“Alodia, du bist jetzt Alice!” ist das neueste Buch des deutschen Autoren Reiner Engelmann. Ein autobiografischer Roman über den Holocaust, über Kinderraub und Zwangsadaption im Nationalsozialismus. Eine sehr gut recherchierte Geschichte mit vielen zusätzlichen Erläuterungen und Fotografien. Ein Lebenszeugnis, das ergreifend, erschreckend und doch so wahr ist. Ein Buch gegen das Vergessen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Polen während des Zweiten Weltkriegs. Hier lebt die polnische Familie Witaszek. Der Vater, Franciszek Witaszek — ein angesehener Arzt und Wissenschaftler — jedoch im Geheimen Teil einer Widerstandsgruppe, wird eines Tages festgenommen und schließlich umgebracht. Die Mutter — Halina Witaszek, wird auch verhaftet und wieder frei gelassen und dann wieder verhaftet. Landet letztendlich in Ausschwitz. Ihre fünf gemeinsamen Kinder werden auf verschiedene Verwandten verteilt. Die Schwestern Alodia und Daria landen bei einem Onkel und einer Tante. Bis sie im “Rasseamt” der Gestapo vorstellig werden müssen und schließlich aufgrund ihrer blonden Haare und der blauen Augen den Verwandten entrissen werden. Sie sollen zur nordischen Rasse gehören, nur die falsche Sprache erlernt haben und nun “eingedeutscht” werden. Ein langer Leidensweg steht den Kindern bevor, der sie zunächst in das Kinder- und Jugend-Verwahrlager Litzmannstadt führt, das auch Klein-Auschwitz genannt wird und dann in ein Kinderheim, in dem sie “germanisiert” werden. Doch ihre Familie gibt nicht auf, die beiden wiederzufinden…
Bereits in einem Vorwort warnt Reiner Engelmann eindringlich vor dem, was den Leser während des Buches erwarten wird: “Es gehört zu den schlimmsten Verbrechen, die Menschen anderen Menschen antun können, wenn sie ihnen die Kinder rauben. Während der NS-Zeit ist das vieltausendfach geschehen. Der Raub von Kindern war gewollt und hatte System.” (Zitat S.9) Der Roman, der einen sehr sachbuchähnlichen und dokumentarischen Charakter hat, wird in fünf Teilen erzählt und aus einer allwissenden Perspektive. Manchmal springt Reiner Engelmann ein wenig in den Zeiten, konzentriert sich mehr auf die eine, dann wieder auf die andere Person. Beleuchtet auch gewisse Aspekte in einzelnen Kapiteln etwas genauer, wiederholt sich an wenigen Stellen ein wenig. Während der Beginn sich fast wie in einem Schulbuch liest — da mit vielen Fakten untermauert — beginnt die Geschichte dann mit dem berührenden Schicksal der Kinder erzählerisch flüssiger zu werden. Was mit Alodia und ihrer Schwester in dem Konzentrationslager und später im Kinderheim passiert, aber auch mit der Mutter, die nie die Hoffnung verliert, ihre Kinder eines Tages wiederzusehen, liest sich höchst erschreckend. “Alodia, du heißt jetzt Alice!”, sagte ihr eine SS-Frau in strengem Tonfall.
“Merk dir das!” Alodia schaute die Frau mit großen Augen an. “Du bist jetzt Alice! Wenn dich jemand mit diesem Namen ruft, musst du sofort kommen, verstanden?” (Zitat S.73) Gerade dass ihre Namen geändert, ihre Biografie umgewandelt wird, macht es für Angehörige äußerst schwierig ihre Spuren zu verfolgen. Ob es Halina Witaszek am Ende gelingt ihre beiden Kinder wiederzufinden und was das Leben aus ihnen gemacht hat, zeigt der Roman erst ganz am Ende. Daraufhin folgen noch ein Epilog, ein Nachwort und ein sehr ausführlicher Glossar mit wichtigen Begriffen und kurzen Lebensläufen bedeutender Personen (immer mit einem Sternchen im Fließtext gekennzeichnet). “Alodia, du bist jetzt Alice!” ist ein wichtiges Buch, das jedoch auch Grausames deutlich beschreibt und daher nichts für Zartbesaitete ist.
Wenn du noch mehr Bücher von Reiner Engelmann über den Holocaust lesen möchtest, greif zu “Wir haben das KZ überlebt: Zeitzeugen berichten” und “Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse” oder “Der Buchhalter von Auschwitz: Die Schuld des Oskar Gröning”. Andere Jugendbücher von ihm sind: “Anschlag von rechts” oder schon etwas älter: “Zivilcourage jetzt”, “Frei und gleich geboren: Ein Menschenrechte-Lesebuch”, “Dass wir heute frei sind: Ein Amnesty-International-Lesebuch” und “Keiner hat was gesehen: Texte über Gewalt an der Schule”. Dich interessiert das Thema Holocaust? In diesem Special findest du viele Bücher darüber! Sehr empfehlen kann ich “28 Tage lang” von David Safier, “Der Klang der Hoffnung” von Suzy Zail, “Der Junge auf dem Berg” von John Boyle und “Ich habe den Todesengel überlebt” von Eva Mozes Kor/Lisa Rojany.
Bibliografische Angaben:Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-31268-2 Erscheinungsdatum: 9.September 2019 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,00€ Seitenzahl: 240 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
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