Moritz Seibert — Das letzte Aufgebot

4.Mai 2025

Das letz­te Auf­ge­bot” ist der Debüt­ro­man des deut­schen Autoren Moritz Sei­bert. Basie­ren­den auf einem Thea­ter­stück, das der Autor, der das “Jun­ge Thea­ter Bonn” lei­tet, mit drei Jugend­li­chen aus dem Nach­wuchs­en­sem­ble ent­wi­ckel­te und wel­ches auf Tei­len der Lebens­ge­schich­te sei­nes eige­nen Vaters beruht. Er ent­führt in ein (fik­ti­ves) klei­nes Dorf in die Eifel, in wel­chem der Zwei­te Welt­krieg kaum statt­fin­det. Hier wohnt der 15-jäh­ri­ge Jakob und erlebt 1944 einen fast nor­ma­len Som­mer. Geht mit sei­nen Freun­den schwim­men, nimmt regel­mä­ßig an den Wehr­machts­übun­gen der Hit­ler Jugend teil und erlebt sei­ne ers­te gro­ße Lie­be mit Maria, der Nich­te des Bür­ger­meis­ters. Doch dann steht eines Tages ein SS-Wagen im Dorf. Die nächs­te Gene­ra­ti­on der Jugend­li­chen soll ein­ge­zo­gen wer­den, um für das Hei­mat­land zu kämp­fen. Jakob ist eigent­lich noch ein Jahr zu jung, mel­det sich aber frei­wil­lig, will eben­so tap­fer und mutig sein wie sei­ne Freun­de. Doch im Lager, in dem er aus­ge­bil­det wird, ist nicht alles so toll, wie er es erwar­tet hat und dann erfährt er auch noch etwas über Maria, das alles auf den Kopf stellt… Ein wirk­lich sehr gelun­ge­ner, über­zeu­gend und mit­rei­ßend erzähl­ter Roman über die letz­ten Mona­te des Zwei­tes Welt­kriegs. Über die Balan­ce zwi­schen Erwach­sen­wer­den und Krieg, zwi­schen Lie­be und Hass, Treue und Ver­rat, Angst und Hel­den­tum. Ein sehr emp­feh­lens­wer­tes Buch, das sich wirk­lich zu lesen lohnt! Ide­al auch als Klas­sen­lek­tü­re oder für eine Buch­vor­stel­lung. Für Jugend­li­che ab 13 Jah­ren und Erwachsene.

1944. Stein­bach, in der Eifel. Hier lebt der 15-jäh­ri­ge Jakob mit sei­nem klei­nen Bru­der und sei­ner Mut­ter auf einem Hof. Seit der Vater, von dem sie schon lan­ge nichts mehr gehört haben, an der Front kämpft, kämp­fen auch sie um das finan­zi­el­le Über­le­ben. Haben kaum Geld. Jakob läuft meis­tens bar­fuss. Bräuch­te eigent­lich drin­gend neue Stie­fel. Doch die sind Man­gel­wa­re. Zu sei­nem Geburts­tag bekommt er von sei­ner Mut­ter wel­che. Sie muss eini­ges auf sich genom­men haben, um sie zu besor­gen. Lei­der sind sie Jakob zu klein, aber das traut er sich nicht ihr zu sagen. Schu­he sind ihm momen­tan ohne­hin nicht so wich­tig. “Seit ich mit Maria zusam­men bin, ist mir vie­les nicht mehr so wich­tig. Dass wir im Krieg sind, zum Bei­spiel. Oder dass alles so knapp ist und wir so arm, dass Mut­ter oft nicht ein noch aus weiß mit dem Geld.” (Zitat aus “Das letz­te Auf­ge­bot” S.21) Denn seit zwei Mona­ten ist er mit Maria zusam­men, der Nich­te des Bür­ger­meis­ters. Sie hat ihre Eltern im Krieg ver­lo­ren und wohnt erst seit eini­ger Zeit bei ihrem Onkel. Vom Krieg mer­ken Jakob und sei­ne Freun­de nicht all­zu viel, wenn sie sich tref­fen. Ab und zu fliegt mal ein Flug­zeug über das Dorf. “Gemein­sam star­ren wir in den Him­mel und beob­ach­ten die feind­li­chen Flug­zeu­ge, die in gro­ßer Höhe so see­len­ru­hig über uns hin­weg­flie­gen” (Zitat S.20ff) Doch dann kün­di­gen sich eines Tages ein paar SS-Män­ner in Stein­bach an. “SS-Män­ner bekom­men wir hier nicht oft zu sehen und Offi­zie­re schon gar nicht. Aber jeder hier kennt irgend­wel­che Geschich­ten über die­se Män­ner, die Hel­den für uns sind. Einem SS-Offi­zier die Hand zu schüt­teln, das ist schon etwas Beson­de­res. Jetzt freue ich mich rich­tig auf Mon­tag.” (Zitat S.40) Die Jugend­li­chen sol­len ein­ge­zo­gen wer­den. Alle 16-Jäh­ri­gen. Jakob ist eigent­lich noch ein Jahr zu jung, doch man darf sich auch frei­wil­lig mel­den. Es wird sogar — mehr oder weni­ger — erwar­tet, dass man dies tut. Auch wenn Maria und sei­ne Mut­ter dage­gen sind, mel­det sich Jakob. Er kann sei­ne Freun­de schließ­lich nicht im Stich las­sen. Vor allem Franz, sein bes­ter Freund, und eben­so beken­nen­der Nazi wie auch sein Vater, ist begeis­tert an die Front zu dür­fen. Sie bre­chen bald auf, in ein Trai­nings­la­ger, in wel­chem sie aus­ge­bil­det wer­den sol­len. Es ist nicht ganz so, wie sie es sich vor­ge­stellt haben. Über­all fehlt das Nötigs­te, sie müs­sen sich aus Seil und Pla­ne Zel­ten bau­en, weil es kei­ne mehr gibt. Auch Uni­for­men gibt es nicht, das Essen ist auch etwas dürf­tig. Aber sie ler­nen eine gan­ze Men­ge. Dann wer­den sie an die Front geschickt. “Die 1. US-Armee wird von Gene­ral Omar Brad­ley befeh­ligt. Er ist eine Legen­de. Er gilt als unschlag­bar. Und ab Mon­tag sol­len wir gegen ihn kämp­fen. In vier Tagen. Wir haben noch kei­ne Hel­me, kei­ne Uni­for­men, kei­ne Geweh­re und nicht mal Pis­to­len. Es klingt wie ein Todes­ur­teil.” (Zitat S.154ff) Am Wochen­en­de davor dür­fen sie ein letz­tes Mal nach Hau­se. Dort erfährt Jakob etwas, das alles für immer ver­än­dern wird…

Das Cover ist fein auf die inhalt­li­chen Ele­men­te des Buches abge­stimmt. Mit­ge­ar­bei­tet hat — so wird vor­ne im Buch erwähnt — auch Oscar Kaf­sack, der eben­falls an dem gleich­na­mi­gen Thea­ter­stück betei­ligt war. Bereits zu Beginn ist man gleich mit­ten in der Geschich­te, begeg­net Ich-Erzäh­ler Jakob, der einen Alp­traum über sei­nen im Krieg ver­schol­le­nen Vater hat. Den­noch erfährt man in dem Roman zunächst noch viel dörf­li­che Idyl­le. Kar­tof­feln ern­ten auf dem Feld in som­mer­li­cher Hit­ze, bar­fuss lau­fen den gan­zen Tag über, baden im Fluss, die Tref­fen mit Jakobs Cli­que, Alko­hol und ein Schüt­zen­fest fin­det auch noch statt. “Wir sind mit­ten im Krieg, den­ke ich plötz­lich, nur hier bei uns fin­det er nicht statt. Jeden­falls noch nicht. Hier feh­len nur wel­che. Unse­re Väter zum Bei­spiel.” (Zitat S.43) Der Erzähl­ton von Moritz Sei­bert ist sehr ange­nehm und flüssig. Die Cha­rak­te­re sind aus­ge­reift und gehen in die Tie­fe. Allen vor­an die Ent­wick­lung des Prot­ago­nis­ten ist sehr authen­tisch und bewe­gend dar­ge­stellt. Denn den Ernst der Lage begreift Jakob anfangs noch nicht. “Wenn ich mich frei­wil­lig mel­de und Sol­dat wer­de, käme ich hier end­lich mal raus. Zusam­men mit den ande­ren. Wer weiß, in wel­ches Land sie uns schi­cken? Ich wäre ein guter Sol­dat, da bin ich mir sicher. Es wür­de mir Spaß machen, mich an den Feind her­an­zu­pir­schen” (Zitat S.44) Die letz­te Ein­be­ru­fung von Jugend­li­chen in den Krieg ist ein sehr sel­te­nes The­ma im Jugend­buch, die letz­ten Mona­te — der Krieg ohne­hin schon fast ver­lo­ren. Dass die Jugend­li­chen in kur­zen, drei­wö­chi­gen Crash­kur­sen aus­ge­bil­det wur­den und dann an die Front geschickt wer­den soll­ten, das zeigt “Das letz­te Auf­ge­bot”. Wie sie sich hel­den­haft naiv in den Kampf stür­zen woll­ten und fal­schen Idea­len nach­hin­gen und noch an den End­sieg glaub­ten, ohne zu wis­sen, dass die Nie­der­la­ge nur noch hin­aus­ge­zö­gert wur­de. “Wie­der brül­len fast zwei­tau­send Keh­len das “Sieg heil” mit ihm, und wie­der stel­len sich die Här­chen auf mei­ner Haut auf. Momen­te wie die­sen haben wir in Stein­bach nie erlebt. […] Das hier ist viel grö­ßer! Und ja, ver­dammt, wenn uns je eine die­ser fie­en Rat­ten begeg­nen soll­te, dann wer­den wir sie erschie­ßen. Weil es unse­re Pflicht ist. Anders geht es nun mal nicht.” (Zitat S.153ff) Doch all­mäh­lich beginnt Jakob Ent­schei­dun­gen in Fra­ge zu stel­len, das Ver­hal­ten sei­ner Kame­ra­den zu hin­ter­fra­gen. Was ist ihm wirk­lich wich­tig? “Wenn es ver­bo­ten ist, das Rich­ti­ge zu tun, und wenn man gezwun­gen wird, Din­ge zu tun, die falsch und fei­ge sind, dann kann das ja nicht pas­sen. Dann passt irgend­wann über­haupt nichts mehr.” (Zitat S.172) Es ist wirk­lich bewe­gend und auch sehr span­nend, den Ereig­nis­sen im Lager, aber auch im Dorf zu fol­gen. Und man ahnt bereits, dies wird ein Som­mer, der alles für immer auf den Kopf stel­len wird. Das Ende passt sehr gut, vor allem der letz­te Satz. Der Roman schließt mit einem Aus­blick auf die kom­men­den Gescheh­nis­se ab und ent­hält eben­so eine Zeit­ta­fel, auf der die wich­tigs­ten Ereig­nis­se jener Zeit, die in “Das letz­te Auf­ge­bot” eine Rol­le spie­len, noch ein­mal skiz­ziert wer­den. In einem Nach­wort geht Moritz Sei­bert auf den eige­nen fami­liä­ren Bezug zur Geschich­te ein und die Hin­ter­grün­de der Ent­ste­hung des Buches.

LesealternativenDich inter­es­sie­ren Jugend­bü­cher, die in den letz­ten Tagen des Zwei­ten Welt­kriegs spie­len? Dann lies zum Bei­spiel “Dun­kel­nacht” von Kirs­ten Boie, wel­ches eben­falls in einer Klein­stadt behei­ma­tet ist. Etwas frü­her spielt “Bis die Ster­ne zit­tern” von Johan­nes Her­wig, hier wird auch die Hit­ler­ju­gend the­ma­ti­siert (aller­dings schließt sich der Prot­ago­nist dem Wider­stand an) und die Geschich­te einer ers­ten Lie­be. Oder lies “Swing High” von Cor­ne­lia Franz, wel­ches eben­so das Auf­wach­sen der Jugend­li­chen wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs zeigt. Ande­re emp­feh­lens­wer­te Jugend­bü­cher zum The­ma Holo­caust fin­dest du hier.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Karibu (Edel Verlagsgruppe)
ISBN: 978-3-96129-487-9
Erscheinungsdatum: 5.März 2025
Einbandart: Hardcover
Preis: 16,99€
Seitenzahl: 320

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Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

Die­ser Titel hat es in fol­gen­de Kate­go­rie geschafft: **Kasi­mi­ras Lieb­lings­bü­cher**

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