“Zwei Wege in den Sommer” von dem deutschen Politiker und Schriftsteller Robert Habeck und seiner Frau Andrea Paluch ist ein Roman über einen entscheidenden Sommer, über Freundschaft, Liebe und die Sehnsucht eines Jungen nach dem Tod. Wie wird der Sommer enden? Ein anspruchsvoller, teils recht philosophischer Roman. Eine Sinnsuche, die an Grenzen geht. Ein Adoleszenzroman, der anders ist und zur Auseinandersetzung aufruft. 2007 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert gewesen. Nun nach 14 Jahren neu und etwas überarbeitet als Taschenbuch erschienen. Für (reife) Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene.
Es ist die letzte Prüfung vor den Sommerferien. Biologie bei der attraktiven Lehrerin Franziska Schulte. Max schreibt die letzten Worte und legt den Stift beiseite. Noch einmal alles durchlesen? Nein, das will er nicht. Das wird schon alles passen. Doch er denkt an die vor ihm liegenden Ferien: “Ich sah auf meinem Blatt den Sommer und im Sommer das Leben. Der Weg in die Freiheit führte nicht mehr an irgendwelchen Aufgaben entlang, die sich Lehrer ausgedacht hatten, sondern an selbst gestellten. Wer sonst sollte mich noch herausfordern?” (Zitat aus “Zwei Wege in den Sommer”). Also reißt Max kurzerhand ein leeres Blatt aus seinem Papierblock und fängt an seine 5 Punkte für diesen Sommer aufzuschreiben: “1.Oles Vater erleuchten, 2. Franziska Schulte verführen, 3. Klaas, die Bundeswehr ausreden, 4. Gesa küssen, 5. Geld verdienen. Geld kann man immer gebrauchen. Die anderen Klippen, um die ich meinen Sommer führen wollte, hatten noch keine Namen. Aber eines war sicher. Rente würde ich nie bekommen.” (Zitat S.10) Denn Max’ großer Plan für diesen Sommer ist vor allem, sich das Leben zu nehmen. Er will seiner Zwillingsschwester Miriam folgen, die sich vor zwei Jahren das Leben nahm. Er kauft sich ein kleines Boot und segelt alleine in Richtung Finnland. Sein Freund Ole, der mit seiner Freundin Svenja per Güterwagen trampt, hat das gleiche Ziel. Die Drei wollen sich dort treffen: Ole, der vor hat, noch mit Svenja zu schlafen und dann mit ihr Schluss zu machen. Svenja, die früher in Max verliebt war und die Reise mit ihrem Handy dokumentiert und offene Worte spricht. Und Max, der nach dem einfachsten Weg sucht um zu sterben, aber irgendwie auch verstehen will, warum Miriam gestorben ist. Svenja scheint darüber mehr zu wissen, als er ahnt… doch werden sie sich überhaupt noch einmal sehen?
Das Cover wirkt ungewöhnlich und anders. Stellt jedoch die drei Protagonisten (wenn auch etwas dunkel zum Teil belichtet) passend in den Vordergrund. “Zwei Wege in den Sommer” begeisterte mich zu Beginn vor allem durch die Sprache. Max sitzt in seiner letzten Abi-Vorklausur und versinkt in tiefgründigen Gedanken: “Man muss an seine Möglichkeiten glauben. Man muss sie suchen, finden, erkennen, die Möglichkeiten, die Ordnung hinter der Ordnung. So versuchte ich in dem Muster aus Tinte und liniertem Raum einen höheren Sinn zu sehen. […] Und plötzlich, als wäre es ein dechiffrierter Code, sah ich den Weg, den ich gehen musste, ohne auf die Linien zu treten.” (Zitat S.7) Philosophisch anmutende Passagen schleichen sich immer wieder in den Erzähltext ein. Manche erwähnte Dinge werden später wieder aufgegriffen, was ein erzählerisch sehr rundes Bild ergibt. Der Roman ist auf jeden Fall mit höherem Anspruch geschrieben, schafft sprachlich aber bemerkenswerterweise den Spagat zwischen philosophischen Exkursen und dennoch teils jugendsprachlicher Ausdrucksweise: “Was ich will oder nicht will, muss mit dem zusammenpassen, was andere wollen oder nicht wollen. Das heißt doch eigentlich, mein Leben ist nicht meins, sondern gehört uns allen. Das Dumme ist nur, dass mein Leben vielleicht allen anderen gehört, aber ich keinen Anspruch auf das Leben der anderen habe, sonst wäre ich längst schon mit Frau Franziska Schulte im Bett. Drauf geschissen.” (Zitat S.12) Dennoch gibt es auch ordentliche Gedankensprünge im Fließtext oder manchen Crashkurs in Sachen Philosophie (beispielsweise über Hegel), der sehr ausführlich wird. Ein reges Gedankenkarussell begleitet Max, aus dessen Ich-Perspektive der Hauptteil des Romans geschrieben ist. Überlegung zu Freiheit, Selbst- und Fremdbestimmung, den Tod, Sex und Politik tauchen in “Zwei Wegen in den Sommer” auf. Dass Robert Habeck Philosophie studiert hat und als Politiker (bei den Grünen) arbeitet, merkt man. So ist Oles Vater zum Beispiel auch Politiker bei selbiger Partei. Max ist ein etwas spröder, eigenwilliger, aber sehr vielschichtiger Charakter. Oft deutet er Dinge an, möchte dann aber nicht darüber sprechen: “Ich sollte jetzt vielleicht von Miriam erzählen, aber das möchte ich noch nicht.” (Zitat S.10ff) und “Vermutlich sollte ich jetzt der Reihe nach erzählen,…[…] Aber gerade habe ich dazu überhaupt keinen Bock.” (Zitat S.57) Äußerlich wirkt er locker, wie zum Beispiel auf Svenja und Ole, die Max beide unabhängig voneinander darum bitten, mit dem jeweiligen anderen über ihre Beziehung zu sprechen. Aber was in seinem Inneren abgeht, davon ahnt kaum jemand etwas. Dann ist da auch noch das Geheimnis um Miriams Tod, das sich wie ein klitzekleiner, roter Faden durch den Roman zieht. Während manche Passagen dann doch etwas hochgestochen wirken und sich das Erzähltempo teils etwas sehr verliert, sorgt die zweite Perspektive, die schließlich auftaucht, für etwas Aufregung: Svenja erzählt in kursiver Schreibweise ihre Erlebnisse auf der Reise, die sie mit ihrem Handy dokumentiert. Was sie über Miriams Tod weiß. Svenja, die Miriams beste Freundin war und noch näher an Max’ Schwester an jenem verhängnisvollen Abend dran war. Dennoch konnte ich mich beim Lesen teilweise nicht dagegen erwehren, einige Handlungsstränge doch etwas realitätsfremd zu empfinden. Ein wildfremdes Bäckereimädchen, das er unterwegs trifft und das Max mal eben — von den Eltern erlaubt — tagelang auf seinem Segelturn begleiten darf? Seine Lehrerin, die Max Sex verspricht, sollte er den Sommer überleben (anstatt Hilfe zu holen)? Svenja, die äußerst freizügig von ihr und Ole erzählt? Auch das Ende war irgendwie nicht ganz zufriedenstellend.
Fazit: Konnte mich letzten Endes — trotz faszinierendem Beginn — erzählerisch leider nicht überzeugen. Aber am besten selbst lesen und eine eigene Meinung bilden:-)
Dir gefällt der Erzählstil von Robert Habeck und Andrea Paluch? Dann lies noch ihre älteren Kinder- und Jugendbücher: “Jagd auf den Wolf” (2001, ab 10), “Wolfsspuren” (2005, ab 10), “Unter dem Gully liegt das Meer” (2007, ab 14), “Sommergig” (2009, ab 14), “Felix und Lea: Der Turm ohne Türen” (2009, ab 10), “Bevor du mit dem Teufel tanzt” (2009, ab 13), “Felix und Lea: Jagd auf den Falken” (2010, ab 10), “Wolfsnacht” (2011, ab 10), “Ruf der Wölfe” (2019, ab 10). Du magst Titel, in denen drei Personen die Hauptrolle spielen? Dann greif zu “Die Attentäter” von Antonia Michaelis (brillant, sprachlich auch anspruchsvoller), “Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe” von Joyce Carol Oates oder “Auch dein Tod ändert nichts” von Celia Rees (mit politischem Hintergrund). Etwas schräger ist auch “All the strangest things are true” von April Genevieve Tucholke. Das Thema Suizid fasziniert dich? Dann könnte ich mir diese Romane sehr gut vorstellen: “Für niemand” von Tobias Elsäßer, “Zehn Gründe, die todsicher fürs Leben sprechen” von Albert Borris (ebenfalls ein Roadmovie) und “Survive: Wenn der Schnee mein Herz berührt” von Alex Morel. Auf der Suche nach sich selbst und auf einer Reise sind zudem die Protagonisten in “French Summer: A fucking great road trip” von Marian de Smet, “Perfect escape” von Jennifer Brown, “Morgen ist heute schon vorbei” von Clare Furniss und “Der Sonne nach” von Gabriele Clima.
Bibliografische Angaben: Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-71865-3 Erscheinungsdatum: 24.April 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,95€ Seitenzahl: 224 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Deutsches Originalcover (2006): Die Taschenbuchausgabe von 2018:
Kasimiras Bewertung:
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