Die russische Autorin Lena Gorelik hat mit “Mehr Schwarz als Lila” einen Roman geschrieben, der eigentlich (im Hardcover) in einem Erwachsenenverlag erschienen ist, sich aber aufgrund der Geschichte vor allem an ein junges/jugendliches Publikum richtet. Ein Buch über Freundschaft, das Erwachsenwerden und die Liebe, die nicht immer erwidert wird. Authentisch und einfühlsam erzählt. Mit einem besonders gelungenem Cover! Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Die 17-jährige Alexandra, die von allen nur Alex genannt wird, hat zwei beste Freunde: Paul und Ratte (die eigentlich Nina heißt). “Manchmal ist da diese Nähe zwischen uns. Die Nähe bedarf keiner Worte. Ich spüre sie dann, sogar in den Füßen, und ich weiß dann nicht, wie ich sie in Worte fassen sollte…[…] Manchmal fahre ich Paul dann durch die strubbeligen Haare und meine Hand bleibt in seinen Haaren stecken, und das ist, als hielte er mich damit fest. Oder ich lehne meinen Kopf an Rattes Schulter, und das ist beinahe ein Wort.” (Zitat aus “Mehr Schwarz als Lila” S.63ff) Alex, die einen Papagei namens Astrid daheim hat, trägt am liebsten schwarz. Sie hat nur schwarze Kleidungsstücke in ihrem Schrank hängen, auch wenn Ratte behauptet, sie hätte eine Hose in einer anderen Farbe (“Das ist dunkellila! Bist du farbenblind, oder was? “Nee, aber du offensichtlich. Das ist Schwarz, Reines Schwarz.” (Zitat S.65)) Zusammen führen die drei Freunde oft tiefsinnige Gespräche, lesen sich gegenseitig Texte vor oder spielen herausfordernde Spiele wie “Stell dir vor…” und “Du wirst dich doch trauen…” Bis eines Tages ein neuer Referendar an der Schule auftaucht, der sie in Deutsch und Geschichte unterrichtet und alles verändert: “Ich weiß nicht, wann sich die Dinge verschoben, das Leben Richtung Hoffnung, Geschichte und Deutsch ineinander, weil du keine Unterschied zwischen den Dingen machtest, und wir sagten nicht mehr, wir haben Geschichte, wir sagten, wir haben dich. Ich weiß nicht, wann sich die Dinge verschoben, in Richtung du. Dass ein Tag, an dem wir Deutsch oder Geschichte hatten, zu einem Tag wurde, an dem ich dich hatte. Als du eine Bedeutung wurdest, eine für mich.” (Zitat S.37) Alex verliebt sich in Johnny, wie sie ihn nennen. Mit dem sie sich manchmal treffen, einfach so, um eine Ausstellung anzusehen oder zu reden. “Es ist das erste Mal, dass wir dich außerhalb der Schule treffen. Wir sind aufgeregt. Wir wollen. Wollen wir jetzt schon zu viel?” (Zitat S.66) Doch dann spielen sie wieder eines ihrer Spiele — mit ihm- und Alex geht einen Schritt zu weit…
“Mehr Schwarz als Lila” ist ein in sich stimmiges, bewegendes, aber eher ruhigeres Buch. Es weiß nicht mit Spannung zu überzeugen — zumal es zu Beginn bereits Handlungsstränge, die gegen Ende passieren werden, andeutet — aber es überzeugt durch ein realistisches Porträt einer Freundschaft, denen die Veränderungen des Erwachsenwerdens in die Quere kommt. Ratte, die sich in ein Mädchen verliebt und plötzlich nicht mehr so präsent ist. Alex, die ihren Freunden nicht erzählt, dass sie sich in ihren Lehrer verliebt hat. Und Paul, der auf einmal ganz andere, neue Gefühle entwickelt: “Ratte hat sich in S. verliebt, und Paul hat sich in mich verliebt, das ist ein Vielleicht, und ich habe mich in dich verliebt, das ist ein Sicher. Und du. Ratte, Paul, du und ich.” (Zitat S.19) Der Roman wird durchgehend aus Alex Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Es ist Alex, die die Freundschaft der Drei in Worte fasst, die ihre Freunde charakterisiert (“Paul geht so: …” “Ratte geht so: …” “Pauls Geschichte geht so: …” “Rattes Geschichte geht so: …”) und immer wieder ihren Lehrer — den Referendar — als zentralen Mittelpunkt setzt, indem sie ihn mit einem “Du” anspricht: “Diese Geschichte ist ein Ich, sie ist ein Du, und sie ist Er nicht, und sie ist
ein bisschen ein Vielleicht. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich spule zurück, ich suche den Anfang. Als du das Klassenzimmer betriffst. So hat diese Geschichte begonnen.” (Zitat S.19) Das Buch ist mit vielen Dialogen gespickt und bietet neben vereinzelt langen, kunstvollen Sätzen eine zumeist sehr klare, schlichte, fast schon kindlich wirkende Sprache, die mit kurzen Sätzen besticht: “Paul ist mein allerbester Freund. Paul ist verschwunden, es sind jetzt sechs Tage. Alle machen sich Sorgen. Ich mache mir keine, weil ich weiß, es geht ihm gut.” (Zitat S.9) Kraftvoll, manchmal fast poetisch und mit sehr viel Tiefe zwischen den Zeilen: “Ein blonder Junge mit Haaren, die für Eigenwilligkeit sprechen, und ein Mädchen, deren Rastas schreien, dass sie anders ist. Sie sonnen sich, und sie sind sich einig. Sie sind hier, und woanders möchten sie nicht sein. Ein schönes Bild, das von Jugend erzählt, von Freiheit und dem Jetzt.” (Zitat S.153) Lena Gorelik erzählt eine hoffnungsvolle Geschichte. Mit Klugheit, Einsicht und Liebe zu ihren Charakteren. Sie zeigt die Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens, die Veränderungen, die geschehen, manchmal schleichend und manchmal lautstark und explosionsartig schnell. Wie ein falsches Foto zur falschen Zeit, wie am Anfang bereits verraten wird: “
Wenn man jemanden küsst, dann kommt man ihm schon sehr nahe. Paul hat mich geküsst. Ich habe ihn dazu gezwungen. Ich weiß nicht, wer da wem zu nahe gekommen ist. Irgendjemand hat den Kuss fotografiert.” (Zitat S.16) Dummerweise war jener Kuss direkt in Ausschwitz unter einem sehr bekannten Bogen mit einer sehr bekannten Schrift. Und auf einmal nehmen noch viel mehr Menschen auf der Welt Anteil am Erwachsenwerden, an Diskussionen über die heutige Jugend, über “Wie kann man nur…?” und “Warum?”. “Mehr Schwarz als Lila” macht nachdenklich und ist meiner Meinung nach auch sehr gut für eine Klassenlektüre oder für eine Buchvorstellung geeignet.
Du kannst noch die anderen Bücher von Lena Gorelik lesen: Ihr erster Roman war “Meine weißen Nächte”, für das sie hochgelobt wurde. Ihr zweiter Titel war “Hochzeit in Jerusalem”, welcher auch für den Deutschen Buchpreis 2007 nominiert war. Anschließend folgten der Reisebericht “Verliebt in St. Petersburg. Meine russische Reise”, der autobiographische Roman “Lieber Mischa… du bist ein Jude” und das Sachbuch “Sie können aber gut Deutsch”. Ihre letzten Bücher waren “Die Listensammlerin” und “Null gegen Unendlich” und die E‑Book-Kurzgeschichte “Unter dem Baumhaus”. Du möchtest eine Geschichte über die Freundschaft dreier Jugendliche lesen, die sich verändert, während sie erwachsen werden? Dann greif zu “All the strangest things are true.” von April Genevieve Tucholke (erzählt aus drei Perspektiven, mit Anspruch) und “Ponderosa” von Michael Sieben (erzählt aus der Sicht eines Jungen). Drei besondere Romane übers Erwachsenwerden sind auch “Vierzehn” von Tamara Bach (mit einer ebenfalls sehr intensiven Sprache), “Das ist der Sommer im Paradies, wie er eben aussieht, wenn man die Sonnenbrille absetzt” von Hilde Kvalvaag (berührend und beklemmend zugleich) und “Und plötzlich war der Wald so still” von Moa Eriksson Sandberg (authentisch!). Verliebt in den Lehrer, das erlebst du in “Zum Glück allein” von Katarina von Bredow, in “Sternschnuppenstunden” von Rachel McIntyre, “Love Lessons” von Jaqueline Wilson und etwas böser in “Teach me” von R.A.Nelson.
Bibliografische Angaben:Verlag: Rowohlt ISBN: 978-3-499-21834-7 Erscheinungsdatum: 19.September 2018 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,99€ Seitenzahl: 256 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
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