“Morgen und die Ewigkeit danach” ist der erste in einem großen Publikumsverlag erscheinende Jugendroman der deutschen Bestsellerautorin Manuela Inusa, die besonders mit ihrer “Valerie Lane”-Reihe für Erwachsene bekannt wurde. Die Geschichte eines Mädchens, die nach einem Suizidversuch in einer Klinik landet und aufgehört hat zu sprechen. Die Begegnung mit einem Jungen, der mehrmals versucht hat sich das Leben zu nehmen, gibt ihr neue Hoffnung. Ein schmerzvoller, aber sehr sensibel und gefühlvoll erzählter Roman, der seine Protagonisten ernst nimmt. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 16-jährige Nathalie hat versucht sich das Leben zu nehmen. Mit Schlaftabletten. Doch sie wurde rechtzeitig gefunden und ist jetzt in einer psychiatrischen Klinik gelandet. Seit fünfundneunzig Tagen hat sie kein Wort mehr gesprochen. “Ich kann nicht. Wenn ich rede, würde ich mich vielleicht wie ein lebendiges Wesen fühlen, und das will ich nicht. Innerlich tot, das will ich sein. Ich habe nichts anderes verdient. Ich bin tot seit dem Abend, an dem mein kleiner Bruder Henry starb. An dem ich ihn sterben sah.” (Zitat aus “Morgen und die Ewigkeit danach” S.13) Ihre zwei besten Freunde, ihre Mutter, ihr Stiefvater, ihr leiblicher Vater, keiner kommt mehr an sie heran. Denn ihr kleiner Bruder Henry war alles für Nathalie. “Alles, was mein kleiner Bruder macht, ist für mich der Hammer. Er ist der Hammer. Er ist der größte Schatz auf Erden. Ich nehme das Bild in die Hand und betrachte es genauer. Es zeigt gelbe Farbklekse. “Das sind Sterne, Natty. Für dich.” Ganz stolz blickt er zu mir hoch, ein riesiges Strahlen im Gesicht.” (Zitat S.28) Deshalb macht das Leben auch nun keinen Sinn mehr. Egal, was ihre Therapeutin zu ihr sagt und welche Schreibaufgabe sie Nathalie aufgibt. Es macht alles keinen Sinn mehr. Wie soll sie jemals wieder glücklich sein, wenn Henry nicht mehr da ist? Außerdem gibt sie sich die Schuld an seinem Tod. In der Klinik nimmt Nathalie eher widerwillig an den therapeutischen Angeboten teil. Macht nur das, was sie unbedingt muss. Dies ändert sich plötzlich, als ein Neuer in die Einrichtung kommt: “Er ist ziemlich groß, hat dunkles Haar und trägt einen dunkelblauen Hoodie. Die anderen Typen habe ich nie weiter beachtet,
aber der Neue hat irgendwas an sich, das mein Interesse weckt. […] Er hat etwas in seinen Augen, das mir bekannt vorkommt. Ich sehe das Gleiche, wenn ich in den Spiegel blicke. Eine Leere, die man nicht beschreiben kann — er ist mir auf Anhieb sympathisch.” (Zitat S.34) Lucas kommt Nathalie unerwartet näher, schafft es sogar, sie allmählich zum Sprechen zu bewegen. Doch auch er hat ein gewaltiges Päckchen zu tragen…
Das Cover ist passend und schön gestaltet. Der Titel klingt ein wenig kitschig, funktioniert aber für die Zielgruppe sicherlich. Der Roman ist durchgehend aus Nathalies Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben. Manuela Inuas verwendet eine sehr flüssige Sprache, teils kurze Sätze, eine einfache, gut zu lesende Wortwahl. Die Kapitel werden von Zitaten aus Nathalies Schreibaufgaben eingeleitet, wie zum Beispiel: “Ich mag die Leere. Ich finde es gut, nichts zu fühlen. Wer nichts fühlt, kann nicht verletzt werden. Wer nicht verletzt wird, erfährt keinen Schmerz. Ich habe genug Schmerzen für ein ganzes Leben ertragen.” (Zitat S.61) Auch schreibt sie eine Art Tagebuch, welches in einem anderen Schriftbild abgedruckt wird, das immer wieder zeitweise eingeblendet wird. In kursiver Schrift lassen sich Erinnerungen an früher vom Haupttext abgrenzen. Auch Texte über den Werdegang von berühmten oder unbekannteren Selbstmördern von Lucas werden immer wieder eingeschoben. Die Liebesgeschichte zwischen Nathalie und Lucas wird sehr behutsam beschrieben. Man merkt wie beide von ihren eigenen Problemen gefangen sind und Schwierigkeiten haben sich aufeinander einzulassen, besonders Nathalie. Gerade diesen Gefühlswirrwarr hat die Autorin gut getroffen: “Mit seinen grünen Augen sieht er mich ununterbrochen an, in mir kribbelt alles. Ich kann es nicht aufhalten. Und das Schlimmste ist, es gefällt mir sogar. Was soll der Mist? Das passt doch nicht zu meiner Ich-hasse-alles-und-jeden-und‑a
m‑meisten-mich-selbst-Einstellung! Ich will mich nicht gut fühlen. Ich will ihn nicht gut finden. Ich will das alles nicht!” (Zitat S.38) “Morgen und die Ewigkeit danach” ist jedoch — und dessen muss man sich als Leser bewusst sein — eine sehr schmerzhafte Geschichte, eine intensive Auseinandersetzung mit der Sehnsucht nach dem Tod. Ein Buch, das an die Substanz geht: “Irgendwann werde ich es schaffen.” Mein Herz bricht. Ich will nicht, dass er es schafft. “Willst du denn wirklich tot sein?”, frage ich. “Ich will nicht mehr leben. Also ist das die einzige Lösung”, ist alles, was er sagt. Da hat er wohl recht.” (Zitat S.94) Eine Geschichte, die tränenreich und sehr bewegend sein kann. Und dennoch Mut macht. Das Ende — sehr passend. Im Anhang findet man noch Adressen, an die man sich in Notsituationen wenden kann.
“Morgen und die Ewigkeit danach” ist — schaut man sich die Homepage der Autorin genauer an — tatsächlich nicht der erste Jugendroman der Autorin, aber zumindest der erste, der in einem großen Publikumsverlag erschienen ist. Zuvor schrieb sie außer ihren zahlreichen Romanen für Erwachsene noch die Jugendbücher “Scheißleben!” (2012) und “Der Club der Einzelkinder” (2013). Eine passende Lesealternative zu “Morgen und die Ewigkeit danach” ist “Alles so leicht” von Meg Haston, an das sich sofort denken musste. Die Protagonistin landet ebenfalls in einer Klinik, weil sie sich das Leben nehmen wollte und sich schuldig am Tod des Bruders fühlt. Hier kommt allerdings noch die Problematik einer Essstörung hinzu. Zwar nicht in einer Klinik spielt “Wenn du mich küsst” von Juliana Stone, aber es setzt sich ebenfalls mit dem Tod des Bruders auseinander und wartet mit einer sehr romantischen Liebesgeschichte auf. Suizid und Liebe? Das findest du äußerst berührend in diesen Büchern: “Mein Herz und andere schwarze Löcher” von Jasmine Warga, “Survive: Wenn der Schnee mein Herz berührt” von Alex Morel und “Atme nicht” von Jennifer R.Hubbard. Sehr gut könnte ich mir auch die Novität “Marilu” von Tania Witte vorstellen oder das sprachlich brillant erzählte “Die Stille meiner Worte” von Ava Reed (hier spricht die Hauptfigur ebenfalls nicht, allerdings ohne Liebesgeschichte). Eine neue Liebe nach dem Tod einer engen Bezugsperson, das findest zu zudem in der Neuerscheinung “All this time: Lieben heißt unendlich sein” von Rachel Lippincott und Mikki Daughtry.
Bibliografische Angaben:Verlag: Cbt ISBN: 978-3-570-31380-0 Erscheinungsdatum: 13.April 2021 Einbandart: Broschur Preis: 13,00€ Seitenzahl: 320 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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