Der britische Autor Philip Kerr hat ein neues Jugendbuch geschrieben: “Winterpferde”. Eine Mischung aus Abenteuerbuch, historischem Kriegsroman und der Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft. Außergewöhnlich, spannend und sehr ergreifend zu lesen. Lesetipp!! Jetzt als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
1941. Die junge Kalinka lebt seit einiger Zeit versteckt in dem Naturreservat Askania-Nowa, in der Südukraine. Sie ist Jüdin und jetzt ganz allein. Ihre gesamte Familie wurde von der SS erschossen. Anschluss hat sie an eine Herde von Wildpferden gefunden. Die sogenannten Przewalski-Pferde, eine sehr seltene Art. “Die Tiere waren ungewöhnlich klug und besaßen eine beinahe kindliche Verspieltheit, die sie noch nie bei Pferden gesehen hatte. Und vielleicht erkannten sie — da sie selbst Ausgestoßene waren — etwas Ähnliches in Kalinka; zumindest stellte sie sich das so vor.” (Zitat aus “Winterpferde” S.21). Nachts schläft sie zwischen den warmen Körpern der Stute und des Leithengstes. In einer Holzhütte in Askania-Nowa lebt auch Max, er ist der Hüter des Reservats, mit seinem Hund Taras. Sein Vorgesetzter hat ihm befohlen, ehe er vor den Deutschen die Flucht ergriff, alle Tiere dort zu töten. Alle: Die Hühner, die Enten, die Hirsche, die Lamas, die Kamele, die Bisons, die Ziegen, die Zebras, sogar die Pfaue und die Przewalski-Pferde, die der alte Mann besonders in sein Herz geschlossen hatte, auch wenn sie sich von ihm nie zähmen ließen. Keines der Tiere sollte dem Feind als Nahrung dienen. Doch Max bringt es nicht fertig diesen Auftrag auszuführen. Sein Vorgesetzter hat das Reservat ohnehin schon verlassen. “Das Reservat, über das er nun die alleinige Aufsicht hatte, war ein entlegener, verzauberter Ort mit einem Zoo und einer offenen Steppe, die mehr als dreihundert Quadratkilometer umfasste. Es war eine wilde, öde wirkende Region mit offenem baumlosem Weideland, abgesehen von Abschnitten mit dichten Wäldern, die sich in der Nähe von Flüssen und Seen befanden. Die Steppe ist dafür bekannt, dass sie so kahl ist wie die Handfläche eines Menschen; dass es hier im Winter vor Wind und Kälte nicht auszuhalten ist und im Sommer vor Hitze.” (Zitat S.12) Und dann naht tatsächlich der Winter. Und die Deutschen besetzen das Reservat. Sie sind freundlich zu Max, obwohl sie zu anderen grausam sind und er sattelt dem Hauptmann jeden Tag eines der Hannoveraner. Doch dann erhalten die Deutschen den Befehl die Przewalksi-Pferde allesamt zu töten. “Die Przewalskis sind jetzt geächtet, eine verbotene Rasse, und müssen als solche vernichtet werden.” (Zitat S.32). Max kann nichts dagegen tun. Hilflos muss er mit ansehen, wie die ersten Tiere einfach erschossen werden. Bis eines Abends ein junges Mädchen plötzlich vor seiner Tür steht: Kalinka. Sie braucht Hilfe. Es ist der Leithengst und die Stute, die Max Börte genannt hat, die bei ihr sind. Letztere ist von einer Kugel getroffen worden und verletzt. Max staunt nicht schlecht, wie zahm die Pferde sich bei Kalinka verhalten. Und er beschließt dem Mädchen zu helfen. Doch dafür muss sie das Reservat mit den Pferden so schnell wie möglich verlassen, ehe die Deutschen sie entdecken. Doch der deutsche Hauptmann ist ihnen auf der Spur…
“Winterpferde” ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben. Abwechselnd berichtet er meist aus Max’ und aus Kalinkas Perspektive. Die Grausamkeiten der Soldaten mitzuerleben — vor allem das Töten der Pferde — ist sehr schmerzlich zu lesen. Auch beschreibt Philip Kerr die Ambivalenz des Bösen: Der deutsche Hauptmann, der äußerst kunstvolle, feinfühlige Federzeichnungen von Pferden anfertigt, wie Max sie noch nie gesehen hat und gleichzeitig so brutal sein kann. Als Leser fiebert man wahrlich mit Max und Katinka mit, hofft, dass sie und die Przewalski-Pferde es schaffen den Deutschen zu entkommen. Spannung gepaart mit historischen, wahren Begebenheiten lassen den Roman umso intensiver wirken. Das Reservat Askania-Nowa gibt es übrigens wirklich. Auch dass es ein deutscher Baron gegründet hat, wie es in “Winterpferde” erzählt wird, stimmt. Ich fand die Geschichte unheimlich bewegend zu lesen. Man schließt deren Figuren rasch ins Herz und freut sich für sie oder leidet mit ihnen: “Kalinka wachte in der Nacht auf… […] als sie den alten Mann und Taras am Feuer schlafen sah, konnte sie nicht mehr einschlafen, jedenfalls nicht gleich — sie wollte einfach dasitzen und den Kopf auf die Knie legen und sie eine Weile ansehen und darüber nachdenken, wie schön es war, wenn sich jemand um einen kümmerte. Jemand, der sich um einen sorgte und einen als Person ansah, nicht bloß als eine Jüdin oder einen Flüchtling, auf den man seine Hunde hetzen musste.” (Zitat S.105) Das Mädchen kann nicht wirklich Tränen vergießen, den Verlust ihrer Familie zulassen. Weil sie Angst hat, dann nie wieder mit dem Weinen aufhören zu können. “Winterpferde” ist traurig und dramatisch, ja, aber zugleich ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und das Zeugnis zweier Menschen, die unheimlichen Mut beweisen. Dieses Buch sollte man gelesen haben!
Bekannt im Kinder- und Jugendbuch ist Philip Kerr vor allem unter dem Namen P.B. Kerr und der “Die Kinder des Dschinn”-Reihe, die du natürlich auch lesen kannst. Für Jugendliche ab 12 Jahren hat er noch “Geheimmission Mond” geschrieben. Eine inhaltliche Alternative wäre “Wilde Pferde in Gefahr” von Christopher Ross, in dem eine Herde Wildpferde ebenfalls in Gefahr gerät, etwas romantischer jedoch als “Winterpferde”, aber auch auf einer wahren Begebenheit beruhend. Pferde und Krieg, diese Themen treffen ebenso in folgenden Büchern zusammen: “Gefährten” von Michael Morpurgo (erster Weltkrieg) und in der Neuerscheinung “Was dir bleibt, ist dein Traum” von Suzy Zail (zweiter Weltkrieg). Eine sehr berührende Geschichte, die während des zweiten Weltkriegs spielt und auch Freundschaft in den Vordergrund rückt, ist “Flügel aus Papier” von Marcin Szczygielski.
Bibliografische Angaben:Verlag: Rowohlt ISBN: 978-3-499-21774-6 Erscheinungsdatum: 21.Oktober 2016 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,99€ Seitenzahl: 288 Übersetzer: Christiane Steen Originaltitel: "The winter horses" Originalverlag: Knopf Books for Young Readers Britisches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
Dieser Titel hat es in folgende Kategorie geschafft: **Kasimiras Lieblingsbücher**
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