“Heartless: Der Kuss der Diebin” ist nicht nur das erste Buch der amerikanischen Autorin Sara Wolf, das ins Deutsche übersetzt wurde, sondern zugleich auch ihr in Erfüllung gegangener Wunschtraum, den sie im Alter von 13 Jahren hatte — einmal eine Fantasytrilogie zu schreiben. Der Roman ist somit der Auftakt einer dreibändigen Reihe und entführt seine Leser in ein fernes Königreich, in dem gegen Hexen gekämpft wird und in welchem ein “herzloses” Mädchen, um ihr eigenes Leben wiederzubekommen, nichts Geringeres tun muss, als dem — nach einer Frau suchenden — Prinzen seines zu stehlen. Eine rebellische Version von “Selection”, mit einer starken, taffen Heldin. Unterhaltsam, romantisch und fesselnd. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 16-jährige Zera ist schon seit drei Jahren ohne Herz und muss einer Hexe dienen. “Ich hasse Nightsinger nicht dafür, dass sie mein Herz genommen hat, trotz allem, was das für meinen Körper und meine Seele bedeutet. Wie könnte ich? Sie hat mich vor den Banditen gerettet, die meine Familie ermordet haben, vor der Dunkelheit des Todes, und seitdem diene ich ihr.” (Zitat aus “Heartless: Der Kuss der Diebin” S.29) Zeras Herz steht in einem Glas auf dem Kamimsims der Hexe, das mit einem Zauber versehen ist, sodass sie es nicht öffnen kann. Eigentlich wäre Zera jetzt schon 19, aber für eine Herzlose bleibt gewissermaßen die Zeit stehen. Ebenso wie für die anderen zwei Diener der Hexe, die noch viel jünger als Zera sind und auch bei ihr im Wald leben. Und woanders hingehen, das können sie nicht. “…ich kann mich nicht weit von der Stelle entfernen, an der die Hexe mein Herz aufbewahrt: höchstens zwei Kilometer. Wenn ich weiter weggehe, zerreißt mich der Schmerz und verwandelt mich in ein kraftloses, schreiendes Etwas.” (Zitat S.28) Also ist alles gleich, jeder Tag, jeden Baum hat Zera schon einmal gesehen. Und nur die Edelleute, die sich durch den Wald wagen, sorgen für ein wenig Abwechslung, wenn sie sie ihrer kostbaren Juwelen und teuren Kleider beraubt. Die Hexe Nightsinger könnte ihr ihr Herz zurückgeben, wenn sie wollte. Dann würde Zera in ihr altes Leben zurückkehren und hätte auch ihre Menschenerinnerungen wieder zurück. “Aber Nightsinger hat mir gesagt, dass sie uns (mich) hier braucht, um sie vor den Menschen zu beschützen, die hinter ihr her sind. Das hindert mich jedoch nicht daran, sie anzuflehen, uns gehen zu lassen.” (Zitat S.36) Doch die Hexe
lehnt immer wieder freundlich ab. Sie kann auf Zera nicht verzichten. Umso überraschter ist das Mädchen, als Nightsinger ihr eines Tages ein unerwartetes Angebot macht. Die Hexe hat Angst davor, dass ein neuer Krieg gegen sie und Ihresgleichen ausbrechen könnte. Und um das zu verhindern, braucht sie ein Druckmittel: das Herz des Prinzen. Wenn Zera es ihm entreißen könnte, hätten die Hexen die Königsfamilie in ihrer Hand. Also wird der Dunstkreis, in dem das Mädchen sich bewegen kann, mit Hilfe eines Medaillons ausgeweitet und Zera schleicht sich als — getarnt als Frühlingsbraut — in den Palast ein, um das Herz von Prinz Lucien zu stehlen: “…ich bin hier, um mir das Organ zu holen, das in seiner Brust schlägt, entweder mit einem Trick oder mit Gewalt. Doch um nah genug an ihn heranzukommen, muss ich sein Vertrauen gewinnen. Der Prinz erwartet Idioten und Schleimer. Ich muss ihm beweisen, dass ich weder das eine noch das andere bin. Ich muss brillant sein, ein diamantenbesetzter Dolch im Rücken seines gelangweilten
Lebens.” (Zitat S.16ff) Womit Zera allerdings nicht gerechnet hat, als sie dem Prinzen allmählich näher kommt, dass sie sich tatsächlich in ihn verlieben könnte. Das erschwert ihre Mission ungemein…
“Heartless: Der Kuss der Diebin” wartet mit einem tollen Plot auf. Die Idee mit dem Mädchen ohne Herz, das es einem anderen stehlen muss, um freizukommen, ist faszinierend: “Ich lege die Hand auf mein Unherz und lausche der Stille in meiner Brust. Nach drei Jahren weiß ich kaum noch, wie es sich angefühlt hat, ein Herz zu haben. […] Also lasse ich es. Ich streife durch den Wald. Und wenn das nicht mehr hilft, werfe ich meinen Umhang über, setze eine Maske auf und bestehle die Edelleute, die auf dem Knochenpfad unterwegs sind — ich raube Juwelen, Kleider, alles Mögliche. Alles, was hübsch ist. Alles, was mir wieder das Gefühl gibt, ein Mensch zu sein, sobald ich es trage.” (Zitat S.27) Denn genau das ist es, wonach Zera sich sehnt — sich endlich wieder menschlich zu fühlen. Denn seit sie ohne Herz ist, spürt sie eine Stimme in sich, die sie zu Schrecklichem auffordert. Dazu zu töten. Ein Blutbad anzurichten. Es gibt nur einen Weg, um diese Stimme, die sie “die rote Glut” nennt, in Schach zu halten: Zera muss jeden Tag zur selben Zeit rohes Fleisch essen. “Wir sind Monster, keine Frage. Aber solange wir rohes Fleisch essen, können wir… weniger monsterhaft sein. Wir spüren den Drang zu töten, zu zerstören, eine Leere in unserer ausgehöhlten Brust, und in dieser Leere nistet eine brennende Glut. Diese Glut erlischt nie.” (Zitat S.32ff) Die Stimme der Glut wird in dem Roman immer fett abgedruckt. Es dauert zu Beginn eine Weile, sich in das Buch, das durchgängig aus Zeras Sicht in der Ich-Perspektive erzählt wird, einzufinden. Es ist eine neue, ungewohnte Welt, viele Details und immer wieder überraschende Andeutungen wie zum Beispiel “Ich wurde niedergestochen. Das ist nichts Neues für mich.” (Zitat S.18), hinter deren Bedeutung man erst kommen muss. Ich muss zugeben, dass mich der Roman zu Beginn noch nicht wirklich packen konnte. Interessant — ja, aber die Spannung baut sich erst sehr langsam auf. Auch gab es Stellen, an denen Zera fast ein wenig unsympathisch, beinahe schon arrogant wirkt: “Ich habe so lange allein gestohlen, dass es beinahe tröstlich war, jemanden zu treffen, der genauso geschickt darin ist. Es ist gut zu wissen, dass die Welt sich auch ohne mich dreht, ob ich nun frei bin oder nicht.” (Zitat S.117) Was dann recht unterhaltsam
wird, sind die Dialoge zwischen Zera und Lucien, auf deren Aufeinandertreffen man immer wieder hinfiebert. Und schließlich — vielleicht so ab Mitte des Buches — wird die Geschichte total mitreißend, romantisch und höchst dramatisch! Man möchte “Heartless: Der Kuss der Diebin” dann eigentlich kaum mehr aus den Händen legen und verfolgt gespannt Zeras innerem Zwiespalt, ihr Vorhaben tatsächlich in die Tat umzusetzen. Das Ende offenbart eine Überraschung, bleibt offen und macht neugierig auf die Fortsetzung.
Fazit: Ein Roman mit ein paar kleinen Anlaufschwierigkeiten, der dann aber doch richtig gut wird!!
Du möchtest wissen wie es weitergeht? Dann lies noch die Fortsetzungen “Heartless: Das Herz der Verräterin” (Band 2) und “Heartless: Die Seele der Magie” (Band 3). Hinsichtlich der unglaublich taffen, starken Protagonistin musste ich ein wenig an “Catwoman: Diebin von Gotham City” von Sarah J. Maas denken. Eine der inhaltlich wohl besten Alternativen ist allerdings “Elian und Lira: Das wilde Herz der See” von Alexandra Christo — hier muss die Tochter der Meereskönigin jedes Jahr als Sirene einem Prinzen das Herz rauben. Doch durch einen Fehler wird sie als Strafe ausgerechnet in einen Menschen verwandelt, etwas, was sie auf keinen Fall sein will! Einzige Möglichkeit wieder zurückverwandelt zu werden: das Herz eines bestimmten Prinzen zu stehlen, in den sie sich — wie auch in “Heartless: Kuss der Diebin” dann aber unerwartet verliebt… Das Herz gestohlen bekommt auch die Hauptfigur in “Heaven: Stadt der Feen” von Christopher Marzi. Verliebt in denjenigen, den sie töten soll, das passiert ebenso in “Heart of Ivy: Geliebter Feind” von Amy Engel.
Bibliografische Angaben:Verlag: Ravensburger ISBN: 978-3-473-58625-7 Erscheinungsdatum: 1.April 2022 Einbandart: Taschenbuch Preis: 11,99€ Seitenzahl: 480 Übersetzer: Simone Wiemken Originaltitel: "Bring me their hearts" Originalverlag: -Entangled Publishing Amerikanisches Originalcover:
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(4 von 5 möglichen Punkten)
---------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Sara Wolf