Robert Habeck, Andrea Paluch — Zwei Wege in den Sommer

Kasimira15.Mai 2020

Zwei Wege in den Som­mer” von dem deut­schen Poli­ti­ker und Schrift­stel­ler Robert Habeck  und sei­ner Frau Andrea Paluch ist ein Roman über einen ent­schei­den­den Som­mer, über Freund­schaft, Lie­be und die Sehn­sucht eines Jun­gen nach dem Tod. Wie wird der Som­mer enden? Ein anspruchs­vol­ler, teils recht phi­lo­so­phi­scher Roman. Eine Sinn­su­che, die an Gren­zen geht. Ein Ado­les­zenz­ro­man, der anders ist und zur Aus­ein­an­der­set­zung auf­ruft. 2007 für den Deut­schen Jugend­li­te­ra­tur­preis nomi­niert gewe­sen. Nun nach 14 Jah­ren neu und etwas über­ar­bei­tet als Taschen­buch erschie­nen. Für (rei­fe) Jugend­li­che ab 15 Jah­ren und Erwachsene.

Es ist die letz­te Prü­fung vor den Som­mer­fe­ri­en. Bio­lo­gie bei der attrak­ti­ven Leh­re­rin Fran­zis­ka Schul­te. Max schreibt die letz­ten Wor­te und legt den Stift bei­sei­te. Noch ein­mal alles durch­le­sen? Nein, das will er nicht. Das wird schon alles pas­sen. Doch er denkt an die vor ihm lie­gen­den Feri­en: “Ich sah auf mei­nem Blatt den Som­mer und im Som­mer das Leben. Der Weg in die Frei­heit führ­te nicht mehr an irgend­wel­chen Auf­ga­ben ent­lang, die sich Leh­rer aus­ge­dacht hat­ten, son­dern an selbst gestell­ten. Wer sonst soll­te mich noch her­aus­for­dern?” (Zitat aus “Zwei Wege in den Som­mer”). Also reißt Max kur­zer­hand ein lee­res Blatt aus sei­nem Papier­block und fängt anKasimira sei­ne 5 Punk­te für die­sen Som­mer auf­zu­schrei­ben: “1.Oles Vater erleuch­ten, 2. Fran­zis­ka Schul­te ver­füh­ren, 3. Klaas, die Bun­des­wehr aus­re­den, 4. Gesa küs­sen, 5. Geld ver­die­nen. Geld kann man immer gebrau­chen. Die ande­ren Klip­pen, um die ich mei­nen Som­mer füh­ren woll­te, hat­ten noch kei­ne Namen. Aber eines war sicher. Ren­te wür­de ich nie bekom­men.” (Zitat S.10) Denn Max’ gro­ßer Plan für die­sen Som­mer ist vor allem, sich das Leben zu neh­men. Er will sei­ner Zwil­lings­schwes­ter Miri­am fol­gen, die sich vor zwei Jah­ren das Leben nahm. Er kauft sich ein klei­nes Boot und segelt allei­ne in Rich­tung Finn­land. Sein Freund Ole, der mit sei­ner Freun­din Sven­ja per Güter­wa­gen trampt, hat das glei­che Ziel. Die Drei wol­len sich dort tref­fen: Ole, der vor hat, noch mit Sven­ja zu schla­fen und dann mit ihr Schluss zu machen. Sven­ja, die frü­her in Max ver­liebt war und die Rei­se mit ihrem Han­dy doku­men­tiert und offe­ne Wor­te Kasimiraspricht. Und Max, der nach dem ein­fachs­ten Weg sucht um zu ster­ben, aber irgend­wie auch ver­ste­hen will, war­um Miri­am gestor­ben ist. Sven­ja scheint dar­über mehr zu wis­sen, als er ahnt… doch wer­den sie sich über­haupt noch ein­mal sehen?

Das Cover wirkt unge­wöhn­lich und anders. Stellt jedoch die drei Prot­ago­nis­ten (wenn auch etwas dun­kel zum Teil belich­tet) pas­send in den Vor­der­grund. “Zwei Wege in den Som­mer” begeis­ter­te mich zu Beginn vor allem durch die Spra­che. Max sitzt in sei­ner letz­ten Abi-Vor­klau­sur und ver­sinkt in tief­grün­di­gen Gedan­ken: “Man muss an sei­ne Mög­lich­kei­ten glau­ben. Man muss sie suchen, fin­den, erken­nen, die Mög­lich­kei­ten, die Ord­nung hin­ter der Ord­nung. So ver­such­te ich in dem Mus­ter aus Tin­te und linier­tem Raum einen höhe­ren Sinn zu sehen. […] Und plötz­lich, als wäre es ein dechif­frier­ter Code, sah Kasimiraich den Weg, den ich gehen muss­te, ohne auf die Lini­en zu tre­ten.” (Zitat S.7) Phi­lo­so­phisch anmu­ten­de Pas­sa­gen schlei­chen sich immer wie­der in den Erzähl­text ein. Man­che erwähn­te Din­ge wer­den spä­ter wie­der auf­ge­grif­fen, was ein erzäh­le­risch sehr run­des Bild ergibt. Der Roman ist auf jeden Fall mit höhe­rem Anspruch geschrie­ben, schafft sprach­lich aber bemer­kens­wer­ter­wei­se den Spa­gat zwi­schen phi­lo­so­phi­schen Exkur­sen und den­noch teils jugend­sprach­li­cher Aus­drucks­wei­se: “Was ich will oder nicht will, muss mit dem zusam­men­pas­sen, was ande­re wol­len oder nicht wol­len. Das heißt doch eigent­lich, mein Leben ist nicht meins, son­dern gehört uns allen. Das Dum­me ist nur, dass mein Leben viel­leicht allen ande­ren gehört, aber ich kei­nen Anspruch auf das Leben der ande­ren habe, sonst wäre ich längst schon mit Frau Fran­zis­ka Schul­te im Bett. Drauf geschis­sen.” (Zitat S.12) Den­noch gibt es auch Kasimiraordent­li­che Gedan­ken­sprün­ge im Fließ­text oder man­chen Crash­kurs in Sachen Phi­lo­so­phie (bei­spiels­wei­se über Hegel), der sehr aus­führ­lich wird. Ein reges Gedan­ken­ka­rus­sell beglei­tet Max, aus des­sen Ich-Per­spek­ti­ve der Haupt­teil des Romans geschrie­ben ist. Über­le­gung zu Frei­heit, Selbst- und Fremd­be­stim­mung, den Tod, Sex und Poli­tik tau­chen in “Zwei Wegen in den Som­mer” auf. Dass Robert Habeck Phi­lo­so­phie stu­diert hat und als Poli­ti­ker (bei den Grü­nen) arbei­tet, merkt man. So ist Oles Vater zum Bei­spiel auch Poli­ti­ker bei sel­bi­ger Par­tei. Max ist ein etwas sprö­der, eigen­wil­li­ger, aber sehr viel­schich­ti­ger Cha­rak­ter. Oft deu­tet er Din­ge an, möch­te dann aber nicht dar­über spre­chen: “Ich soll­te jetzt viel­leicht von Miri­am erzäh­len, aber das möch­te ich noch nicht.” (Zitat S.10ff) und “Ver­mut­lich soll­te ich jetzt der Rei­he nach erzäh­len,…[…] Aber gera­de habe ich dazu über­haupt kei­nen KasimiraBock.” (Zitat S.57) Äußer­lich wirkt er locker, wie zum Bei­spiel auf Sven­ja und Ole, die Max bei­de unab­hän­gig von­ein­an­der dar­um bit­ten, mit dem jewei­li­gen ande­ren über ihre Bezie­hung zu spre­chen. Aber was in sei­nem Inne­ren abgeht, davon ahnt kaum jemand etwas. Dann ist da auch noch das Geheim­nis um Miri­ams Tod, das sich wie ein klit­ze­klei­ner, roter Faden durch den Roman zieht. Wäh­rend man­che Pas­sa­gen dann doch etwas hoch­ge­sto­chen wir­ken und sich das Erzähl­tem­po teils etwas sehr ver­liert, sorgt die zwei­te Per­spek­ti­ve, die schließ­lich auf­taucht, für etwas Auf­re­gung: Sven­ja erzählt in kur­si­ver Schreib­wei­se ihre Erleb­nis­se auf der Rei­se, die sie mit ihrem Han­dy doku­men­tiert. Was sie über Miri­ams Tod weiß. Sven­ja, die Miri­ams bes­te Freun­din war und noch näher an Max’ Schwes­ter an jenem ver­häng­nis­vol­len Abend dran war. Den­noch konn­te ich mich beim Lesen teil­wei­se nicht dage­gen erweh­ren, eini­ge Hand­lungs­strän­ge doch etwas rea­li­täts­fremd zu emp­fin­den. Ein wild­frem­des Bäcke­rei­mäd­chen, das er unter­wegs trifft und das Max mal eben — von den Eltern erlaubt — tage­lang auf sei­nem Segel­turn beglei­ten darf? Sei­ne Leh­re­rin, die Max Sex ver­spricht, soll­te er den Som­mer über­le­ben (anstatt Hil­fe zu holen)? Sven­ja, die äußerst frei­zü­gig von ihr und Ole erzählt? Auch das Ende war irgend­wie nicht ganz zufriedenstellend.

Fazit: Konn­te mich letz­ten Endes — trotz fas­zi­nie­ren­dem Beginn — erzäh­le­risch lei­der nicht über­zeu­gen. Aber am bes­ten selbst lesen und eine eige­ne Mei­nung bilden:-)

Dir gefällt der Erzähl­stil von Robert Habeck und Andrea Paluch? Dann lies noch ihre älte­ren Kin­der- und Jugend­bü­cher: “Jagd auf den Wolf” (2001, ab 10), “Wolfs­spu­ren” (2005, ab 10), “Unter dem Gul­ly liegt das Meer” (2007, ab Lesealternativen14), “Som­mer­gig” (2009, ab 14), “Felix und Lea: Der Turm ohne Türen (2009, ab 10), “Bevor du mit dem Teu­fel tanzt” (2009, ab 13), “Felix und Lea: Jagd auf den Fal­ken” (2010, ab 10), “Wolfs­nacht” (2011, ab 10), “Ruf der Wöl­fe” (2019, ab 10). Du magst Titel, in denen drei Per­so­nen die Haupt­rol­le spie­len? Dann greif zu “Die Atten­tä­ter” von Anto­nia Michae­lis (bril­lant, sprach­lich auch anspruchs­vol­ler), “Zwei oder drei Din­ge, die ich dir nicht erzählt habe” von Joy­ce Carol Oates oder “Auch dein Tod ändert nichts” von Celia Rees (mit poli­ti­schem Hin­ter­grund). Etwas schrä­ger ist auch “All the stran­gest things are true” von April Gene­vie­ve Tuchol­ke. Das The­ma Sui­zid fas­zi­niert dich? Dann könn­te ich mir die­se Roma­ne sehr gut vor­stel­len: “Für nie­mand” von Tobi­as Elsä­ßer“Zehn Grün­de, die tod­si­cher fürs Leben spre­chen” von Albert Bor­ris (eben­falls ein Road­mo­vie) und “Sur­vi­ve: Wenn der Schnee mein Herz berührt” von Alex Morel. Auf der Suche nach sich selbst und auf einer Rei­se sind zudem die Prot­ago­nis­ten in “French Sum­mer: A fuck­ing gre­at road trip” von Mari­an de Smet, “Per­fect escape” von Jen­ni­fer Brown, “Mor­gen ist heu­te schon vor­bei” von Cla­re Fur­niss und “Der Son­ne nach” von Gabrie­le Cli­ma.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: dtv
ISBN: 978-3-423-71865-3
Erscheinungsdatum: 24.April 2020
Einbandart: Taschenbuch
Preis: 9,95€
Seitenzahl: 224 
Übersetzer: -
Originaltitel: -
Originalverlag: -

Deutsches Originalcover (2006):
Kasimira












Die Taschenbuchausgabe von 2018:
Kasimira

Kasimiras Bewertung:

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(2,5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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