Der deutsche Journalist und Autor Matthias Morgenroth, der zahlreiche Kinderbücher verfasst hat, bringt mit “I can see u” sein erstes Jugendbuch heraus. Eine Geschichte über einen neuen Mitschüler, der eine Schulkasse mit seinen Tipps auf Trab hält und merkwürdig anders ist. Im Mittelpunkt ein Mädchen, das sich in diesen verliebt und Unglaubliches herausfindet. Äußerst flott und mitreißend erzählt. Mit einer interessanten Hintergrundthematik. Für Jugendliche ab 12 Jahren und für interessierte Erwachsene.
Die 15-jährige Marie ist eher etwas unscheinbarer. Wird gerne übersehen. “Ich bin sonst nicht so eine, die den Jungs hinterherglotzt, und erst recht bin ich keine von denen, denen die Jungs hinterherschauen. Leider! Im Gegenteil, ich habe meistens das Gefühl, herausgerechnet zu werden, egal, wie bunt ich mich anziehe und ob ich mich schminke oder nicht.” (Zitat S.7) Umso überraschter ist sie, als mitten im Schuljahr ein neuer Schüler in ihre Klasse kommt und sie tatsächlich wahrnimmt! Er heißt Ben und hat dunkelblonde Haare und nimmt bereits am ersten Tag mehrmals Blickkontakt mit ihr auf: “Er hatte mir mitten ins Herz gesehen. Klingt verrückt, aber so habe ich mich wirklich gefühlt. Als hätte er mir ins HERZ gesehen! Als wäre ich für ihn nicht nur eine durchschnittliche Fünfzehnjährige, die hauptsächlich aus Schwabelfalten am Gürtel, Edelmetallteilen im Mund und bescheuertem Grinsen im Gesicht besteht!” (Zitat S.8) Ben kommt in der Klasse bei den meisten sehr gut an. Er schickt allen ein Foto von sich und fordert sie dazu auf, ihm ebenfalls eines von sich zu schicken, damit er sich ihre Namen besser merken kann. Er organisiert sogar Treffen in der Klasse, bei denen sie zum Beispiel Trampolin springen gehen. Immer wieder schickt er anderen Links zu irgendwelchen Hobbys (“Na, er wollte gleich meine Nummer haben, und als er gemerkt hat, dass wir aus Spanien kommen, hat er mir Lieder aus den spanischen Charts geschickt. Süß, oder? Ich hab sofort ein paar Songs gekauft, die ich noch nicht kannte. Voll cool.” (Zitat S.33)). Als Marie sich schließlich traut, ihn nach einem Date zu fragen, sagt Ben jedoch nur, dass er am Wochenende leider nicht verfügbar ist. Irgendetwas ist höchst seltsam an ihm. Bis Marie gemeinsam mit ihrem Mitschüler Josh etwas geradezu Unfassbares über Ben herausfindet…
Ich muss gestehen, dass ich über die Hintergrundthematik des Buches — die ich aus Spoilergründen jetzt nicht erwähne — bereits zu Anfang durch die Verlagsvorschau informiert war, daher wusste ich schon worauf die Geschichte hinauslaufen würde, was mir natürlich einen gewissen Teil der Spannung nahm. Trotz dieses “Vorwissens” war ich überrascht, wie unheimlich flüssig und fesselnd “I can see u” geschrieben ist. Während es am Anfang noch etwas kitschig und flach wirkt (“Mir kam es vor, als sei die ganze Mensa plötzlich für Fasching geschmückt oder für Weihnachten. Alles glitzerte, alles schien voller Geheimnisse zu sein. Und am Nachbartisch … saß der Weihnachtsmann. Nein, besser, viel besser! Der Weihnachtsmann und das Christkind und der Osterhase ZUSAMMEN! Kann man sich so plötzlich verlieben?” (Zitat S.17)), nimmt der Roman, der durchgehend aus Maries Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist, bald richtig Fahrt auf. Die einzelnen Abschnitte sind meist nicht sehr lang und auch oftmals mit Chatauszügen oder Emails durchsetzt, was den Erzählfluss deutlich auflockert und einen geradezu über die Seiten fliegen lässt. Immer wieder werden auch technische Details und konsumverbessernde Maßnahmen in die Geschichte mit eingeflochten, die nicht nur nach Zukunftsmusik, sondern bereits nach Realität klingen. So hat Maries Vater zum Beispiel einen digitalen Assistenten in Wohnzimmer und Küche eingebaut, der Fragen
beantworten kann, wenn man ihn mit “Computer” anspricht. Ebenso Marie und ihre Mutter haben sich eine neue Errungenschaft gegönnt: “Wir hatten seit einer Woche ein Probeabo bei einer Smartshopping-Firma. Da braucht man gar nicht mehr anzuklicken, was man bestellen will, sondern bekommt geliefert, was gut zu einem passt. Das können die errechnen, aufgrund von unserem sonstigen Konsumverhalten oder so. Die meisten aus meiner Klasse machten da mit,…” (Zitat S.22) Auf jeden Fall jede Menge Stoff zum Nachdenken und daher ist “I can see u” auch ideal für eine Klassenlektüre oder als Buchvorstellung. Einen schönen Erzählrahmen bieten übrigens auch Maries gelegentlichen Kommentare. Denn das Buch enthält sozusagen ihre Aufzeichnungen, ihre Geschichte, die sie im Nachhinein dem Leser erzählt. Und dass das Ganze auf etwas Unheilvolles zusteuert, erkennt man sogleich am ersten Absatz: “Ben?”, rufe ich noch einmal. Ich wiege die Eisenstange in der Hand. Meine Waffe. Schwer und beruhigend. Ich werde die Tür öffnen, vorsichtig natürlich, und wenn er mir irgendetwas tun will, schlage ich ihn zu Boden.” (Zitat S.5) Was ist zuvor geschehen? Wie kam es zu dieser Szene? Während Marie ihre Erlebnisse — in einer recht einfachen, klaren Sprache — schildert, machen ihre Andeutungen immer neugieriger: “Ich frage mich, ob ich etwas hätte bemerken können, damals, an diesem Dienstag im Mai. Jetzt finde ich natürlich, ich hätte eigentlich
etwas bemerken MÜSSEN. Ich hätte wachsamer sein sollen. Aber so ist es doch meistens, hinterher bist du immer schlauer.” (Zitat S.33) Vieles kann man sich mit der Zeit zusammenreimen, spürt die Bedrohung unweigerlich auf sich zurasen. Das Ende hingegen — muss ich gestehen — hat mir leider nicht sehr gut gefallen, das war zu abrupt und vieles, was interessant wäre, was infolge dessen nun passieren könnte, wird nicht mehr erwähnt. Hier muss man seine Vorstellungskraft spielen lassen…
Fazit: Eine faszinierende, temporeiche Geschichte mit (für mich) leider nicht ganz so zufrieden stellendem Ausgang.
Die wohl beste inhaltliche Alternative zu “I can see u” ist “Faceful: Du bist nie allein” von Reinhold Ziegler, in welchem sich ein Mädchen ebenso in einen recht merkwürdigen Jungen verliebt (ähnliche Hintergrundthematik). Eine neue Mitschülerin in der Klasse, die einiges durcheinander bringt, das erlebst du zum Beispiel äußerst fesselnd in “Tausend Mal gedenk ich dein” von Heike E.Schmidt oder in “Instagirl” von Annette Mierswa. ACHTUNG SPOILERALARM: Gut könnte ich mir auch die zweibändige Reihe “Du kannst keinem trauen” und “Ihr seid nicht allein” von Robison Wells vorstellen oder “Eden Academy: Du kannst dich nicht verstecken” von Lauren Miller. Oder greif zu “Being” von Kevin Brooks, “Boy in a White room” von Karl Olsberg und “Cloud” von Claudia Pietschmann. Eine ähnliche Thematik behandeln auch diese Jugendbücher: “Echo Boy” von Matt Haig, “Dark World: Der geheime Code” von Tobias Rafael Junge (fesselnd!) und “God’s Kitchen” von Margit Ruile.
Bibliografische Angaben:Verlag: Coppenrath ISBN: 978-3-649-63190-3 Erscheinungsdatum: 21.Februar 2019 Einbandart: Hardcover Preis: 16,00€ Seitenzahl: 304 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)