“Back to blue” der australisch-deutschen Autorin Rusalka Reh ist ein Roman über ein besonderes Thema. Herzlosigkeit und Kälte in einer Familie, die das Selbstwertgefühl eines jungen Mädchens prägen. Deren Befreiung und ihr Erleben einer ersten Liebe liest sich sehr berührend. Mit einer teilweise recht poetischen Sprache. Für Jugendliche ab 14 Jahren.
Kid ist 16. Sie ist ein Einzelkind. Ihre Mutter wollte sie im Grunde auch nie haben. “Wenn sie meinen Namen ausspricht, zucke ich zusammen. Ihre Stimme klingt immer ein bisschen böse. Ich weiß eigentlich nie, wieso. Ich glaube, es ist, weil ich ich bin. Auf jeden Fall ist es so, seit ich denken kann.” (Zitat aus “Back to blue” S.10). Manchmal spricht ihre Mutter nicht mit Kid. Oder sie mäkelt an ihr herum. Nie kann sie es ihr recht machen. “Ich fühle mich immer, als wäre ich ein bisschen eklig, ein bisschen beschmiert mit was, das sie gern abwaschen würden. Vielleicht hat Mama deshalb gestern plötzlich den Duschvorhang aufgezerrt, als ich duschte, mir den Brausekopf aus der Hand gerissen und ihn mir frontal aufs Gesicht gehalten. Ich habe mich irre erschrocken und versucht, den Kopf wegzudrehen, aber sie hat weitergemacht…” (S.16) Kid möchte gerne Schriftstellerin werden. Sie liebt es Gedichte zu schreiben und hat nun zur Übung auch das Tagebuchschreiben begonnen. Das verbirgt sie vor ihren Eltern natürlich. Auch, dass sie sich in Maxim, einen jungen Russen verliebt hat, möchte sie lieber für sich behalten. Über persönliche Dinge kann sie mit ihren Eltern nicht reden. Sie selbst sein. Unmöglich. “Ich habe es früher mal versucht, und manchmal, wenn ich nicht aufpasse, rutscht mir auch jetzt noch mal was raus. Und dann sehe ich ihre entgeisterten Gesichter, diese getauschten Blicke, die sagen: Unsere Tochter ist nicht ganz dicht, lenk einfach ab, dann legt sich das.” (S.15) Doch mit Maxim und vor allem mit Silvia, eine ältere Frau, die sie kennenlernt und die immer so nett zu ihr ist, beginnt sich etwas in Kid zu ändern. Sie fängt an nachzudenken. Über sich. Und über das, was ihr in ihrer Familie immer normal erschien…
“Back to blue” wird im Tagebuchstil und aus Kids Sicht geschrieben. Was zunächst noch im Rahmen des Möglichen erscheint, wie es in einer Familie zugehen kann, lässt den Leser bald ungläubig das Gesicht verziehen. Wie kann eine Mutter ihr eigenes Kind nur so behandeln? “Kaum war ich zur Tür rein, packte sie mich am Handgelenk und zerrte mich zum Herd. […] Sie drückte meine Hand noch einmal fest auf die Platte und ich spürte die Hitze. Ich spürte die Wut meiner Mutter. Ich bin ein Stück Mist.” (S.40/41) Was aber noch viel schlimmer ist, wie kann die Tochter glauben, dass sie tatsächlich zu nichts fähig ist? Eine Tochter, deren Lebensmotto es ist, immer in Deckung zu bleiben und sich stets vor dem nächsten (meist) verbalen Angriff fürchtet. Man fühlt als Leser beständig mit Kid mit und hofft gleichzeitig, dass es dem Mädchen gelingt sich von ihren Eltern zu befreien. “Ich habe Angst. Angst, dauernd ausgelacht oder mit Steilfalte zwischen den Augen wie etwas Ekliges behandelt oder als unfähig und dumm bezeichnet zu werden. Ich bin das ja auch wirklich: ängstlich, eklig, dumm. Jedenfalls habe ich oft das Gefühl. Dann meine ich wieder, es stimmt vielleicht doch nicht.” Der Titel des Romans ist sehr gut gewählt, mit ihm harmoniert auch das Cover perfekt. Kids Lieblingssong ist nämlich “Back to black” von Amy Winehouse. Früher als Kind, war ihre Lieblingsfarbe blau. Im Alter von 5 Jahren und aus einer Laune heraus hat sie einmal alle blauen Kleidungsstücke, die sie besessen hat, übereinander angezogen und stolz ihrer Mutter präsentieren wollen. Doch die ohrfeigte sie nur und befahl ihr, die Sachen sofort wieder auszuziehen. Seitdem hat Kid ihre Lieblingsfarbe vergessen. Sich selbst vergessen. In Form eines Kleides im Schaufenster, das ihr gefällt, aber von dem sie nicht glaubt, dass es ihr stehen könnte, taucht das Blau wieder in Kids Leben auf. Silvia, die sie auf der Straße einfach so anspricht, rät ihr, genau dieses Kleid anzuziehen. Und es passt wie angegossen! Dieses Gefühl wieder mehr sie selbst sein zu dürfen und so in Ordnung zu sein, wie sie ist, verändert das junge Mädchen und macht aus dem “Back to black” ein “Back to blue”. Besonders schön ist auch die Vielzahl an Gedichten, die Kid immer wieder schreibt und in ihr Tagebuch, das gleichzeitig der Roman ist, mit einfügt. Diese sind richtig kunstvoll geschrieben.
Wenn dir der Erzählstil von Rusalka Reh gefällt, kannst du noch ein anderes Jugendbuch von ihr lesen: “Asphaltspringer”. Inhaltlich gesehen gibt es einige Alternativen zu “Back to blue”: “Drei Songs später” von Lola Renn zum Beispiel: Ein Roman, der sich ebenfalls mit Zuständen in einer Familie beschäftigt, die so nicht sein sollten und schon in Richtung Vernachlässigung einer Jugendlichen geht. Sehr berührend geschrieben und ebenfalls mit einer Liebesgeschichte versehen, ist “In deinem Licht und Schatten” von Louisa Reid, hier stimmt in der Familie ziemlich viel nicht, auch das Thema Selbstbewusstsein spielt eine große Rolle. Hilfe von einer außenstehenden Person erwarten auch die Mädchen in “Meine Freudin Mia” von Peter Pohl (Thema: Alkoholismus in der Familie).
Bibliografische Angaben:Verlag: Magellan ISBN: 978-37348-5606-8 Erscheinungsdatum: 20.Januar 2015 Einbandart: Hardcover Preis: 14,95€ Seitenzahl: 208 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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