“American Hero” ist der neueste Geniestreich des amerikanischen Autoren Morton Rhue und stellt einen jugendlichen Soldaten in den Vordergrund, der als Verletzter und als Held aus dem Krieg heimkehrt. Ein Blick hinter die Kulissen und auf die dunklen Schatten, die sich auf die menschliche Psyche eines Menschen legen, der Unbeschreibliches erlebt hat. Ein aktuelles, hochbrisantes Thema. Fesselnd, bewegend und heftig erzählt. Ein idealer Titel für eine Buchvorstellung oder als Klassenlektüre. Lesetipp! Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Der 18-jährige Jake ist aus dem Krieg zurückgekehrt. An fünf Operationen war er beteiligt. Nun wird er von der Bevölkerung als Held gefeiert. “Nur dass ich mich nicht wie ein Held fühle. In der Situation, in der es passiert, weißt du nicht, dass du mutig bist. Du tust nur das, was man dir beigebracht hat. Was dein Instinkt dir sagt. Du tust es, obwohl du weißt, dass du mit großer Wahrscheinlichkeit dabei draufgehen wirst.” (Zitat aus “American Hero” S.12) Jake tritt in einer Tour vor der Presse und der Bevölkerung auf. Gibt viele Interviews und besucht auch seine Schule. Und er ist schwer verwundet. Sein Bein steckt in einem Gips. Über die vielen Wunden und Narben möchte er lieber nicht nachdenken. Auch hat er seinen kleinen Finger und die Hälfte des Ringfingers verloren. Dafür ist ihm seine Freundin Aurora erhalten geblieben. Sie hat tatsächlich auf ihn gewartet. Obwohl er so lange weg war. Obwohl auch andere Jungs sich während dieser Zeit für sie interessiert haben. “Ich bin so froh, sie zu sehen, so voller Dankbarkeit, dass sie auf mich gewartet hat. Bei vielen anderen haben die Freundinnen das nicht getan. Sie hat mir Briefe geschrieben und Süßigkeiten geschickt und USB-Sticks mit Filmen drauf. […] Was ich durchgemacht habe, war schlimm, aber ohne sie wäre es noch viel schlimmer gewesen.” (Zitat S.15) Aber Jake ist nicht mehr derselbe, der er zuvor war. Das merkt nicht nur Aurora bald, sondern auch seine Familie. Was hält er zurück? Was hat er tatsächlich bei seinem letzten Einsatz erlebt? Ein junges Mädchen, die ihn für die Schülerzeitung interviewen will, scheint hinter seine Fassade zu blicken…
Bereits das Cover von “American Hero” ist passend und ausdrucksstark. Es macht neugierig und zeigt zugleich die Ambivalenz zwischen dem Begriff des Helden und dem traurig nach unten blickenden Kopf der Hauptfigur. Denn auch in Jake, der in der Ich-Perspektive berichtet, brodelt ein Konflikt. Wie kann er zum Beispiel vor seiner ehemaligen Schule von der Zeit im Krieg sprechen ohne die Jugendlichen vor den Kopf zu stoßen? Ohne den Schülern — von denen viele eine Einschreibung beim Militär planen — die erschreckende Realität zu offenbaren, die jenseits der Werbefilme der Rekrutierer liegt? “Mit einer Streitmacht aus unschuldigen Kindern, die keine Ahnung haben, worauf sie sich einlassen. Aber anders geht es doch gar nicht, oder? Denn wenn die Kids tatsächlich wüssten, wofür sie sich da einschreiben, dann würden sie es nicht tun. Und wenn sie sich nicht einschreiben, haben wir keine Armee. Und wenn wir keine Armee haben, gewinnen die Bösen.” (Zitat S.41) Das der Preis hoch ist, das hat Jake am eigenen Leib erfahren. Immer wieder schieben sich komplett fett gedruckte Kapitel in den Text, in denen er nach und nach von jenem dramatischen Hinterhalt erzählt, der sein Leben verändert hat. Die anderen Kapitel sind mit Überschriften versehen, in denen die jeweilige Person, auf die Jake trifft, genannt wird. Das kann seine Freundin sein, ein Soldat, ein Rekrutierer, ein alter Lehrer. Die Sprache ist angenehm und sehr flüssig zu lesen. Besonders in Jake kann man sich sehr gut hineinversetzen und seine Empfindungen nachvollziehen: “Die Propeller haben aufgehört, sich zu drehen, und die jubelnde Menge drängt nach vorn. Ein Anblick, bei dem sich alles in mir versteift, ich bin sofort wieder in Alarmbereitschaft. […] Mein Blick schweift automatisch hin und her, auf der Suche nach dem verräterischen Funkeln einer Waffe, der unnatürlichen Wölbung eines Sprengstoffgürtels unter einem Hemd. Mein Herz rast. Kann sein, dass mein Kö
rper heimgekehrt ist, der Verstand ist jedenfalls noch auf Krieg gepolt.” (Zitat S.14) Es ist erschreckend zu lesen, was Jake erlebt hat und wie sehr dies seinen Alltag nun prägt und sein Leben für immer beeinflussen wird. Hier wird an Brutalität auch nichts ausgespart. Morton Rhue verschönert nichts, er berichtet und lässt seine Leser miterleben, was amerikanischen Soldaten durch den Kopf geht: “Kein Tag verging, an dem wir uns nicht fragten, wie es wohl passieren würde. Die Raketenexplosion. Die Heckenschützenkugel. Die Sprengfalle. Die Mörsergranate. Die Panzerfaust. Der Schuss in den Kopf, der einem sofort das Licht ausknipst. Der Schuss in die Leistengegend, bei dem man langsam verblutet. Der ultraschallschnelle Granatsplitter, der einem das Bein, den Arm, den Kopf abreißt. Das 15-kg-Artilleriegeschoss, das nichts als rosa Sprühregen hinterlässt.” (Zitat S.43) Wenn ein Autor ein Buch über ein solches Thema schreiben kann, dann dieser amerikanische Bestsellerautor, der Missstände ankreidet, Gesellschaftskritik übt, informiert und Jugendliche zum Nachdenken anregt. Denn da es in den Vereinigten Staaten keine Wehrpflicht gibt, werden Jugendliche bereits in der Schule angeworben; werden schon in manchen Schulen im Unterricht mit einer militärischen Grundausbildung versorgt. Auch Jake wurde in seiner Schule damals angeworben. Mit einer großen Prämie gelockt. Mit der Armee, als einer Art Abenteuercamp, in dem man ständig Party macht und gutes Geld verdient. “Was bietet ihr inzwischen für Prämien an?”, frage ich. “Zwanzigtausend, wenn man schnell zugreift.
Und innerhalb von dreißig Tagen bereit ist. Vierzigtausend, wenn man sich für vier Jahre verpflichtet. […] “Das ist richtig viel Asche. Erzählen Sie den Kids auch was über die acht Jahre inaktiver Reserve, die sie danach erwartet?” Der Rekrutierer windet sich ein bisschen. Jetzt scheint er sich doch unwohl zu fühlen.” (Zitat S.51) Vielen wird gesagt, dass man kaum Einsätze hat. Jetzt ist Jake schlauer und er weiß auch, dass es viele Soldaten gibt, die nie die Zeit dazu haben werden, ihre Prämie auszugeben. Weil sie vorher im Krieg fallen werden. Und niemals mehr nach Hause kommen. Der Roman, der durchgehend unterhaltsam und mitreißend geschrieben ist, eignet sich von den Themen her daher besonders gut für eine Klassenlektüre oder als Buchvorstellung. Der Text endet mit einem Nachwort, in dem Morton Rhue deutlich macht, was ihm wichtig ist: “Gerade deshalb bin ich unbedingt der Meinung, dass, wenn ein Land schon in den Krieg ziehen muss, es wenigstens seine Soldaten realistisch, nüchtern und ohne Beschönigung darauf vorbereiten sollte, was sie dort tatsächlich erwartet.” (Zitat S.172ff). Dies hat er mit seinem Roman bereits sehr gut getan.
Fazit: Ein Buch, das man so schnell nicht vergisst und dessen Lektüre sich definitiv lohnt!
Du magst den Erzählstil von Morton Rhue? Dann lies noch seine anderen Bücher, hier chronologisch nach Erscheinungsdatum sortiert: “Die Welle” (1984, Experiment, Nationalsozialismus, einer seiner bekanntesten Titel), “Ich knall euch ab!” (2002, Amoklauf), “Asphalt tribe” (2004, Leben auf der Straße), “Ghetto kidz” (2005, Gewalt, Kriminalität), “Boot camp” (2006, Erziehungsanstalt), “Fame Junkies” (2010, Berühmtheit, fand ich sehr bewegend!), “No place, no home” (plötzliche Armut, sehr gut umgesetzt), “Dschihad online” (2016, heftig!) und sein letztes Buch “Creature: Gefahr aus der Tiefe” (2017, mal eine ganz andere Richtung, aber sehr gelungen). Unter seinem richtigen Namen als Todd Strasser hat er noch drei Thriller veröffentlicht, die mir alle sehr gefallen haben: “Wish u were dead” (2010, Mobbing), “Blood on my hands” (2011, Mordfall) und “Dying for Beauty” (2012, Verschwinden dreier Models). Traumatisiert durch den Krieg, das findest du ebenso in folgenden Jugendbüchern: “Wounded” von Eric Walters, “So fern wie nah” von John Boyne und “Versehrt” von Patricia McCormick. Oder lies “Im toten Winkel: Tagebuch eines jungen US-Soldaten” von Walter Dean Myers.
Bibliografische Angaben:Verlag: Carlsen ISBN: 978-3-551-31685-1 Erscheinungsdatum: 21.März 2018 Einbandart: Broschur Preis: 10,99€ Seitenzahl: 176 Übersetzer: Nicolai von Schweder-Schreiner Originaltitel: "The price of freedom" Originalverlag: (bisher noch keine englische Ausgabe erschienen) Originalcover: (bisher noch keine englische Ausgabe erschienen)
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
Sehr gute Buchvorstellung. Hat mich jedenfalls gepackt, sodass ich mir das Buch heute noch bestellen werde. Vielen Dank
Hallo Robert,
danke für deine positive Rückmeldung. Ja, das Buch lohnt sich definitiv! Viel Spaß beim Lesen:-)
Lg Kasimira