“Wolkenkönigin” von der deutschen Autorin Susanne Fischer ist ein Roman über das Leben in schwierigen Familienverhältnissen und das Erwachsenwerden zwischen allen Stühlen. Nicht weiß, nicht schwarz, mal richtig, mal falsch — wer weiß das in dem Alter denn schon so genau? Eine Suche nach der eigenen Identität, der Wahrheit und der Liebe. In ruhigen Tönen erzählt und sanft choreografiert. Mit einem ungewöhnlichen Ende. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Ihre Mutter raucht zu viel und interessiert sich zu wenig. Für die 15-jährige Corinna und ihr Leben. “Sie sieht aus dem Fenster und lächelt. Ich weiß nicht, ob da etwas Lustiges zu sehen ist, wahrscheinlich nicht. So ist sie immer, irgendwie nicht ganz bei der Sache. Manchmal stelle ich mir vor, sie ist eine Außerirdische und wartet auf das Raumschiff, das sie endlich abholt.” (Zitat aus “Wolkenkönigin” S.10) Den Namen der Schule ihrer Tochter? Ein Wunder, wenn sie den mal weiß. Dass sie für Prüfungen lernen soll? Dazu würde ihre Mutter sie niemals auffordern. Sie ist ohnehin froh, wenn Corinna Verantwortung übernimmt. Wenn sie sich um den behinderten, kleinen Bruder kümmert, mit dem die Mutter nicht immer klar kommt. Der manchmal einfach anfängt zu schreien und sich von kaum jemandem dazu bringen lässt aufzuhören. ““Zuhause ist Endchaos, das merke ich schon beim Reinkommen. Jona schreit und schlägt seinen Kopf auf den Tisch, es gibt nichts zu essen, Mama heult.” (Zitat S.34) Jona mag Veränderungen eben so wenig, wie Corinna. Doch jetzt müssen sie schon wieder umziehen, weil ihre Mutter den Job verloren hat und sich die Miete nicht mehr leisten konnte. Auf die neue Schule freut sie sich nicht wirklich. “Ich weiß schon, was passiert. Sie glotzen mich an. Das war letztes Mal auch so. Ich bin fünfzehn und nichts Besonderes, nicht fett, nicht magersüchtig, keine Brille, lange Haare, blond. Mittelgroß, mitteldünn, mittelhübsch, mitteldumm. Warum glotzt ihr dann bloß so?” (Zitat S.12) Aber dann wird Corinna im Sekretariat versehentlich mit Marie angesprochen. Als die Schulsekretärin ihren Irrtum jedoch bemerkt, ergreift Corinna, die ihren Namen absolut nicht leiden kann, diese einmalige Chance einen Teil ihrer Vergangenheit einfach hinter sich zu lassen: “Nein, Marie ist schon richtig. Ich heiße Corinna Marie, aber ich werde Marie genannt.” (Zitat S.15) Einfach mal jemand anders sein. Etwas Neues wagen! Sie findest sogar zwei neue Freundinnen und kommt dem Nachbarsjungen unerwartet näher. Marc heißt er und hat ebenfalls eine Familiensituation, unter der er leidet. Während Corinnas Vater in einem anderen Stadtteil wohnt und eine neue Familie samt Kinder hat, hat Marcs Mutter einen neuen Mann, den der Junge nicht ausstehen kann und der ein strenges Ordnungsreglement zu Hause eingeführt hat. Doch dann erfährt Corinna, dass es eine Marie bereits in ihrer Klasse gab. Ein Mädchen, das die Schule verlassen musste. Angeblich soll sie einen Einbruch begangen haben, bei dem eine Menge Geld gestohlen wurde. Ein Schatten lastet auf Corinnas neuem Namen. Wer war Marie? Was hat sie wirklich getan? Als ihre zwei neuen Freundinnen andeuten, dass auch Marc etwas mit dem ungeklärten Diebstahl zu tun hatte und wollen, dass sie ihn ausfragt, zögert sie zuerst. Niemandem hat sie erzählt, was Marc ihr bedeutet. Aber soll sie ihre Freundschaft zu ihm wirklich aufs Spiel setzen, um herauszufinden, was Marie getan hat?
“Wolkenkönigin” ist in Kapiteln unterteilt und wird durchgehend aus Corinnas Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Die Sprache ist locker und lässig, manchmal etwas lapidar, aber sehr passend zum sozialen Umfeld der Protagonistin und ihrer Art, die Umwelt zu betrachten. Viele Themen sind in den Roman mit eingeflochten. Das Aufwachsen in schwierigen Familienverhältnissen, das Geheimnis um Maries Vergangenheit, die Sehnsucht nach Liebe und die Zerbrechlichkeit von Freundschaft. Auch philosophische Klänge sind in dem Buch zu finden, wenn in der Schule die Frage behandelt wird, was richtig und was falsch ist und woher man weiß, ob man auf die eine oder auf die andere Art handelt. Ebenso das muss die Hauptperson für sich im Laufe der Geschichte herausfinden. “Wolkenkönigin” ist ein Roman, der eher etwas ruhiger erzählt ist. Er beschreibt den Alltag der Protagonistin und das Auf und Ab ihrer Empfindungen. Er ist unterhaltsam, aber konnte mich persönlich leider nicht durchgängig mitreißen. Im hinteren Teil des Buches kippt die Geschichte zudem in eine völlig andere Richtung. Während man zu Anfang noch mit einer schönen Coming-of-Age-Story rechnet — gewürzt mit einer großen Portion Sozialdrama -, so landet man am Ende in einem Art Kriminalfall und reinem Rausch aus Drogen, Alkohol und Gewalt; einem leicht überzogenen Beziehungsgeflecht und dem Gefühl, dass die Gerechtigkeit im Grunde nicht siegt und das aber auch gar keine große Rolle spielt. Die Botschaft des Romans bleibt völlig unklar.
Fazit: Am Ende leider enttäuschend.
Eine Lesealternative zu “Wolkenkönigin” wäre zum Beispiel “Und du kommst auch drin vor” von Alina Bronsky, das manche Parallelen aufweist. Eine kluge Geschichte übers Erwachsenwerden ist auch “Mehr Schwarz als Lila” von Lena Gorelik. Eine lockere, leichte Coming-of-Age-Story hat ebenso Andreas Jungwirth geschrieben: “Schwebezustand”. Eine gelungene Neuerscheinung über das Aufwachsen in schwierigen Familienverhältnissen ist “Eine Handvoll Lila” von Ashley Herring Blake. Zur selben Thematik kannst du auch folgende Bücher lesen: “Das Schweigen in meinem Kopf” von Kim Hood, “Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” von Estelle Laure oder “Das Glück hat vier Farben” von Lisa Moore. Ein brillant erzähltes Buch über das Leben in Armut in sozialen Brennpunkten ist “Immer diese Herzscheiße” von Nana Rademacher. Andere Bücher von Susanne Fischer sind “Der Aufstand der Kinder” (Band 1) und “Der Aufstand der Kinder: Die Rückkehr der Feuerlandbande” (Band 2). Diese sind bereits ab 10 Jahren zu empfehlen.
Bibliografische Angaben: Verlag: Rowohlt ISBN: 978-3499218019 Erscheinungsdatum: 20.Februar 2018 Einbandart: Broschur Preis: 12,99€ Seitenzahl: 224 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(1,5 von 5 möglichen Punkten)