“Sie brachten uns Hoffnung: Die Geschichte von Edward Galinski und Mala Zimetbaum” ist ein biografischer Roman des deutschen Autoren Reiner Engelmann. Der Autor, der das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, hat sich bereits in zahlreichen Büchern mit dem Thema Holocaust auseinandergesetzt. So auch in seinem aktuellsten Titel, in dem er die Lebensgeschichte von Edward Galinski und Mala Zimetbaum beschreibt. Edward wollte Seefahrer werden, schloss sich während des Zweiten Weltkrieg dem Widerstand an und wurde verhaftet. Er kam mit dem ersten Transport in das Konzentrationslager in Auschwitz. Mala, die als Jüdin ebenso verhaftet wurde, aber aufgrund ihres Sprachentalents für die SS arbeiten musste, kam ins Außenlager in Auschwitz-Birkenau. Dort lernte sie Edward kennen, der gelegenlich in Birkenau Reparaturarbeiten ausführte. Die beiden verliebten sich ineinander. Eine Liebe in Auschwitz? Kann so etwas sein? “Romeo und Julia von Auschwitz” — wie man sie nannte zeigen, dass dies durchaus möglich war. Dass gerade ihre Liebe zueinander ihnen Kraft gab in einer Zeit des Schreckens. Aufgrund ihrer besseren Stellung im Lager setzen sie sich unermüdlich für andere ein und planten schließlich auch ihre Flucht, um über die Geschehnisse in Auschwitz zu informieren. Ein bewegender, eher sachlich erzählter Roman, der mit einigen Fotografien aufbereitet ist und über eine Zeit berichtet, die niemals in Vergessenheit geraten sollte. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Edward, genannt Edek, möchte zur Marine gehen. Das ist sein großer Traum. Doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg und er macht stattdessen eine Mechanikerlehre, weil er in der Nähe seiner Familie bleiben möchte. Weil er nicht tatenlos zusehen will, wie die Deutschen in Polen einmarschieren, schließt er sich dem Widerstand an. Bis er eines Tages verhaftet wird und nach Auschwitz ins Konzentrationslager kommt. Er ist mit dem ersten Transport dort angekommen, im Alter von 17 Jahren. Der Alltag ist grausam, die Kapos prügeln ständig auf die Häftlinge ein. “Danach zwangen die Kapos sie, auf Bäume zu klettern, die es auf dem Gelände gab, und wer zu langsam war, wurde erneut verprügelt. Als Nächstes befanden die Kapos, das Gras sei zu hoch gewachsen, und verlangten von den Männern, es mit ihren Zähnen zu kürzen. Lautes Gelächter kam von den Aufsehern, während sie zusahen, wie die Häftlinge auf allen Vieren über das Gelände robbten und die Grashalme abbissen.” (Zitat S.42ff) Edek möchte unbedingt überleben. Also versucht er in entscheidenden Momenten möglichst unauffällig und unsichtbar zu sein und bei seiner Arbeit in der Schlosserei möglichst fleißig und strebsam. Bald sind alle sehr zufrieden mit ihm und er genießt seine Sondereinsätze und mit dem Werkzeugkoffer durch das ganze Lager marschieren zu können. “Manchmal beobachtete er, wie selbst SS-Frauen ihn, den groß gewachsenen und gut aussehenden jungen Mann, anerkennend von oben bis unten musterten, was allen Nazi-Regeln widersprach.
Edel gefiel das und er musste schmunzeln. Aber auch Häftlinge schauten ihm bewundernd nach. Wenn er ihnen zunickte, fassten sie neuen Mut. Der war notwenig, um durchzuhalten.” (Zitat S.53ff) Mala lebt mit ihrer Familie ebenso in Polen, flüchtet während des Zweiten Weltkriegs aber nach Belgien. Sie ist Jüdin und sehr sprachenbegabt. Ihre Familie hat wenig Geld und alle Kinder müssen arbeiten gehen. Bis sie eines Tages verhaftet wird und schließlich in das Außenlager von Auschwitz, nach Birkenau, kommt. Aufgrund ihrer Sprachenbegabung darf Mala unter anderem als Dolmetscherin und Schreibkraft arbeiten. Aber auch Botschaften übermitteln. “Sie selber hatte mit ihrem Arbeitseinsatz Glück. Sie war Läuferin und gehörte so zu den wenigen, die eine bessere Stellung im Lager besaßen. Ihre Verpflegung war besser. Jetzt, in dieser kalten Jahreszeit, durfte sie warme Kleidung tragen, die sie aus dem Kanada-Lager bekam. Und ihre Position ermöglichte es ihr, Mitgefangenen heimlich zu helfen.” (Zitat S.14) Auch ihre Haare wurden ihr nicht abgeschnitten. Dann begegnet sie Edek, der auf einem Außeneinsatz auch nach Birkenau
kommt. “Es war nur ein kurzer Blick, doch er hatte ausgereicht, dass sie später immer wieder an ihn denken musste und sein Bild vor sich sah. Die Gedanken an ihn wärmten sie.” (Zitat S.14) Die beiden kommen sich näher. Doch hat ihre Liebe in einem Konzentrationslager — noch dazu eine verbotene Liebe — überhaupt eine Chance?
Das Cover ist ansprechend und passend gestaltet, erinnert von der Aufmachung her auch an die anderen Titel des Autoren, die er bereits über den Holocaust schrieb. In einem Vorwort beschreibt Reiner Engelmann wie er bei diesem Buch vorgegangen ist: “Die Liebe zwischen Edek und Mala in Auschwitz ist eine wahre Geschichte. Ich habe viele Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gelesen, die die beiden kannten und sie mit ihren Worten beschrieben haben. Anhand dieser Aussagen habe ich mir ein Bild von den beiden jungen Menschen gemacht, wie sie waren und wie sie gewesen sein könnten. Es ist der Versuch einer Annäherung an ihr Leben und ihre Liebe in Auschwitz.” (Zitat S.10) In einem Prolog lässt er die beiden Protagonisten das erste Mal aufeinandertreffen. Er verwendet einen allwissenden Erzähler, der sich aber nur sehr selten zeigt, hauptsächlich wird sich auf Mala und Edek konzentriert, die in sich abwechselnden Kapitel berichten. Während sich ihre jeweilige Lebensgeschichte langsam entfaltet, steuern sie — zeitlich chronologisch ablaufend — auf ihre Liebesgeschichte zu. “An mehr Nähe wollte sie gar nicht denken, das schien ihr unmöglich. Nicht hier, nicht an diesem Ort. Hier gab es nur Hass und Gewalt, keine Zuneigung, keine Liebe. Liebe war verboten. Das wusste sie. Trotzdem erkundigte sie sich bei ihren Mithäftlingen nach seinem Namen.” (Zitat S.15) Eine Liebe, die sie zunächst gar nicht für möglich halten. Die sich vorerst nur in Gedanken abspielt. “Abends lag Edek jetzt lange wach und rief sich Mala ins Gedächtnis. Es fühlte sich gut an, an sie zu denken. Wie wenn er nicht mehr allein wäre.” (Zitat S.72) Sehr romantisch wirkt die Erzählart nicht wirklich, hat recht viel Sachlichkeit in sich. Doch der Schreibstil von Reiner Engelmann ist sehr flüssig und angenehm zu lesen. Hauptaugenmerk liegt auch vor allem auf dem, was Mala und Edek im Konzentrationslager Verborgenes leisten.
Wie vielen Menschen sie selbstlos helfen, gerade aufgrund ihrer besseren Stellung, die ihnen dies ermöglicht. “Die [Mala] hat schon so manch einer von uns das Leben gerettet. Mal besorgt sie Medikamente, mal versucht sie, geschwächten Frauen eine leichtere Arbeit zu beschaffen, und wenn im Krankenblock Selektionen anstehen, hat sie die Leute schon vorher da rausgeholt und so vor dem sicheren Tod bewahrt.” (Zitat S.71ff) Auch wenn sie ein Risiko eingehen, erwischt zu werden. Und schließlich planen die beiden auch ihre Flucht. Dies liest sich höchst fesselnd und temporeich. Man fiebert und bangt mit ihnen, hofft, dass sie es schaffen zu entkommen und ahnt gleichzeit, dass dies nicht einfach werden wird. Im Anhang gibt es einen recht ausführlichen Glossar, der sich über 40 Seiten erstreckt und zunächst Begrifflichkeiten erklärt, danach Orte und Persönlichkeiten (kurze Biografien). Auch die verwendete Literatur für dieses Buch, Bildnachweise und eine Danksagung des Autoren sind enthalten.
Dir gefällt der Erzählstil von Reiner Engelmann? Zum Thema Holocaust hat er noch zahlreiche andere Bücher geschrieben: “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse”, “Der Buchhalter von Auschwitz: Die Schuld des Oskar Gröning” und “Alodia, du bist jetzt Alice”, die ich alle sehr empfehlen kann. Außerdem veröffentlichte er noch “Wir haben das KZ überlebt: Zeitzeugen berichten”, “Doch meine Seele hat Narben: wie Niusia Horowitz dank Oskar Schindler den Holocaust überlebte.”, “Hass und Versöhnung: Ein ehemaliger Neonazi und eine Holocaust-Überlebende begegnen sich”, “Ich bin Jude — Euer Antisemitismus ist mein Alltag” und “Stell dir vor, es wäre Frieden”. Noch mehr Bücher von ihm, auch zu anderen Themen findest du auf seiner Homepage. Es gibt im Jugendbuch sehr viele Romane, die in Auschwitz spielen. Mich hat damals “Der Klang der Hoffnung” von Suzy Zail dazu gebracht, mich näher mit dem Thema Holocaust/Konzentrationslager zu befassen. Bücher, die ich ebenfalls eine große Leseempfehlung aussprechen kann, sind “Der Junge im gestreiften Pyjama” von Johne Bohne, “Ich habe den Todesengel überlebt” von Eva Mozes Kor und Lisa Rojany Buccieri, “28 Tage”von David Safier und “Das rote Band der Hoffnung” von Lucy Adlington. Oder lies die Neuerscheinung von diesem Jahr: “Wir Kinder von Auschwitz: Wie ich das Todeslager überlebte” von Tova Friedman, welches auch sehr bewegend (und zugleich erschütternd) geschrieben ist.
Bibliografische Angaben:Verlag: ctb ISBN: 978-3-570-31602-3 Erscheinungsdatum: 11.September 2024 Einbandart: Taschenbuch Preis: 10,00€ Seitenzahl: 224 Eine kurze Dokumentation über Mala Zimetbaum (und auch Edek):
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