Liz Coley — Scherbenmädchen

Liz Coley Scherbenmädchen21.April 2017

Scher­ben­mäd­chen“ von der ame­ri­ka­ni­schen Autorin Liz Coley ist ein Thril­ler, der an die Sub­stanz geht. Ein hef­ti­ges Buch über Ent­füh­rung, Ver­drän­gung und die Spal­tung einer Per­sön­lich­keit. Beson­ders in Frank­reich ein gro­ßer Best­sel­ler. Hoch­gra­dig fes­selnd und ver­stö­rend. Nichts für Zart­be­sai­te­te. Aber wahr­lich eines der bes­ten Bücher, das ich die­ses Jahr gele­sen habe! Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren und Erwachsene.

Angie ist 13 Jah­re alt, als sie in einem Pfad­fin­der­zelt­la­ger mor­gens zum Pin­keln in den Wald geht. Sie wird nie mehr in das Lager zurück­keh­ren. Denn im Unter­holz war­tet jemand auf sie, der sie zu ent­füh­ren wagt. Dann plötz­lich fin­det sich Angie auf der Stra­ße wie­der, die zum Haus ihrer Eltern führt. In der Hand hat sie eine Tüte mit Klei­dungs­stü­cken, die sie nicht kennt. Was ist pas­siert? Angie kann sich an nichts mehr erinnern.

Angie, wo… Wo bist du gewe­sen?“ „Das weißt du doch.“ Wie­der zog sich ihr Magen schmerz­haft zusam­men. „Zel­ten?“ Die Art, wie ihre Eltern sie anstarr­ten, mach­te ihr das Atmen schwer. „Zel­ten“, sag­te sie noch ein­mal ent­schlos­sen. Dad kam die Trep­pe her­un­ter. „Zel­ten“, wie­der­hol­te er. „Zel­ten?“ Sei­ne Stim­me wur­de schrill. „Drei Jah­re lang?“ (Zitat aus “Scher­ben­mäd­chen” Sei­te 16).

Liz Coley ScherbenmädchenAber schein­bar sind drei Jah­re ver­gan­gen. Das sagen zumin­dest ihre Eltern. Eine lan­ge Zeit, an die sie sich ein­fach nicht erin­nern kann. Das kann doch nicht sein, oder? Doch das Gesicht im Spie­gel spricht da eine ande­re Spra­che: der Kör­per einer 16-Jäh­ri­gen schaut ihr ent­ge­gen. Erst all­mäh­lich und mit der Hil­fe einer Psy­cho­lo­gin kommt Angie dahin­ter, dass in ihr vier Per­sön­lich­kei­ten zuta­ge getre­ten sind: Pfad­fin­de­rin, Klei­ne Frau, Engel und Pet­ze. Und die haben all das Schreck­li­che, das sie erle­ben muss­te, an das sie nach wie vor kei­ne Erin­ne­rung hat, ertra­gen. Nur jede ihrer Per­sön­lich­kei­ten kennt einen Teil der Wahr­heit. Aber wird Angie es ertra­gen, die Puz­zle­tei­le inein­an­der zu fügen? Oder wird sie dar­an zerbrechen?

Scher­ben­mäd­chen“ beginnt mit einem Pro­log, der den Leser sofort in das Gesche­hen hin­ein­ver­setzt. Er schil­dert die Erleb­nis­se des Ent­füh­rungs­ta­ges. Und er endet mit der Abspal­tung ihrer Persönlichkeiten:

Zwi­schen dei­nen Schlä­fen brei­te­te sich ein ste­chen­der Schmerz aus. […] Einen kur­zen Augen­blick lang hast du dich zu einem win­zi­gen fes­ten Licht­punkt zusam­men­ge­ballt und gespürt, wie du von dei­nem Kör­per abge­trennt wur­dest. Du hast dich ver­steckt. Und wir haben dich ver­bor­gen gehal­ten, bis zu wie­der in Sicher­heit warst. Es war eine sehr lan­ge Zeit.“ (Sei­te 11)

Die­se außer­ge­wöhn­li­che Sicht­wei­se auf eine dis­so­zia­ti­ve Stö­rung zu erhal­ten, stellt den beson­de­ren Reiz des Buches dar. Denn es wird nicht nur aus Angies Sicht, son­dern auch aus der der ande­ren Per­sön­lich­kei­ten erzählt, die zuwei­len zu Wort kom­men, Erklä­run­gen lie­fern und für immer mehr Zusam­men­hän­ge sor­gen, um die Puz­zle­tei­le anein­an­der zu fügen. Vor allem grei­fen die­se Per­sön­lich­kei­ten noch immer in Angies Leben ein. Sie schrei­ben ihr Brie­fe, spre­chen ihr auf Band, zie­hen ver­ruch­te Klei­dungs­stü­cke an oder las­sen einen Slip im Super­markt mit­ge­hen. Doch sie schüt­zen Angie auch, vor dem Unheil, das immer noch in ihr Leben ein­dringt. Ein unge­heu­er­li­cher Ver­dacht lässt sie bald begrei­fen, dass sie auch schon vor ihrer Ent­füh­rung eine inne­re Per­son in sich hat ent­ste­hen las­sen. Eine, die sie gebraucht hat, weil sie etwas Schlim­mes nicht ertra­gen hat.
„Scher­ben­mäd­chen“ liest sich durch­weg unter­halt­sam und span­nend. Ich konn­te es kaum aus der Hand legen! Die­ser Roman soll­te sich defi­ni­tiv ein­rei­hen, in die Arma­da an Best­sel­lern der Pro­blem­li­te­ra­tur wie „Tote Mäd­chen lügen nicht“ von Jay Asher, Bevor ich ster­be“ von Jen­ny Down­ham, Die Wel­le“ von Mor­ton Rhue und Nichts: Was im Leben wich­tig ist“ von Jan­ne Tel­ler.

KasimiraJedoch ist mir am Ende des Romans ein klei­ner Logik­feh­ler auf­ge­fal­len: ««««««ACHTUNG SPOILER:»»»»»» Als das Foto des Ent­füh­rers ver­öf­fent­licht wer­den soll (ohne die Ent­füh­rung zu erwäh­nen), damit die Öffent­lich­keit über den Ver­bleib des Man­nes in den letz­ten Jah­ren viel­leicht etwas bei­steu­ern könn­te, ver­mu­ten alle bereits, dass die Pres­se eins und eins zusam­men­zäh­len wür­de und dar­auf kommt, wer die­ser Mann ist. Gegen Ende als Angie sich ent­schließt den Eltern von Sam nichts zu erzäh­len, erfah­ren die­se jedoch, wer der Vater ihres Kin­des ist. Dabei wür­den die­se nun doch erst recht erfah­ren, dass Angie die Mut­ter ist, wenn die Pres­se eins und eins zusam­men­zählt! Scha­de, fand ich auch, dass man nicht mehr erfährt, wie der Ent­füh­rer tat­säch­lich gestor­ben ist, da hät­te ich noch eine haar­sträu­ben­de Auf­lö­sung (von Engel) erwar­tet. ««««««ENDE SPOILER»»»»»»

Fazit: Trotz allem ein wirk­lich sehr lesens­wer­tes Buch, das man nicht so schnell ver­ges­sen wird!

Im Jugend­buch gibt es eini­ge Bücher, die sich mit dis­so­zia­ti­ven Stö­run­gen aus­ein­an­der­set­zen: „Der Scher­ben­samm­ler“ von Moni­ka Feth Lesealternativenund die Neu­erschei­nung „Ich und mein ande­res Leben“ von Kat­ri­na Leno. Vie­le Titel spie­len auch mit dem Motiv einer Per­sön­lich­keits­spal­tung und über­ra­schen den Leser damit: „Böser Bru­der, toter Bru­der“ von Narin­der Dha­mi (geni­al!), „Tote Mäd­chen schrei­ben kei­ne Brie­fe“ von Gail Giles (lei­der nicht so bekannt, klas­se!), „Böse, böse“ von Eliza­beth Woods, „1000 Mal gedenk ich dein“ von Hei­ke E. Schmidt (sehr span­nend! und etwas Neu­er: “Als ich dich such­te” von Lau­ren Oliver.
Wenn du psy­cho­lo­gi­sche Roma­ne magst, in denen du erst Schritt für Schritt hin­ter das Ver­hal­ten der Prot­ago­nis­tin kommst, dann wären „Ver­giss­dein­nicht“ von Cat Clar­ke etwas für dich oder „Zer­trenn­lich“ von Saskia Sar­gin­son. Sehr bewe­gend fand ich auch „In dei­nen Licht und Schat­ten“ von Loui­sa Reid.
Das The­ma Ent­füh­rung fin­det sich auch auf sehr hef­ti­ge Wei­se wie­der in „Bun­ker Dia­ry“ von Kevin Brooks (eines sei­ner bes­ten Bücher!) oder Die unter­ir­di­sche Son­ne“ von Fried­rich Ani. Oder du kannst natür­lich 3096 Tage“ von Nata­scha Kam­pusch lesen, das sich mit der Geschich­te einer wah­ren Ent­füh­rung beschäftigt.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Bastei Lübbe
ISBN: 978-3-404-17518-5
Erscheinungsdatum: 24.April 2017
Einbandart: Taschenbuch 
Preis: 9,90€
Seitenzahl: 320
Übersetzer: Susanne Klein
Originaltitel: "Pretty Girl 13"
Originalverlag: Harper Collins

Amerikanisches Originalcover:
Liz Coley Scherbenmädchen











Deutsches Originalcover:
Liz Coley Scherbenmädchen











Trailer zum Buch (englisch):

Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

Die­ser Titel hat es in fol­gen­de Kate­go­rie geschafft: **Kasi­mi­ras Lieb­lings­bü­cher**

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Englisches Cover: Homepage von Liz Coley

2 Kommentare

  1. Lufti

    Ich fand das Buch sehr gut den­noch ist mir auf­ge­fal­len, dass sehr vie­le Recht­schreib­feh­ler vor­han­den sind und die ver­schie­de­nen Teil­per­sön­lich­kei­ten haben mich ein biss­chen ver­wirrt, da sie komi­sche Namen tru­gen z.B. Pet­ze? Aber im Gan­zen ist das Buch sehr gut ACHTUNG SPOILER: Ich fin­de es sehr span­nend, dass der jun­kel von Angie sie miss­han­delt hat, den­noch stö­ren die Rechtschreibfehler

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  2. Richard

    Fas­zi­nie­ren­des Buch — vie­len Dank für die Rezension/Beschreibung. Es war teils sehr ver­wir­rend, aber doch im holis­ti­schen Gesamt­bild sehr tref­fend beschrie­ben. Mir hat es sehr gut gefallen!
    Lie­be Grüße!

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