Der britische Autor Ross Welford versorgt seine deutschen Leser — pünktlich zu Beginn jeden Jahres — wieder mit einem neuen Buch. “Das Kind vom anderen Stern” heißt sein aktuelles, in sich abgeschlossenes Werk, das diesmal nichts Geringeres als einen Außerirdischen mit einschließt. Ein verschwundenes Mädchen und deren Zwillingsbruder, der sich mit einem Kumpel und dessen dressierten Huhn auf die Suche nach seiner Schwester macht und dabei einen ganz besonderen Kontakt knüpft. Ein schöner, humorvoller, abenteuerlicher Lesespaß für Jugendliche ab 10 Jahren.
Seit vier Tagen ist die zwölfjährige Tamara, genannt Tammy, bereits verschwunden. Ihr Zwillingsbruder Ethan macht sich große Vorwürfe. “Ich hasse dich!” Das ist das Letzte, was ich zu Tammy gesagt habe. Es will mir nicht mehr aus dem Kopf, natürlich ist das Gegenteil wahr. Meine Zwillingsschwester. Meine “andere Hälfte”, sagt Mam immer und da hat sie recht.” (Zitat S.37) An Heiligabend waren die Geschwister noch im Dorf unterwegs und sollten im Auftrag ihrer Eltern ein paar Geschenke verteilen. Doch sie hatten sich gestritten, weil Ethan ein Kostüm dafür anziehen wollte und Tammy nicht. Sie ist ohne ihn losgefahren. Und als er ihr nachfolgen wollte, hat er nur noch ihr auf dem Boden liegendes Fahrrad im Wald gefunden. Von Tammy keine Spur. Bald beteiligt sich nicht nur die Polizei, sondern auch das ganze Dorf an der Suchaktion. Doch niemand findet einen Hinweis. Bis Ethan von seinem Mitschüler Iggy eines Tages zum Angeln am Stausee eingeladen wird und dieser Einladung folgt, um sich ein wenig abzulenken und die beiden auf ein merkwürdiges Phänomen stoßen: “Bevor wir da ankommen, gibt es auf einmal diese riesige Fontäne. So gigantisch, als hätte jemand von der anderen Seite des Stausees aus großer Höhe ein Auto ins Wasser geschleudert. Natürlich ist es kein Auto. Und genauso wenig glaube ich in dem Moment, dass es ein unsichtbares Ufo ist. Ich bin ja nicht
verrückt geworden. Aber es wird sich herausstellen, dass es genau das ist.” (Zitat S.22) Es ist unsichtbar, doch sie können mit einem Laserpointer dessen Umrisse ausmachen. Das Licht wird immer wieder davon abgeleitet. Auch Steine prallen von dem unsichtbaren Etwas ab. Doch plötzlich stößt ihr Boot um und sie können sich gerade noch so ans Ufer retten. Iggy verletzt sich mit seiner Angelschnur am Bein und blutet. Aber dann taucht wie aus dem Nichts plötzlich ein außerirdisches Wesen auf: “Irgendwie ähnelt das Wesen einem Menschen. Es hat zum Beispiel zwei Arme und zwei Beine. Abgesehen von der langen Mähne auf dem Kopf ist der übrige Körper mit einem hellen gräulichen Flaum überzogen, wie aufgeplustert. Hinten hat es einen langen Schwanz, der sich geschmeidig wie der einer Katze bewegt.” (Zitat S.31) Das Wesen kann ihre Sprache sprechen. Es kann sogar mit einem langen Stab Iggys blutige Wunde komplett heilen. Und was noch viel unglaublicher ist — es
scheint eine Ahnung zu haben, wo Tammy steckt. Denn das “Kind vom anderen Stern”, ein seltsam stinkendes Wesen, das sich Hellyann nennt, ist auf Rettungsmission. Nur dass dabei leider einiges schief gegangen ist…
Das Cover von “Das Kind vom anderen Stern” ist außergewöhnlich schön gestaltet und reiht sich optisch genau in das Design der (unabhängigen) Vorgängertitel ein, wobei ich finde, dass diese wirklich hervorsticht. Wohin es entführt, das machen die Illustrationen mehr als deutlich und auch das Anfangskapitel bereits. Denn nach einem kurzen Zeitungsartikeln, in welchem von der Suche nach der verschwundenen Tammy berichtet wird, knüpft direkt die Perspektive von Hellyann an, die sich auf ihrem Heimatplaneten in der Ausstellung “Erdzone” befindet, und wie in einem Zoo, das neue Exponat, die Tammy betrachtet. “Hinter Ihnen hat sich eine Schlange gebildet, auch andere wollen das neue Exponat besichtigen. Beanspruchen Sie nicht mehr als die Ihnen zustehende Zeit. Der Nächste.” Das Menschenmädchen sieht mir nach, dann zieht es sich in die hinterste Ecke seines Geheges zurück und setzt sich auf den Boden. Da rücken auch schon zwei neue Besucher an.” (Zitat S.11) Doch Hellyann, der es sogar gelingt mit dem Exponat zu kommunizieren und ihren Namen zu erfahren und den ihres Bruders, will nicht einfach hinnehmen, dass Tammy nun für immer hier bleiben muss. “Denn ich werde Ta-mii zur Erde zurückbringen. Das wird gefährlich. Wenn ich scheitere, werde ich für den Rest meines Lebens in den Tiefschlaf versetzt. Und wenn es mir gelingt? Dann werde ich es wahrscheinlich fürs nächste Exponat wieder tun m
üssen. Das ist der Fluch, wenn man Gefühle hat.” (Zitat S.12) Der Roman wird in vier Teilen und aus zwei Perspektiven erzählt: der jeweiligen Ich-Perspektive von Ethan und der von Hellyann. Was mir immer besonders gut an den Büchern von Ross Welford gefällt, ist nicht nur der unterschwellige Humor, der einen begleitet, sondern auch der schöne, rote Erzählfaden. Man wird auf sehr angenehme Art und Weise durch die Geschichte manövriert. Es gibt Rückblenden, es gibt nähere Erklärungen zu einzelnen Personen, alles perfekt choreografiert und aufeinander abgestimmt. Der Autor lässt seine Figuren die Leser zuweilen direkt selbst ansprechen, um einen Erzählrahmen zu schaffen: “Umso schlimmer, dass es mir nicht gelang, das Mädchen zu retten, und ich schließlich allein zur Erde gereist bin. Ihr seht also, es ging schon mal gut los mit meiner Mission…” (Zitat S.79ff) Die Sprache ist locker und sehr flüssig, die Figuren individuell und charakterstark. Besonders Einblick in das Leben auf dem fremden
Planeten der Anthallaner zu bekommen, liest sich mitunter höchst amüsant: “Automobile”, sagte Mr Park, als eines mit einem Menschen am Steuer an uns vorbeibrummte. “Es sind abgewandelte Nachbauten mit Sensoren, aber nehmt euch trotzdem in Acht, dass ihr nicht angefahren werdet. Um euch klarzumachen, wie primitiv Menschen sind, braucht ihr nur zwei Dinge wissen: Sie essen andere Lebewesen und verbrennen Kraftstoffe für Transport und Wärmegewinnung.” Av neben mir schüttelte den Kopf. “Unfassbar!” (Zitat S.92) Das Leben dort scheint schon viel fortgeschrittener zu sein und die Bewohner halten sich um einiges intelligenter als die Menschen. Allerdings können die Anthallaner keine Gefühle empfinden, oder zumindest die meisten von ihnen nicht. Werden von einer künstlichen Intelligenz, einem Mentor, geleitet. Spaß haben, lachen, so etwas kennen sie nicht. Von der Spannung her muss ich sagen, dass diese nicht auf aller höchstem Niveau ist, erst gegen Ende spitzen sich die Ereignisse dann deutlich zu. Aber eine schöne Botschaft ist in “Das Kind vom anderen Stern” enthalten — manchmal lohnt es sich wirklich sein Bestes zu geben!
Übrigens — auf der Homepage von Ross Welford kannst du dir Fotos der Originalschauplätze des Buches anschauen und erfahren, wie es tatsächlich möglich ist, Hühner zu dressieren.
Dir gefällt Ross Welfords Erzählstil? Dann lies unbedingt noch seine anderen Bücher. Seine zwei besten sind für mich “Der Hund, der die Welt rettet” (ein heimlicher Corona-Roman, der Hoffnung macht!) und “Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist”. Sein erstes Buch war “Zeitreise mit Hamster”. Ebenfalls von ihm ist “Der 1000-jährige Junge”. Seine Romane sind alle in sich abgeschlossen und komplett unabhängige Geschichten. Du magst witzige Geschichten, in denen es um Raumschiffe/Außerirdische geht? Schau dir folgende Titel einmal genauer an: “Mein Bruder ist ein Superheld” von David Solomons, “Fipp, Vanessa und die Koofmichs” von Burkhard Spinnen, “Mein rätselhafter Freund Rorty” von Sharon Cohen, “Mist, Oma ist ein Alien (und ich bin schuld!)” von Suzanne Main, “Zorro Vela” von Norbert Zähringer und “Boom!” von Mark Haddon.
Bibliografische Angaben:Verlag: Coppenrath ISBN: 978-3-649-63778-3 Erscheinungsdatum: 8.Januar 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 16,00€ Seitenzahl: 352 Übersetzer: Petra Knese Originaltitel: "The kid who cam from space" Originalverlag: Harper Collins UK Britisches Originalcover:
Der Autor liest aus seinem Buch (auf Englisch):
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(4 von 5 möglichen Punkten)
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