“Das letzte Aufgebot” ist der Debütroman des deutschen Autoren Moritz Seibert. Basierenden auf einem Theaterstück, das der Autor, der das “Junge Theater Bonn” leitet, mit drei Jugendlichen aus dem Nachwuchsensemble entwickelte und welches auf Teilen der Lebensgeschichte seines eigenen Vaters beruht. Er entführt in ein (fiktives) kleines Dorf in die Eifel, in welchem der Zweite Weltkrieg kaum stattfindet. Hier wohnt der 15-jährige Jakob und erlebt 1944 einen fast normalen Sommer. Geht mit seinen Freunden schwimmen, nimmt regelmäßig an den Wehrmachtsübungen der Hitler Jugend teil und erlebt seine erste große Liebe mit Maria, der Nichte des Bürgermeisters. Doch dann steht eines Tages ein SS-Wagen im Dorf. Die nächste Generation der Jugendlichen soll eingezogen werden, um für das Heimatland zu kämpfen. Jakob ist eigentlich noch ein Jahr zu jung, meldet sich aber freiwillig, will ebenso tapfer und mutig sein wie seine Freunde. Doch im Lager, in dem er ausgebildet wird, ist nicht alles so toll, wie er es erwartet hat und dann erfährt er auch noch etwas über Maria, das alles auf den Kopf stellt… Ein wirklich sehr gelungener, überzeugend und mitreißend erzählter Roman über die letzten Monate des Zweites Weltkriegs. Über die Balance zwischen Erwachsenwerden und Krieg, zwischen Liebe und Hass, Treue und Verrat, Angst und Heldentum. Ein sehr empfehlenswertes Buch, das sich wirklich zu lesen lohnt! Ideal auch als Klassenlektüre oder für eine Buchvorstellung. Für Jugendliche ab 13 Jahren und Erwachsene.
1944. Steinbach, in der Eifel. Hier lebt der 15-jährige Jakob mit seinem kleinen Bruder und seiner Mutter auf einem Hof. Seit der Vater, von dem sie schon lange nichts mehr gehört haben, an der Front kämpft, kämpfen auch sie um das finanzielle Überleben. Haben kaum Geld. Jakob läuft meistens barfuss. Bräuchte eigentlich dringend neue Stiefel. Doch die sind Mangelware. Zu seinem Geburtstag bekommt er von seiner Mutter welche. Sie muss einiges auf sich genommen haben, um sie zu besorgen. Leider sind sie Jakob zu klein, aber das traut er sich nicht ihr zu sagen. Schuhe sind ihm momentan ohnehin nicht so wichtig. “Seit ich mit Maria zusammen bin, ist mir vieles nicht mehr so wichtig. Dass wir im Krieg sind, zum Beispiel. Oder dass alles so knapp ist und wir so arm, dass Mutter oft nicht ein noch aus weiß mit dem Geld.” (Zitat aus “Das letzte Aufgebot” S.21) Denn seit zwei Monaten ist er mit Maria zusammen, der Nichte des Bürgermeisters. Sie hat ihre Eltern im Krieg verloren und wohnt erst seit einiger Zeit bei ihrem Onkel. Vom Krieg merken Jakob und seine Freunde nicht allzu viel, wenn sie sich treffen. Ab und zu fliegt mal ein Flugzeug über das Dorf. “Gemeinsam starren wir in den Himmel und beobachten die feindlichen Flugzeuge, die in großer Höhe so seelenruhig über uns hinwegfliegen” (Zitat S.20ff) Doch dann kündigen sich eines Tages ein paar SS-Männer in Steinbach an. “SS-Männer bekommen wir hier nicht oft zu sehen und Offiziere schon gar nicht. Aber jeder hier kennt irgendwelche Geschichten über diese Männer, die
Helden für uns sind. Einem SS-Offizier die Hand zu schütteln, das ist schon etwas Besonderes. Jetzt freue ich mich richtig auf Montag.” (Zitat S.40) Die Jugendlichen sollen eingezogen werden. Alle 16-Jährigen. Jakob ist eigentlich noch ein Jahr zu jung, doch man darf sich auch freiwillig melden. Es wird sogar — mehr oder weniger — erwartet, dass man dies tut. Auch wenn Maria und seine Mutter dagegen sind, meldet sich Jakob. Er kann seine Freunde schließlich nicht im Stich lassen. Vor allem Franz, sein bester Freund, und ebenso bekennender Nazi wie auch sein Vater, ist begeistert an die Front zu dürfen. Sie brechen bald auf, in ein Trainingslager, in welchem sie ausgebildet werden sollen. Es ist nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt haben. Überall fehlt das Nötigste, sie müssen sich aus Seil und Plane Zelten bauen, weil es keine mehr gibt. Auch Uniformen gibt es nicht, das Essen ist auch etwas dürftig. Aber sie lernen eine ganze Menge. Dann werden sie an die Front geschickt. “Die 1. US-Armee wird von General Omar Bradley befehligt. Er ist eine Legende. Er gilt als unschlagbar. Und ab Montag sollen wir gegen ihn kämpfen. In vier Tagen. Wir haben noch keine
Helme, keine Uniformen, keine Gewehre und nicht mal Pistolen. Es klingt wie ein Todesurteil.” (Zitat S.154ff) Am Wochenende davor dürfen sie ein letztes Mal nach Hause. Dort erfährt Jakob etwas, das alles für immer verändern wird…
Das Cover ist fein auf die inhaltlichen Elemente des Buches abgestimmt. Mitgearbeitet hat — so wird vorne im Buch erwähnt — auch Oscar Kafsack, der ebenfalls an dem gleichnamigen Theaterstück beteiligt war. Bereits zu Beginn ist man gleich mitten in der Geschichte, begegnet Ich-Erzähler Jakob, der einen Alptraum über seinen im Krieg verschollenen Vater hat. Dennoch erfährt man in dem Roman zunächst noch viel dörfliche Idylle. Kartoffeln ernten auf dem Feld in sommerlicher Hitze, barfuss laufen den ganzen Tag über, baden im Fluss, die Treffen mit Jakobs Clique, Alkohol und ein Schützenfest findet auch noch statt. “Wir sind mitten im Krieg, denke ich plötzlich, nur hier bei uns findet er nicht statt. Jedenfalls noch nicht. Hier fehlen nur welche. Unsere Väter zum Beispiel.” (Zitat S.43) Der Erzählton von Moritz Seibert ist sehr angenehm und flüssig. Die Charaktere sind ausgereift und gehen in die Tiefe. Allen voran die Entwicklung des Protagonisten ist sehr authentisch und bewegend dargestellt. Denn den Ernst der Lage begreift Jakob anfangs noch nicht. “Wenn ich mich freiwillig melde und Soldat werde, käme ich hier endlich mal raus. Zusammen mit den anderen. Wer weiß, in welches Land sie uns schicken? Ich wäre ein guter Soldat, da bin ich mir sicher. Es würde mir Spaß machen, mich an den Feind heranzupirschen” (Zitat S.44) Die letzte Einberufung von Jugendlichen in den Krieg ist ein sehr seltenes Thema im Jugendbuch, die letzten Monate — der Krieg ohnehin schon fast verloren. Dass die Jugendlichen in kurzen, dreiwöchigen Crashkursen ausgebildet wurden und dann an die Front geschickt werden sollten, das zeigt “Das letzte Aufgebot”. Wie sie sich heldenhaft naiv in den Kampf stürzen wollten und falschen Idealen nachhingen und noch an den Endsieg glaubten, ohne zu wissen, dass die Niederlage nur noch hinausgezögert wurde. “Wieder brüllen fast zweitausend Kehlen das “Sieg heil” mit ihm, und wieder stellen sich die Härchen auf meiner Haut auf. Momente wie diesen haben wir in Steinbach nie erlebt. […] Das
hier ist viel größer! Und ja, verdammt, wenn uns je eine dieser fieen Ratten begegnen sollte, dann werden wir sie erschießen. Weil es unsere Pflicht ist. Anders geht es nun mal nicht.” (Zitat S.153ff) Doch allmählich beginnt Jakob Entscheidungen in Frage zu stellen, das Verhalten seiner Kameraden zu hinterfragen. Was ist ihm wirklich wichtig? “Wenn es verboten ist, das Richtige zu tun, und wenn man gezwungen wird, Dinge zu tun, die falsch und feige sind, dann kann das ja nicht passen. Dann passt irgendwann überhaupt nichts mehr.” (Zitat S.172) Es ist wirklich bewegend und auch sehr spannend, den Ereignissen im Lager, aber auch im Dorf zu folgen. Und man ahnt bereits, dies wird ein Sommer, der alles für immer auf den Kopf stellen wird. Das Ende passt sehr gut, vor allem der letzte Satz. Der Roman schließt mit einem Ausblick auf die kommenden Geschehnisse ab und enthält ebenso eine Zeittafel, auf der die wichtigsten Ereignisse jener Zeit, die in “Das letzte Aufgebot” eine Rolle spielen, noch einmal skizziert werden. In einem Nachwort geht Moritz Seibert auf den eigenen familiären Bezug zur Geschichte ein und die Hintergründe der Entstehung des Buches.
Dich interessieren Jugendbücher, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs spielen? Dann lies zum Beispiel “Dunkelnacht” von Kirsten Boie, welches ebenfalls in einer Kleinstadt beheimatet ist. Etwas früher spielt “Bis die Sterne zittern” von Johannes Herwig, hier wird auch die Hitlerjugend thematisiert (allerdings schließt sich der Protagonist dem Widerstand an) und die Geschichte einer ersten Liebe. Oder lies “Swing High” von Cornelia Franz, welches ebenso das Aufwachsen der Jugendlichen während des Zweiten Weltkriegs zeigt. Andere empfehlenswerte Jugendbücher zum Thema Holocaust findest du hier.
Bibliografische Angaben:Verlag: Karibu (Edel Verlagsgruppe) ISBN: 978-3-96129-487-9 Erscheinungsdatum: 5.März 2025 Einbandart: Hardcover Preis: 16,99€ Seitenzahl: 320
Kasimira auf Instagram:
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
Dieser Titel hat es in folgende Kategorie geschafft: **Kasimiras Lieblingsbücher**