“Game Changer: Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen” ist das neueste Buch des amerikanischen Autoren Neal Shusterman. Ein in sich abgeschlossener Roman mit Science-Fiction-Elementen, der einen Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt, der durch den Zusammenstoß bei einem Footballspiel in eine andere Dimension katapultiert wird. Und dies nicht nur einmal, sondern mehrere Male und auf völlig veränderte Umstände trifft, wie zum Beispiel plötzlichen Reichtum oder die Wiedereinführung der Rassentrennung. Eine Geschichte voller Möglichkeiten. Gesellschaftskritisch. Nachdenklich machend. Ziemlich schräg. Für Jugendliche ab 14 Jahren und für interessierte Erwachsene.
Bei einem Footballspiel passiert es — der junge Ash stößt mit jemand anderem zusammen und landet in einer anderen Dimension. Nur, dass er das zunächst noch nicht begreift. Da ist nur dieses komische Gefühl in seinem Inneren. “Nun, dies war wie ein plötzlicher Schub von Phantomkälte. Kein Luftzug und auch kein fiebriges Frösteln — eher so, als ob mein Blut durch Eiswasser ersetzt worden wäre, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann war das Gefühl wieder verflogen, und ich lag auf dem Boden” (Zitat aus “Game Changer” S.17) Doch dann muss er feststellen, dass etwas anders ist. Sämtliche Stoppschilder sind auf einmal blau. Auch die Ampeln nicht grün — gelb — rot, sondern grün — gelb — blau. Höchst merkwürdig. Als er eine Woche später wieder bei einem Footballspiel das Gleiche erlebt, scheint seine Familie plötzlich vermögend geworden zu sein: “Ich glaube, am seltsamsten war der Moment, als ich zu unserem Haus kam. Obwohl ich nicht wusste, wohin ich fuhr, erkannte ich es, als ich es sah.” (Zitat S.54) Ash hat ein viel besseres Auto, versteht sich auf einmal bestens mit seinem Bruder, hat aber wohl auch mit der Schwester seines besten Freundes Leo geschlafen und dealt mit Drogen! Was passiert nur mit ihm? Bald naht das nächste Footballspiel und es kommt noch schlimmer — beim nächsten Zusammenstoß wird auf einmal die Rassentrennung wieder eingeführt! Und dann ist die Schwester seines besten Freundes plötzlich tot und Leo scheint Ash gar nicht mehr
zu kennen! Denn Leo ist ein Schwarzer und geht natürlich in dieser Welt natürlich nicht auf die gleiche Schule. Ash muss unbedingt herausfinden, wie er all das wieder rückgängig machen kann…
Das Cover ist höchst faszinierend und auffällig gestaltet. Die fallenden, schwarzen Männchen passen choreografisch hervorragend zum Inhalt und tauchen auch im Inneren des Buches an besonderen Stellen wieder auf, nämlich jedes Mal, wenn Ash — der durchgängige Ich-Erzähler der Geschichte — wieder in einer neuen Dimension landet, dann wird am Seitenrand ein schwarzes Männchen abgebildet und zudem — sehr raffiniert gemacht — das komplette Schriftbild verändert. Einiges in “Game Changer: Es gibt unendlich viele Möglicheiten, alles falsch zu machen” ist ein wenig anders, als in anderen Büchern: im Inneneinband ist eine riesige Zeichnung, die wie ein Comicbild wirkt, abgedruckt, dann folgt eine recht mysteriöse Widmung mit unzähligen Namen, die so zahlreich sind, dass sie immer kleiner werden und in der Mitte ein “Gewidmet den vielen Opfern des Ungeziefers Ignoranz und Intoleranz” (Zitat S.5) tragen. Nach einem Zitat aus einem Song einer Band, die in dem Buch erwähnt wird, beginnt schließlich der in Kapitel unterteilte Hauptteil der Geschichte. Ich muss gestehen am Anfang erst ein wenig gebraucht zu haben, um in diese hineinzukommen. Viele Footballdetails, viele Personen, viele direkte Anreden an den Leser. Ash spricht die Leser immer wieder an, wie zum Beispiel mit “Merkt euch das, denn es kommt noch mal vor.” (Zitat S.11). Denn im Grunde — und so verdeutlicht es auch der erste Satz des Buches bereits — erzählt er dem Leser seine Geschichte: “Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet sagen, ich hätte den Verstand verloren oder zu viele Gehirnerschütterungen erlitten. […] Ich weiß von weltverkrümmenden Ereignissen, die
nicht von Wissenschaftlern oder den Nachrichten verfolgt werden können. Veränderungen, die niemand sonst auf der Erde je mitbekommen wird. Aber ihr müsst mir nichts von dem abkaufen, was ich euch erzähle. Eigentlich ist es sogar besser, wenn ihr es nicht tut.” (Zitat S.9) Die Geschichte ist an sich schon recht unterhaltsam, aber manchmal fehlte mir einfach der sich steigernde Spannungsbogen. Die Sprache ist locker und leicht, dann aber auch wieder anspruchsvoll und mit einer philosophischen Note: “Wir sind so begrenzt. Als Spezies. Als Individuen. Wir können nicht nur nicht in die Zukunft sehen, wir sehen auch die Gegenwart nicht so, wie sie ist. Zu sehr ist unser Blick getrübt von den Dingen, die wir uns wünschen, und den Dingen, die wir fürchten.” (Zitat S.122) Vor allem existentielle Fragen über das Leben werden in “Game Changer” unweigerlich in den Mittelpu
nkt gestellt. Welchen Einfluss haben Entscheidungen auf den weiteren Lebensweg? Was wird uns bereits in die Wiege gelegt aufgrund unserer Gene und welche Entscheidungen treffen wir aufgrund unserer Umwelt? “Aber war das wirklich meine Wahl gewesen? Football war die große Liebe meines Vaters. Über Football hatten wir eine Verbindung, also habe ich es auch geliebt. So ist das manchmal, wenn man Kind ist. Man isst, was einem die Eltern auf den Lebensteller legen.” (Zitat S.14) Manche Veränderung war im letzten Teil des Buches dann fast doch etwas zu gewollt, um einen Beitrag zum Thema Diversität (und (zu) vielen anderen) zu leisten. Etwas schräg und bemüht. Auch wenn das Erzähltempo gegen Ende dann wieder etwas anzieht, lässt mich dieser Roman doch etwas zwiegespalten zurück.
Fazit: Außergewöhnlich, ungewöhnlich, definitiv anders.
Dir gefällt der Erzählstil von Neal Shusterman? Dann lies noch seine anderen Bücher. Bekannt geworden ist er mit seiner “Vollendet”-Reihe (Band 1: “Vollendet: Die Flucht”, Band 2: “Vollendet: Der Aufstand”, Band 3: “Vollendet: Die Rache”). Seine letzte Reihe ist die “Scythe”-Reihe (Band 1: “Scythe: Die Hüter des Todes” und Band 2: “Scythe: Der Zorn der Gerechten” und “Scythe: Das Vermächtnis der Ältesten”). Für jüngere Leser (ab 11 Jahren) hat er noch die “Tesla”-Reihe geschrieben: “Teslas unvorstellbar geniales und verblüffend katastrophales Vermächtnis” (Band 1), “Teslas irrsinnig böse und atemberaubend revolutionäre Verschwörung” (Band 2) und “Teslas grandios verrückte und komplett gemeingefährliche Weltmaschine” (Band 3). Außerdem schrieb er über die Erkrankung (Schizophrenie) seines Sohnes den Roman “Kompass ohne Norden”, der 2019 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt. Gemeinsam mit seinem Sohn Jarrod schrieb er außerdem den wirklich spannenden Umweltthriller “Dry”. Eine inhaltlich gute Alternative zu “Game Changers” ist zum Beispiel “Mein schönes falsches Leben” von Hilary Freeman. Hier wacht die Protagonistin eines Morgens in einer anderen Version ihres Lebens auf. Romane über Parallelwelten gibt es jede Menge, die meisten driften in fantastische Welten ab. Andere, die dies nicht tun, wären zum Beispiel: “Ein Tag, zwei Leben” von Jessica Shirvington, die “Zimt”-Reihe von Dagmar Bach (“Zimt und weg”, “Zimt und zurück”) und die “Welten”-Reihe von Sara Oliver (“Gefangen zwischen den Welten” und “Verloren zwischen den Welten”). Eine sehr gute Alternative ist ebenso “Das Lazarusphänomen: Wenn die ganze Welt dich jagt” und “Die Carringtonkatastrohe: Wenn die ganze Welt dich jagt” von Kjetil Johnsen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Fischer Sauerländer ISBN: 978-3-7373-5884-2 Erscheinungsdatum: 13.Oktober 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 18,00€ Seitenzahl: 416 Übersetzer: Kristian Lutze, Andreas Helweg, Pauline Kurbasik Originaltitel: "Game Changer" Originalverlag: Walker Books Amerikanisches Originalcover:
Neal Shusterman beantwortet Fragen (auf Englisch):
Neal Shusterman liest aus seinem Buch (auf Englisch):
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(3 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Harper Collins