“#No game: Jetzt ist Schluss mit Schweigen!” ist ein Roman der amerikanischen Autorin Natasha Friend und erzählt die Geschichte eines sexuellen Übergriffs und der Folgen für ein junges Mädchen in dem Milieu einer Kleinstadt. Kann man so einen Vorfall tatsächlich verdrängen oder muss man Mut beweisen und die Täter zur Strecke bringen? Aus der Perspektive von vier Jugendlichen erzählt. Bewegend, mitreißend und souverän erzählt. Ein wichtiger Beitrag zu #metoo. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Nora ist beliebt und bildhübsch. Sie hat lange, blonde Haare und genau die richtigen Kurven. “Die Jungs wollten mit ihr zusammen sein, die Mädchen wollten wie sie sein. […] Die Leute umschwärmten sie wie die Motten das Licht.” (Zitat aus “#No Game” S.65). Doch als sie und ihre beste Freundin Cam wegen eines Streits den Abend getrennt voneinander verbringen und Nora allein auf die Party einer Studentenverbindung geht, hat sie — obwohl sie keinen Alkohol getrunken hat — plötzlich einen Blackout. Und erwacht halb ausgezogen und ohne Unterhose auf einem Golfplatz. Die hängt an einem Fahnenmast. Der Außenseiter und Nerd Adam, der sich zufällig auf dem Golfplatz befand, hat Schlimmeres verhindern und drei Typen verjagen können. “Adam hatte Nora Melchionda schon geliebt, als sie noch eine spindeldürre Zehnjährige gewesen war, bevor so ziemlich jedes männliche Wesen in Faber angefangen hatte, ihr hinterherzugucken. Allein der Gedanke, dass diese Typen Noras Oberteil hochgeschoben und ihr die Unterhose ausgezogen hatten, machte Adams so fuchsteufelswild wie noch nie zuvor etwas in seinem Leben.” (Zitat S.23) Mit Noras Handy schickt Adam Cam eine Nachricht, die sich sofort um ihre beste Freundin kümmert. Sie will, dass Nora zur Polizei geht, was diese verweigert. “Am liebsten wollte sie überhaupt nicht an ihren Körper denken oder das, was auf dem Golfplatz passiert war. Sie wollte einfach nur ihre Jogginghose anziehen, ins Bett kriegen und schlafen. Aber keine Chance. Cam ließ nicht locker.” (Zitat S.28) Cam fordert sie auf sich nach Spuren zu untersuchen. Damit sie wissen, was die Unbekannten ihr angetan haben. Ob sie etwas getan haben. “Als Nora aus dem Bad kam, war sie vollkommen ruhig und behauptete, nichts an ihrem Körper entdeckt zu haben. Keine Kratzer, keine blauen Flecken, kein Blut, keine Haare. Keine fremden Gerüche, weder an ihrer Haut noch an ihren Klamotten. Das Einzige, was ihr wehtue, sei der Kopf.” (Zitat S.31) Am liebsten will Nora alles vergessen. Gar nicht mehr darüber spre
chen. Alles verdrängen. “Halt die Klappe”, fuhr Nora dazwischen. “Die Sache ist gegessen.” “Aber -” Nora schob Cam mit steifem Arm von sich. “Das ist nicht dir passiert, sondern mir. Und wenn ich sage, die Sache ist gegessen, dann ist sie gegessen.” (Zitat S.52) Aber Cam gibt nicht auf. Gemeinsam mit Adam, der die Typen gefilmt hat, als er Nora auf dem Golfplatz gefunden hat, beschließt sie die Täter ausfindig zu machen und legt sich ein Fakeprofil an, um mehr über die Studentenverbindung herauszufinden. Bald erfahren Adam und sie, dass auch andere Mädchen in der Vergangenheit belästigt wurden und dass die Täter davongekommen sind. Sogar Noras Vater, der beliebte Sportdirektor der Uni, scheint in die Vertuschung involviert zu sein…
Das Cover von “#No game: Jetzt ist Schluss mit Schweigen!” ist sehr interessant und absolut passend zum Inhalt des Buches gewählt. Der Roman ist aus der Sicht eines auktorialen Erzählers geschrieben, der sich abwechselnd auf die vier Hauptfiguren konzentriert: Nora, ihre beste Freundin Cam, Adam, und Noras Bruder Asher, welcher noch eine besondere Rolle für Cam spielt, die diesem überraschend näher gekommen ist. “Sie küssten sich ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Und das alles, während Nora bewusstlos auf dem Golfplatz lag und nicht mitbekam, wie drei Typen ihr die Unterhose auszogen.” (Zitat S.41) Somit ist in “#No game: Jetzt ist Schluss mit Schweigen!” auch eine kleine Liebesgeschichte mit eingebaut. Der Erzählstil ist eher locker und Natasha Friend nimmt sich Zeit für die Entwicklung ihrer Charaktere, verliert sich gerne in Details. Das Kleinstadtsetting des Roman ist auf jeden Fall gut getroffen: “Aber doch nicht in Faber. Faber, mit seiner Kriminalitätsrate von 0,01. Niemand schloss auch nur seine Haustür ab. Es gab genau zwei Ampeln. Ein wilder Freitagabend bedeutete ein paar Runden Rollschuhlaufen im Red Barn und hinterher eine Pizza Hawaii. Wenn die Uni nicht wäre, wüsste niemand außerhalb von Chenango County überhaupt von der Existenz dieses Städtchen
s.” (Zitat S.26) Die Spannung baut sich langsam auf, vor allem, als Cam und Adam beginnen immer mehr über die ganze Sache herauszufinden. Während Nora zunächst noch eine Meisterin des Verdrängens zu sein scheint, (“Normale Mädchen würden ausflippen, wenn ihnen so etwas passierte, oder? […] Doch Nora starrte bloß auf ihren Mund im Spiegel und dachte darüber nach, wie ein Wort, je öfter man es wiederholte, immer mehr an Bedeutung verlor. “K.-o.-Tropfen. Kaaaaahhh. Ooooooohhh.” Als es lächerlich genug klang, ging sie ins Bett.” (Zitat S.88)) muss auch sie bald begreifen, dass sie nicht darum herumkommt, sich mit all dem auseinanderzusetzen. Denn sie erträgt die Nähe ihres Freundes nicht mehr, oder beginnt ihren Vater, der für sie immer ein Held war, plötzlich in einem anderen Licht zu sehen, als sie mehr über vertuschten Vorfälle anderer Mädchen herausfindet. Gegen Ende wird es dann richtig schön spannend und man möchte den Roman kaum mehr aus den Händen legen. Der Ausgang war mir ein wenig zu offen, sehr interessant hätte ich es gefunden zu erfahren, was mit den einzelnen Personen in naher Zukunft passieren wird. Auch ein Anhang über Hilfsmöglichkeiten für Betroffene wäre sehr praktisch gewesen.
Dir gefällt der Erzählstil von Natasha Friend? Im Deutschen wurden bereits zwei andere Roman von ihr veröffentlicht: “Sieh mich an” (2014) und “No. 9677 oder Wie mein Vater an fünf Kinder von sechs Frauen kam” (2017). Zum Thema sexueller Übergriff/Missbrauch gibt es im Jugendbuch zahlreiche Titel. In der Modewelt spielen einige, wie zum Beispiel das empfehlenswerte “Meat Market: Schöner Schein” von Juno Dawson, “Not your girl” von Annette Mierswa und “Fashion Victim: Licht und Schatten des Modelbusiness” von Anne-Sophie Monrad, Katrin Blum. Etwas neuer wäre noch “Off the record: Unsere Worte sind unsere Macht” von Camryn Garrett, in welchem ein Mädchen in der Filmbranche Fälle von sexueller Belästigung aufdeckt. Etwas heftiger ist auch “Du wolltest es doch” von Louise O’Neill. Auf einer Party vergewaltigt worden zu sein, das behandeln folgende zwei Romane: “Almost” von Anne Eliot (sehr bewegend) und “Sprich” von Laurie Halse Anderson. Oder lies “Entscheide dich!” von Annika Thor, in welchem es zu einem Übergriff mehrerer Personen auf ein Mädchen kommt. Zwei etwas ältere Bücher sind “Kurzer Rock” von Christina Wahldén und “Eigentlich ist gar nichts passiert” von Norma Mazer. Andere Beiträge zur #Metoo-Debatte sind “#Fingerweg” und “Ich will das nicht!” von Susanne Fülscher. Oder lies den Kurzgeschichtenband “Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht” von Lina Muzur. Oder stöbere in dieser Kategorie nach noch anderen Büchern über das Thema Missbrauch.
Bibliografische Angaben:Verlag: Magellan ISBN: 978-3-7348-5064-6 Erscheinungsdatum: 12.Juli 2022 Einbandart: Hardcover Preis: 19,00€ Seitenzahl: 368 Übersetzer: Jessika Komina, Sandra Knuffinke Originaltitel: "The wolfes are waiting" Originalverlag: Little, Brown and Company Amerikanisches Originalcover:
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(4 von 5 möglichen Punkten)
---------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Natasha Friend