“Das schöne Leben und der schnelle Tod” ist der neueste Roman des deutschen Schriftstellers Michael Wildenhain. Eine Geschichte über einen Jungen, der zwischen die Fronten zweier rivalisierender Gruppen von Schülern gerät. Theatralisch. Inhaltlich teils äußerst befremdlich. Anstrengend zu lesen. Ein Buch, mit dem ich so leider überhaupt gar nichts anfangen konnte. Für Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene.
Gabor hat mal wieder den Wohnort gewechselt. Dies hat er nicht seinem ihm unbekannten Vater zu verdanken, der nur ab und zu mal eine Postkarte oder Geld schickt, sondern mal wieder seiner Mutter: “Immer war was mit einem “scheiß Typen”. Der sie, wie immer, “echt scheiße behandelt hat”. Immer schuldete sie dem Mann — “behauptet er, der Wichser” — irgendwie irgendwann Geld. Immer war es deshalb angeraten, die Stadt zu wechseln. Und immer redete sie in den ersten Wochen nach dem erneuten Umzug von Chefs, die sie “arschig” behandeln würden. Von Vorarbeitern der Putzkolonne, “so echt notgeile Exemplare, ehrlich”.” (Zitat aus “Das schöne Leben und der schnelle Tod” S.51). Gabor zockt am liebsten an seinem Computer. Wäre gerne selbst so stark wie der unglaubliche
HULK oder so geschickt wie DEUS mit seiner magischen Waffe. In den vergangenen Schulen wurde er meistens geärgert. Oder “Gabriel” oder “Gabi” genannt. An der neuen Schule ist es erstaunlicherweise nicht so. Keiner dieser Spitznamen wird verwendet, um sich über ihn lustig zu machen. Dafür gerät Gabor zwischen die Erzfeinde Mozart und Luzius, die mit ihrem jeweiligen Anhang erbitterte Kämpfe gegeneinander führen. In einem Matheduell vor der ganzen Klasse schafft Gabor gegen Luzius ein Unentschieden und erntet Anerkennung von diesem für sein mathematisches Talent. Und stellt sich bei einem nächsten Gefecht zwischen den Erzrivalen auf Luzius Seite. “Und als Gabor an dessen Feldherrenhügel vorbeirennt, hört er den Gebieter des Geschehens [Mozart], das kajalumflorte Mastermind, mit milder Stimme sagen: “Das war ganz hübsch, mein Kleiner. Nur hast du, mein Lieber, das Spiel nicht
begriffen. Deine Entscheidung war falsch.” (Zitat S.48) Hat Gabor einen Fehler gemacht, indem er Partie ergriffen hat? Während er sich auch noch in die schöne Fee verliebt, beginnt Gabor langsam hinter die Hintergründe des Konfliktes zu kommen…
Das Schönste an “Das schöne Leben und der schnelle Tod” sind für mich das Cover und der Titel. Beide machen neugierig und wirken abseits des Mainstreams. Auch der Plott an sich — liest man den Klappentext — klingt wirklich interessant. Jedoch und jetzt kommt das große ABER, die Umsetzung hat mir persönlich nicht gefallen. Wie soll man Sympathie zu einer Figur aufbauen, die bereits zu Beginn nicht gerade ins rechte Licht gerückt wird, sondern mit solchen Ausführungen beschrieben wird? — “Er reckt sich, schlurft Richtung Bad, zieht einen mächtigen Popel aus seinem rechten Nasenloch und denkt: Mann, o, Mann.” (Zitat S.14) Auch das Umfeld, in dem Gabor lebt, seine Schilderung der Verhältnisse seiner Mutter gegenüber ihren Liebhabern — so schlimm diese auch für ihn sein mögen — wirken nicht besonders vorteilhaft: “Was zockst du denn so an deinem Compi? Call of Duty?” Compi. Solche Idioten rutschen zuhauf über seine Mutter drüber, im frischgemachten Bett. Oder sie oben, er unten, kennt Gabor alles. Auch das alberne Geschrei. Ja, doch, mach’s mir, ja. “Cool, deine Alte.” Das sind sie, die Worte des jeweils neuesten Neuen. Am Sonntagvormittag mit verquollenen Augen.” (Zitat S.61) Während zu Beginn des Buches noch ein Prolog eingeschoben wird, der den Grundkonflikt zwischen Mozart und Luzius andeutet, wird nun — von einem sich dezent zurückhaltenden allwissenden Erzähler, der sich jedoch hauptsächlich auf Gabor konzentriert — der Hauptteil erzählt.
Dieser teilt sich wiederum in ein “Anfang” , ein “Glück” und ein “Ende” auf. Gabor wird bereits vor Schulbeginn Zeuge einer heftigen Schlägerei zwischen den rivalisierenden Gangs, die er zufällig im Wald beobachtet. Ein Aneinandergeraten, das zudem auch recht brutal dargestellt wird: “Der Arroganzling, ebenfalls blass, wie ein Zombie, huscht auf den Hund zu und tritt ihm mit dem schweren Schnürstiefel gegen den Kopf. Der Hund jault auf und schüttelt seinen Hundeschädel.” (Zitat S.20ff) Anschließend schmeißen sie sogar noch Steine auf den wimmernden Hund, ehe der Anführer Mozart Einhalt gebietet. Manche Handlungen zwischen den Jugendlichen erscheinen auch völlig absurd und nicht nachvollziehbar, gehen an Tabugrenzen heran (daher auch die Altersempfehlung ab 15 Jahren!). Immer öfters hat man das Gefühl eines reinen Schauspiels, eines völlig übertriebenen, überzogenen Theaterstücks.
Hierzu tragen auch die befremdlichen, versartigen Aussagen von Mozart bei, der sich einer äußerst ungewohnten Sprachweise bedient: “Nanu, nana / wen haben wir denn da — das mediokre Mäntelchen…” Und wie an sich selbst gerichtet, fügt er fast flüsternd hinzu: “O bunte Welt / was schillerst du mir her / allein auf mich gestellt / bedarf ich dein — nie mehr.” (Zitat S.21) Die Sprache ist anstrengend zu lesen. Viele Sätze sind unheimlich lang und wirken ungelenk. Die Wortwahl ist zuweilen etwas merkwürdig und antiquiert wirkend und lässt einen beim Lesen eher stolpern, als flüssig vorankommen. “Noch während der kajalumflorte Anführer damit beschäftigt ist, ein überlegenes Feixen auf sein Gesicht zu malen, lenkt Staubmantel die eisenbewehrte Dame mit einer Bewegung der rechten Hand ab, greift mit der linken nach dem Knüppel, zerrt sie zu sich heran und stößt ihr mit der Stirn die Armierung tiefer ins aufspringende Fleisch —
Blut auf beiden Seiten.” (Zitat S.22) Manchmal ist die Wortwahl dann wieder locker und fast schon zu lässig (“…er habe da eine richtige brainig coole Idee.” Zitat S.187) um mit selten verwendeten Wörtern eingeleitet zu werden: “Sie steht im dusteren Korridor des verwinkelten Hauses von Fees grimmer Großmutter…” Zitat S.187) Diese Gratwanderung zwischen neumodischer, bemüht wirkender Jugendsprache und altbackener Wortwahl passen für mich nicht wirklich zusammen. Das Ende des Buches liefert einen kleinen Paukenschlag, der dann aber doch zu rasch ausklingt und irgendwie dann doch nichtssagend bleibt.
Fazit: Kann ich nicht weiterempfehlen.
Du interessierst dich noch für andere Jugendbücher des Autoren? Er hat außerdem folgende Titel verfasst: “Wer sich nicht wehrt” (1994), “Crashcar” (1995), “Der Augenblick des Absprungs” (2001), “Die Schwestern” (2005), “Mit heißem Herz” (2007), “Blutsbrüder” (2011). Zwei rivalisierende Gruppen und das Thema Rache, das findest du auch in “Wir sind nicht zu fassen” von Kurt Dinan, das richtig cool und unterhaltsam geschrieben ist. Ein wenig habe ich auch an “Die Regeln des Schweigens” von Tino Schrödl denken müssen, in dem ein Junge ebenfalls in etwas Unerwartetes hineingerät. Rache nimmt auch die Protagonistin in der Neuerscheinung und dem Thriller mit Tiefgang “Und dann weiß jeder, was ihr getan habt” von Christian Linker, das sich zudem mit gesellschaftlichen und politischen Hintergründen beschäftigt.
Bibliografische Angaben:Verlag: Fischer ISBN: 978-3-7373-5621-3 Erscheinungsdatum: 13.März 2019 Einbandart: Hardcover Preis: 15,00€ Seitenzahl: 240 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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