Eine schöne Sommergeschichte geschrieben — das hat die deutsche Autorin Sabine Giebken mit ihrem neuen Buch “Orcasommer”. Im Mittelpunkt ein Mädchen, das nicht nur ihren Vater kennenlernt, sondern auch eine besondere Bekanntschaft mit einem Wal macht. Liebesgeschichte inklusive. Faszinierend und angenehm erzählt. Leichte Unterhaltung für heiße Sommertage. Nun neu als Taschenbuch erschienen. Für Mädchen ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 17-jährige Svenja fliegt allein nach Kanada. Nach elf Stunden und einer gehörigen Portion Flugangst ist sie nun in Vancouver gelandet, wo sie das erste Mal ihren Vater kennenlernen wird. Den Mann, den ihre Mutter damals in Kalifornien traf und für einen Sommer lieben lernte, ehe sich ihre Wege wieder trennten und jeder in sein eigenes Leben zurückkehrte. Im Internet ist Svenjas Mutter vor einiger Zeit durch Zufall auf ihn gestoßen und jetzt hat Svenja endlich die Chance, ihren Vater zu treffen! Zwei Monate lang wird sie bei ihm wohnen. Doch kaum dass sie da ist, erwartet sie eine Enttäuschung nach der nächsten. Ihr Vater Matt wohnt auf Vancouver Island — einer Insel, in einem Ort namens Solitary Cave, völlig abgeschieden von der menschlichen Zivilisation. Dort kennt jeder jeden und man kann die Einwohner an ein paar Händen abzählen. Zudem wirkt Matt nicht besonders freundlich, eher eisig und distanziert. Manchmal sogar etwas in sich gekehrt und reden tut er auch nicht besonders viel. So hat sich Svenja ihren Vater überhaupt nicht vorgestellt. “Mein verfluchtes Leben lang habe ich auf diesen Menschen gewartet, habe von ihm geträumt und der Himmel weiß was in ihn hineininterpretiert. Er war mein Halt, wenn Mama alles zu viel wurde und ich allein zu Hause saß und mir nichts mehr wünschte als einen Papa, der diese Stimmung abfing. Der da war, wenn Mama weinte, die halbe Nacht.” (Zitat S.77) Matt arbeitet im einem Holzfällercamp und lebt in einer Hütte, die einer Bruchbude gleicht und völlig lieblos eingerichtet ist. Svenja hat zwar ein eigenes Zimmer, aber nicht mal ein Bett, sondern nur zwei Matratzen, die aufeinandergelegt wurden. Schon nach ein paar Tagen und kaum einer Annährung an ihren Vater, der zudem auch ständig arbeiten muss, und das junge Mädchen hat die Schnauze gehörig voll. Das Rückflugticket quasi schon fast in der Tasche, will sie das Weite suchen und zurück nach Deutschland fliegen. Bis auf einmal ein kleiner Orca in der Bucht auftaucht. “Der Wal taucht erneut auf, nur wenige Meter von meinem Felsen entfernt. Er schiebt seinen Kopf s
enkrecht aus dem Wasser, genauso so, wie er es heute bei dem Katamaran getan hat. Ein glasiger Schimmer überzieht die weiße Stelle seiner Haut, den langgezogenen Fleck schräg über seinem Auge. Sieht er mich an? Auf einmal schlägt mein Herz heftig und schnell. Nur wir beide sind hier, so allein.” (Zitat S.105) Auf seltsame Art und Weise fühlt sich Svenja mit diesem einsamen Tier verbunden. Er scheint seine Familie verloren zu haben. Bald werden auch andere auf den jungen Orca aufmerksam. Auch der Meeresbiologe studierende Alex, dem Svenja ebenfalls näher kommt. Und so beschließt sie den Sommer über doch da zu bleiben und herauszufinden, zu wem der Orca, den sie “Solo” tauft wohl gehören mag. Doch eines Tages kommen immer mehr Touristen in die Bucht, die von dem scheinbar “zahmen” Wal gehört haben und die Situation fängt an zu eskalieren…
“Orcasommer” verspricht durch sein Cover bereits eine interessante Tiergeschichte. Der Roman, der durchgehend aus Svenjas Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist, bietet jedoch mehr als einfach nur einen Abenteuerroman, in dem ein Orca eine Hauptrolle spielt. Er kommt zugleich als Coming-of-Age-Geschichte daher, der neben der Vater-Tochter-Problematik auch eine Liebesgeschichte beinhaltet. Und auch wenn das Buch zuweilen etwas gemächlich und in einem ruhigen Erzähltempo voranplätschert, so ist das Einfühlen in die Protagonistin und in ihr Gefühlschaos sehr gut möglich. Ein paar sentimentale Stellen verzeiht man da ausnahmsweise gerne. Zudem erfährt man einiges über Orcas und ihre Lebensart: “Wale sind Familientiere. Die schwimmen nicht allein herum. So ein kleiner Kerl schon gar nicht. Da stimmt etwas nicht. Entweder er ist von seiner Familie getrennt worden oder seine Mutter ist gestorben.” (Zitat S.118) Besonders mitzuerleben wie der entstehende Medienrummel immer heftiger wird und Schaulustige alles daran setzen sich dem Wal zu nähern und seine Zutraulichkeit ausnutzen, das liest sich sehr bewegend und zeigt die traurige Kehrseite der Geschichte. Im hinteren Teil des Buches wird es dann richtig schön dramatisch und nervenaufreibend und immer mehr Geheimnisse treten ans Tageslicht, die alles verändern. An sich könnten das Buch auch schon 12-jährige Mädchen lesen, es gibt nur eine Stelle, die ein wenig blutig ist und bei der ein totes Tier im Wasser näher beschrieben wird, die dem entgegenstünde.
Fazit: Eine unterhaltsame, faszinierende Sommergeschichte!
Übrigens: auf Sabine Giebkens Homepage kannst du noch mehr zur Entstehungsgeschichte zu “Orcasommer” erfahren und ein interessantes Chatgespräch zwischen Matt und Svenjas Mutter lesen. Sozusagen die Vorgeschichte des Buches.
Dir gefällt Sabine Giebkens Erzählart? Dann lies noch ihre anderen Büchern. Besonderen Erfolg hat sie mit ihrer Wolkenherz-Reihe: “Die Spur des weißen Pferdes” (Band 1) und “Eine Fährte im Sturm” (Band 2), “Schatten im Wind” (Band 3), “Ein Schimmern am Horizont” (Band 4). Außerdem geschrieben hat sie den schon etwas älteren Einzeltitel “Über uns das Meer” (über einen Apnoetaucher). Danach folgte “Wolfspferd” (2019) und die neue “PaNia” - Reihe: “Die Legende der Windpferde” (Band 1) und “Im Bann der Windhüter” (Band 2). Dir gefallen Bücher, in denen Orcas eine Hauptrolle spielen? Eine perfekte inhaltliche Alternative ist “Der Gesang der Orcas” von Antje Babendererde. Du könntest auch “Die Nacht der Wale” oder “Das Riff der Delfine” von Christopher Ross lesen. Oder greif zu “Dolphin Rider” von Markus Bennemann, in welchem auch die Presse eine große Rolle spielt an der Entwicklung der Geschichte. Tiergeschichten schreibt ebenso Frederica de Cesco, wie zum Beispiel “Melina und die Delfine” oder “Das Lied der Delfine”. Romane, bei denen es zum ersten Kennenlernen des Vaters kommt, sind zum Beispiel “Inselmelodie” von Kathrin Jäger, “Zebrawald” von Adina Rishe Gewirtz und das sprachlich brillante “Durchs Feuer” von Jenny Valentine. Für Jungs eher (die ihren Vater kennenlernen) sind “Der Sonne nach” von Gabriele Clima und “Sein Reich” von Martin Schäuble.
Bibliografische Angaben:Verlag: Magellan ISBN: 978-3-7348-8208-1 Erscheinungsdatum: 17.Juni 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 11,00€ Seitenzahl: 464 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)