Die schwedische Autorin Maja Hjertzell hat mit “Henriettas Geheimnis” einen Roman geschrieben, den der Kosmos Verlag mit “Lieblingsbuch 2016” betitelt hat. Eine Geschichte über die erste Liebe, extreme Schüchternheit und den Mut, sich auf etwas Unberechenbares einzulassen. Erzählt aus der Perspektive eines Jungen. Sensibel, poetisch und erfrischend anders. Für Jugendliche ab 12 Jahren.
Möwe ist eher der unscheinbare Typ. Er schreibt gute Noten, geht selten auf Partys. Er beobachtet gerne Vögel und liebt das Fotografieren. Und er ist seit Ewigkeiten in Henrietta verliebt. “Henriettas Blicke sind wie Lichtreflexionen, wie kleine Blitze. Wenn mich so ein Blick zufällig trifft, wenn ich in seine Bahn gerate, möchte ich am liebsten in Ohnmacht fallen, ihn auffangen und abtauchen, wegrennen und nie mehr zurückkehren, alles zugleich.” (Zitat S.11) Aber bis auf ein paar vereinzelte Worte ist zwischen ihnen noch nie etwas passiert. Möwe himmelt gerne aus der Ferne an. Er speichert jede Begegnung mit ihr ab — selbst ein zufälliges Nebeneinandersitzen auf einer Bank ist für ihn von großer Bedeutung — und erinnert sich regelmäßig an diese Momente zurück, die er sammelt, wie einen Schatz. Einen ersten Schritt wagen? Unmöglich, denn Möwe ist mehr als schüchtern. “Ich habe eine Heidenangst vor Mädchen und vor dem Küssen und davor, mit jemandem zusammenzukommen. [..] Ich war nie mit jemanden zusammen. Noch nie. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie das geht. Was soll man sagen? Wie soll man sein? Und was werden die anderen sagen?” (Zitat S.10) Seine beste Freundin Rebecka ist da schon ganz anderer Natur. Und so sagt sie ihm eines Tages, dass sie seiner heimlichen Liebe genau jene Heimlichkeit gestanden hat: “Wie soll man sich in dich verlieben, wenn du nie den Mund aufmachst und immer nur dastehst, als müsstest du dich für deine Existenz auch noch entschuldigen?” (Zitat S.29) Das ist der SUPER-GAU für Möwe. Wie soll er sich denn jetzt verhalten? Vor allem, als Henrietta tatsächlich auf ihn zugeht und auch an ihm interessiert zu sein scheint? Das kann doch nur schief gehen, oder…?
“Henrietta, mein Geheimnis” wird durchgehend aus Möwes Sicht erzählt. Möwe ist nur ein Spitzname, sein echter Name wird während des Romans tatsächlich nie verraten. Positiv aufgefallen ist mir die Geschichte sogleich schon zu Beginn aufgrund der äußerst einfühlsamen, teils geradezu poetischen Erzählweise: “Ihre Stimme klingt rau und etwas spröde, wie Sandpapier. Aber nicht wie neues Sandpapier. Ihre Stimme klingt warm und kratzig. Wie Sandpapier, bei dem die Kanten vom Schleifen allmählich brüchig werden. Das Papier ist warm, und man hat feinen Staub an den Fingern. Ich kann mir ein Leben ohne diese Stimme nicht mehr vorstellen.” (Zitat S.7) Möwes Unsicherheit und seine widersprüchlichen Gefühle, die er gerne versucht an- und auszuknipsen (was ihm aber nicht gelingt;-)), werden sehr authentisch geschildert. Nichtsdestotrotz möchte man ihn zuweilen doch einmal schütteln und aufwecken und ihm ein wenig Mut eintrichtern, an dem es ihm so fehlt. Beispielsweise ruft Henrietta ihn an, hört ihn atmen, weiß, dass er am Telefon ist und er legt einfach auf, indem er behauptet, sie wäre falsch verbunden. Manchmal wirkt seine Art jedoch auch unfreiwillig komisch und sorgt für angenehme, unterschwellige Ironie: “Ich dachte, ich müsste den Verstand verlieren, wenn ich nicht meine Hand ausstrecken dürfte, um eines dieser Handgelenke zu umfassen und mit dem Daumen über ihre Haut zu streicheln. Aber das habe ich natürlich nicht getan. Und den Verstand verloren habe ich auch nicht. Jedenfalls nicht, soweit ich das beurteilen kann.” (Zitat S.12) Im Mittelteil gab es ein paar minimale Längen, jedoch macht vor allem das Ende vieles wieder wett: das hat mich richtig überrascht! Sehr gut gefallen habe mir auch die Überschriften, die komplett aus Redewendungen bestehen, wie “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold” oder “Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder große Sorgen!” Es ist nämlich zu einer für den Leser recht erheiternden Angewohnheit zwischen Möwe und seinem besten Freund Robin geworden, sich teilweise in Sprichwörtern zu unterhalten;-)
Fazit: Ein authentisches, einfühlsames Buch, das Mut macht, zu sich selbst zu stehen und auch mal ein Risiko einzugehen!
Dir gefällt das “Lieblingsbuch 2016” vom Kosmos Verlag? Dann lies die “Lieblingsbücher” der vorherigen Programme: “Dein eines, wildes, kostbares Leben” von Jessi Kirby (2014) und “This song will save your life” von Leila Sales (2015), die mir beide auch sehr gut gefallen haben. Inhaltliche Alternativen vor allem bezüglich der Unsicherheit gegenüber Mädchen und dem Thema Selbstbewusstsein findest du in “Kann ich bitte löschen, was ich gerade gesagt habe?” von Thorsten Wohlleben. Eine richtige gute Lesevariante ist auch “Die Ballade von der gebrochenen Nase” von Arne Svingen, in dem ein Junge seine Unsicherheit überwinden muss, zudem auch sehr humorvoll. Oder lies das tolle “Ben Fletchers total geniale Maschen” von T.S. Easton, in dem der Protagonist ebenso lernt, zu sich selbst zu stehen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Kosmos ISBN: 978-3-440-14912-6 Erscheinungsdatum: 9.März 2016 Einbandart: Hardcover Preis: 12,99€ Seitenzahl: 208 Übersetzer: Stephanie Elisabeth Baur Originaltitel: "Henrietta är min hemlighet" Originalverlag: Rabén & Sjögren Schwedisches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------------------------------------------- Schwedisches Originalcover: Homepage von Rabén & Sjögren