ist sehr passend und überrascht wie gelungen der Roman im Nachhinein dann doch ist. Eine Lese-Liebe “auf den zweiten Blick” gewissermaßen;-)
Fazit: Eine Geschichte, auf die man sich erst einmal einlassen muss, angesichts der Andersartigkeit der Erzählweise, die aber letzten Endes dann trotzdem sehr raffiniert und faszinierend geschrieben ist und sich lohnt!
Dir gefällt Tamara Bachs Erzählstil? Dann lies noch ihre anderen Bücher, chronologisch nach Erscheinungsdatum: “Marsmädchen” (2003, hierfür erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis), “Busfahrt mit Kuhn” (2004), “Jetzt ist hier” (2007), “Was vom Sommer übrig ist” (2012), “Marienbilder” (2014, herausragend!), “Vierzehn” (2016, ein einzigartiges Porträt eines einzelnen Tages), “Mausmeer” (2018), “Wörter mit L” (2019, Lesetipp!). Du magst Romane über Klassenfahrten? Etwas literarischer wäre “Hexenlied” von Antonia Michaelis (brillant). Spannend und sehr fesselnd schreibt auch Mirjam Mous in “Last Exit: Das Spiel fängt gerade erst an”. Schon etwas älter, aber sehr unterhaltsam und auf wahren Begebenheiten beruht diese mysteriöse Klassenfahrt: “Das dunkle Lied des Todes” von Bjarne Reuter. Etwas flacher und humorvoller ist “Fünf auf Crashkurs” von Hans-Jürgen Feldhaus. Ein bisschen politischer ist “Rot oder Blau: Du hast die Wahl” von Manfred Theisen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Carlsen ISBN: 978-3-551-58430-4 Erscheinungsdatum: 30.Juli 2020 Einbandart: Hardcover Preis: 13,00€ Seitenzahl: 128 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)