Endlich mal wieder etwas Neues von dem amerikanischen Autoren Morton Rhue! Der Autor, der vor allem durch “Die Welle” bekannt wurde, legt nach 6 Jahren Veröffentlichungspause (im Deutschen) Lesestoff nach, der tatsächlich an seinen einstigen Bestseller erinnert. “The Good War” entführt seine Leser:innen an eine amerikanische Schule, in der es seit Kurzem eine E‑Sport-AG gibt. Mit ausgestatteten Hochleistungsrechnern dürfen die Schüler:innen dort zocken. Sie spielen ein Spiel namens “The Good War”, in welchem sie als Achsenmächte und als Allierte in zwei Gruppen gegeneinander antreten. Es wird in neun Runden gespielt, die sich über mehrere Monate erstrecken. Doch was als Spiel beginnt, wird bald bitterer Ernst und die Fronten der beiden Gruppen verhärten sich. Zudem fangen die “Achsenmächte” auf einmal an sich als Nazis zu verkleiden und mit deutschem Akzent zu sprechen. Bald gerät alles außer Kontrolle… Ein höchst mitreißendes, packendes Leseerlebnis über sich entwickelnde Gruppendynamiken, das außerdem über die Deutsche Geschichte nachdenken lässt. Perfektes Klassenlektüre-Material! Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Sie sind zu Viert in ihrer Gruppe der neu gegründeten E‑Sport-AG. Caleb, ein sehr engagierter Junge, der schon gerne mal als Streber bezeichnet wird, und der sich zusammen mit einer Lehrerin maßgeblich für Förderungsgelder und die Gründung der AG eingesetzt hat. Emma, die eher schüchtern und zurückhaltend ist und heimlich für Caleb schwärmt. Nathan, der neu an der Schule ist und überlegt, was er tun muss, um zu den coolen Leuten dazuzugehören. Und Zack, der etwas schräg und anders und eher ein Außenseiter ist. Zusammen spielen sie als “Allierte” gegen die “Achsenmächte”, die von Fiesling Gavin und seinem Kumpel Crosby, angeführt werden, die Zack regelmäßig mobben. Mit in deren Team sind außerdem die Zicken Mackenzie und Isabella, von denen Emma zuweilen einige Sprüche einkassiert und der Klassenclown Tyler. “Sie einigten sich auf neun Runden pro Match. Wer fünf von diesen neun Runden gewann, galt als Sieger. Das Gleiche galt für das Halbjahr. Neun Wochen lang wollten sie sich treffen, und das Team, das fünf Matches gewann, würde der Champion vom Halbjahr sein.” (Zitat aus “The Good War” S.43) Das Spiel bringt einiges ins Rollen. Plötzlich merkt Caleb, wie cool Zack eigentlich ist. Dass er taktisch einiges auf dem Kasten hat. Sie treffen sich sogar zum Skateboardfahren, obwohl zuvor niemand groß etwas mit Zack zu tun haben wollte. Emma, die als Teamchefin ernannt wurde, fühlt sich auch unerwartet wohl in der neuen Position. “Im Verlauf des letzten Monats war ihr bewusst geworden, wie viel Spaß es machte,
Teil einer Gruppe zu sein. Sie war schon vorher in Teams gewesen, etwa beim Fußball oder Softball, aber sie hatte sich immer unbedeutend gefühlt, weil sie nicht besonders hervorstach. Doch in der E‑Sport-Mannschaft war sie eine von nur vieren. Ihr Spiel machte ein Viertel der Teamleistung aus. Und als Teamcapitain war ihre Rolle sehr wichtig.” (Zitat S.61) Doch das Spiel wird von der Gegenseite zunehmend ernster genommen. Als “Achsenmächte” tragen die Jugendlichen plötzlich rote T‑Shirts mit zwei Blitzen drauf (das Zeichen der SS). Sie imitieren einen deutschen Akzent. In der siebten Klasse haben sich die meisten Schüler:innen bisher kaum mit dem Thema Nationalsozialismus auseinander gesetzt. Das wird einigen von ihnen bald zum Verhängnis…
Das Cover zeigt bereits, was inhaltlich einen großen Teil des Buches ausmacht. Ein Computerspiel. Was zunächst harmlos zu beginnen scheint, wird immer ernster. “Machen wir keine große Sache daraus”, sagte er. “Es ist doch bloß ein Computerspiel.” “Mit Schülern, die sich als Nazis verkleiden”, fügte seine Mutter bissig hinzu.” (Zitat S.126) Dass Morton Rhue mittlerweile 74 Jahre alt ist, merkt man ihm überhaupt nicht an. Mit Fachvokabular angereichert, kommt die Geschichte höchst authentisch herüber. Seine größte Stärke liegt aber vor allem im Zeichnen von sich langsam entwickelnden Gruppendynamiken. Dies beherrscht der Autor einfach tadellos. Schon allein der ständig wechselnde (personale) Erzählstil, der von einer Perspektive zur anderen wechselt, treibt die Handlung zügig voran. Vor allem Caleb und Emma stehen hier im Vordergrund, aber auch Zack, Nathan und eine Lehrerin berichten. Ebenso Mobbing spielt wieder eine zentrale Rolle. “Sie zwar zwar Teamcapitain, doch sobald ein Match vorbei war, war sie die alte ängstliche Emma.” (Zitat S.62) Wie zum Beispiel bei Zack und bei Emma. Letztere wächst aber immer mehr über sich hinaus, schafft es bald, obwohl sie auch online gedisst wird, gegenüber Mackenzie und Isabella Kontra zu geben. Und Zack erhält Unterstützung von Caleb, der sich in einer Sportstunde — in welcher Gavin und Crosby Zack an die Wand drücken -
für ihn einsetzt. Das Schriftbild ist relativ groß gehalten, die Sprache angenehm flüssig und einfach, daher eignet sich der Roman wunderbar auch für Wenig-Leser:innen und bietet viel Potential, um ihn als Klassenlektüre zu verwenden. Die Holocaust-Thematik ist geschickt mit eingeflochten, denn den Ernst der Lage begreifen die Schüler:innen erst allmählich. Sie leiten sich ihr Wissen auch erst allmählich her, wie beispielsweise, als sie in ihrem Gruppenchat von einem Unbekannten mit folgenden Worten angeschrieben werden: “Es lebe die Achsentruppe. Sieg Heil!” (Zitat S.118). “…warum hatte er so was geschrieben? Die beiden letzten Wörter hatte sie tatsächlich schon einmal gehört. Es waren deutsche Wörter. “Weiß jemand was das bedeutet?” Caleb googelte. “Die Deutschen benutzten das im Zweiten Weltkrieg.” Jetzt erinnerte sich Emma, wo sie diesen Satz gehört hatte. In einem Film namens Schindlers Liste. Die Nazis in dem Film haben ihn gesagt.” (Zitat S.118) Am Ende gibt es ein versöhnendes Einsehen der Schüler, das in manchen Punkten schon fast zu harmonisch ist (z.B. Crosbys Verhalten).
Du magst den Erzählstil von Morton Rhue? Dann lies noch seine anderen Bücher, hier chronologisch nach Erscheinungsdatum sortiert: “Die Welle” (1984, Experiment, Nationalsozialismus, einer seiner bekanntesten Titel), “Ich knall euch ab!” (2002, Amoklauf), “Asphalt tribe” (2004, Leben auf der Straße), “Ghetto kidz” (2005, Gewalt, Kriminalität), “Boot camp” (2006, Erziehungsanstalt), “Fame Junkies” (2010, Berühmtheit, fand ich sehr bewegend!), “No place, no home” (plötzliche Armut, sehr gut umgesetzt), “Dschihad online” (2016, heftig!), “Creature: Gefahr aus der Tiefe” (2017, mal eine ganz andere Richtung, aber sehr gelungen) und “American Hero” (2018, fesselnd, bewegend, vergisst man nicht so schnell!). Unter seinem richtigen Namen als Todd Strasser hat er noch drei Thriller veröffentlicht, die mir alle sehr gefallen haben: “Wish u were dead” (2010, Mobbing), “Blood on my hands” (2011, Mordfall) und “Dying for Beauty” (2012, Verschwinden dreier Models). Spiele, die außer Kontrolle geraten, findest du in diesen vier toll erzählten Büchern: “Gotcha!”, von Shelle Hrdlitschka, “Panic: Wer Angst hat, ist raus!” von Lauren Oliver, “Nerve: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen” von Jeanne Ryan und “Die Liga der Guten” von Rüdiger Bertram. Sehr gut könnte ich mir auch “Fair Play: Spiel mit, sonst verlierst du alles” von Kerstin Gulden, “Y‑Game: Sie stecken alle mit drin” von Christian Linker und “Lupus Noctis” von Melissa C.Hill und Anja Stapor vorstellen. Richtig klasse ist außerdem “Staat X: Wir haben die Macht!” von Carolin Wahl.
Bibliografische Angaben:Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-62805-1 Erscheinungsdatum: 17.Oktober 2024 Einbandart: Broschur Preis: 10,00€ Seitenzahl: 224 Übersetzer*in: Angela Lück Illustrator*in: Originaltitel: "The Good War" Originalverlag: Delacorte Press Amerikanisches Originalcover:
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------------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Hompage von Penguin Random House