“Die beste Zeit ist am Ende der Welt” ist ein Roman der britischen Autorin Sara Barnard. Das Buch entführt seine Leser auf einen Roadtrip quer durch Kanada. Ein junges Mädchen, das aus ihrem bisherigen Leben aussteigt und neu anfangen will. Das auf der Suche nach sich selbst und nach Freundschaften und Zugehörigkeit ist, mit welcher sie es in der Vergangenheit schwer hatte. Eine abenteuerliche, unterhaltsame und bewegend erzählte Geschichte, in der vor allem Kanada-Fans und Reiselustige auf ihre Kosten kommen, aber auch Tiefgang und philosophische Untertöne nicht fehlen. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 17-jährige Peyton hat die Kreditkarte ihres Vaters geklaut, einen Brief an ihre Eltern geschrieben und sich in den nächsten Flieger von London nach Kanada gesetzt. Sie will ihr altes Leben hinter sich lassen. Neu anfangen. Denn sie hat einiges durchgemacht. “Fünf Jahre lang habe ich solche Aktionen mitgemacht. Fünf, endlose, schreckliche Jahre, in denen ignoriert zu werden noch das Beste war, was mir passieren konnte. Und dabei hatte ich nichts Schlimmes getan, nicht mal irgendetwas besonders Peinliches. Ich hatte bloß Pech.” (Zitat aus “Die beste Zeit ist am Ende der Welt” S.26) Sie wurde lange Zeit gemobbt, hat keinen einzigen Freund gefunden und auch als sieauf eine neue Schule ging — eine Wirtschaftsschule, auf die sie eigentlich gar nicht gehen wollte, weil sie sich mehr für Kunst interessierte — entwickelte sich nicht wirklich alles zum Positiven für sie. Denn auch falsche, unehrliche Freunde sind nicht die besten Freunde. “Ständig bin ich anderen Leuten hinterhergerannt, um mich selbst zu finden. Vielleicht muss ich einfach mal… na ja, ich sein. Herausfinden, wer ich eigentlich bin, ohne mir am laufenden Band Sorgen zu machen, ob das genug ist.” (Zitat S.33). Und genau das hat sie in Kanada nun vor, einmal quer durch das Land reisen, allein, unabhängig und frei. Sie trifft in einem Hostel auf eine Gruppe Jugendlicher, die gemeinsame Unternehmungen planen und auch Peyton dazu einladen. Darunter ist auch William, den alle Beasy nennen. Er schafft es hinter ihre Fassade zu blicken: “Du verschanzt dich hinter ganz schön dicken Mauern. Und hoch sind sie auch, mit
mehrere Schichten.” Er tut so, als würde er einen Stein auf den anderen setzen. Sein Lächeln ist wissend, aber voller Wärme, und der Ausdruck in seinen Augen ist freundlich. […] Manchmal hilft es ja, mit jemandem zu sprechen, den man nicht besonders gut kennt. Weniger Druck.” (Zitat S.93) Doch ehe er ihr näher kommen kann, haut Peyton auch schon wieder ab. Die Vergangenheit scheint sie einzuholen. Muss sie sich dem, was am Ende in ihrer Heimat passiert ist, wirklich erst stellen, um neu anzufangen?
Das Cover ist sehr schön gestaltet. Mit der gezeichneten Art mal etwas ganz Anderes. Es passt sowohl zu Peyton, die selbst gerne zeichnet, als auch von dem Motiven, die auf dem Cover abgebildet sind und die den Inhalt widerspiegeln. Der Roman wird durchgehend aus Peytons Sicht in Ich-Perspektive erzählt. Er wechselt jedoch immer wieder zwischen der Jetztzeit — betitelt mit “Hier & Jetzt” während sie in Kanada unterwegs ist — und einem “Was zuvor geschah”, welches nach und nach die Ereignisse daheim aufrollt. Das beginnende Mobbing, die fehlenden Freundschaften, das starke Sehnen nach Zugehörigkeit und die neue Wirtschaftsschule, von der Peyton sich eine Veränderung erhoffte. Am Anfang dauerte es etwas, bis ich mich auf die Hauptfigur einlassen konnte. Sie spricht den Leser in manchen Sequenzen direkt an, was etwas gewöhnungsbedürftig ist: “Okay, bringen wir es hinter uns. Ich weiß, was ihr wissen wollt. Ihr wollt wissen…[…] Ihr fragt euch, wie ich jahrelang…[…] Oder vielleicht glaubt ihr…[…] Zuerst lasst mich euch eins sagen.…” (Zitat S.15) Doch diese Anrede lässt allmählich dann nach. Und je besser man Peyton kennenlernt, umso mehr schließt man sie letztendlich ins Herz. Wünscht ihr, dass sie tatsächlich neu anfangen kann nach allem, was sie
erlebt hat: “Ich war raus aus dieser Hölle, die die Claridge Academy für mich gewesen war, weit weg von allen, die mich je gemobbt hatten, und von denen, die es zugelassen hatten. Ich war frei und konnte neu anfangen.” (Zitat S.12) Ahnt jedoch, dass es sowohl an der neuen Schule schwierig geworden ist (die Ereignisse dort werden erst nach und nach aufgedeckt), als auch im jetzigen Leben. Denn eine Flucht ist eine Flucht und keine Lösung. Das erkennt Peyton auch recht schnell: “Warum bin ich noch mal hierhergeflogen? Um zu fliehen. Aber das größte Problem habe ich mitgenommen: Mich selbst. Ich vergrabe mein Gesicht noch tiefer im Kissen. Es brennt vor Scham. Ich bin eine unrettbare, wandelnde Katastrophe.” (Zitat S.116) Wie sie allerdings Stück für Stück aus sich herausgeht, in dieser Gruppe völlig neue Erfahrungen macht, das ist sehr berührend mitzuerleben. Wie sie Anschluss findet,
obwohl sie das eigentlich gar nicht geplant hatte. “Jetzt lachen beide. Ich habe sie zum Lachen gebracht. Diese coolen schottischen Jungs, die schon die halbe Welt bereist haben, habe ich zum Lachen gebracht.” (Zitat S.86) Es ist ein Auf und Ab der Emotionen, das den Leser in “Die beste Zeit ist am Ende der Welt” begleitet. Ein Vor und ein Zurück. Ein Erleben, ein Erinnern und ein Neubewerten. Denn letztendlich ist Rückzug nicht die beste aller Möglichkeiten. Alleinsein auch nicht die ultimative Lösung für den Mensch als soziales Wesen: “Die Sache ist nur die — wenn man allein reist, ist man… allein. So richtig allein. Und um ehrlich zu sein, ist es auch ein bisschen langweilig. Nach drei Tagen nur mit mir und meinen Gedanken, ohne irgendwen zum Reden, erscheint mir die Idee, so ganz auf eigene Faust das Land bis zur anderen Küste zu durchqueren, gar nicht mehr so verlockend.” (Zitat S.127) Die Autorin lässt sich viel Zeit für die Entwicklung ihrer Charaktere, allen voran Peyton. Auch zuweilen in einem ruhigeren Erzähltempo. Unaufdringlich liefert der Roman fast philosophisch angehauchte Untertöne, stellt die Wichtigkeit der Freundschaft hervor und was diese bedeuten kann.
Dir gefällt Sara Barnards Erzählstil? Dann greif noch zu ihren anderen zwei Büchern, die beide unabhängig voneinander zu lesen sind: “Wunder, die wir teilen” (Thema: Freundschaft/Schizophrenie) und “Vielleicht passiert ein Wunder” (Thema: Außenseiter/Gehörlosigkeit). Du magst Roadtrips? Dann lies unbedingt “Offline ist es nass, wenn’s regnet” von Jessi Kirby, “Unter dem Zelt der Sterne” von Jenn Bennett, “The distance from me to you” von Marina Gessner oder die zwei Neuerscheinungen “Mut. Machen. Liebe” von Hansjörg Nessensohn und “Liebe sich, wer kann” von Annette Mierswa. Empfehlenswerte Romane, in denen die Protagonisten über sich hinauswachsen, wären außerdem “Acht Wochen Wüste” (toll!) von Wendelin van Draanen und “Sieben: Spiel ohne Regeln” von M.A.Bennett.
Bibliografische Angaben:Verlag: Arctis ISBN: 978-3-03880-046-0 Erscheinungsdatum: 20.August 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 19,00€ Seitenzahl: 400 Übersetzer: Hanna Christine Fliedner Originaltitel: "Destination anywhere" Originalverlag: Simon & Schuster Britisches Originalcover:
Kasimira auf Inastagram:
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