Die deutsche Autorin Lea Coplin, die unter Pseudonym schreibt, legt neuen Lesestoff nach. “Nichts zu verlieren. Ausser uns.” nimmt eine Nebenfigur aus ihrem Vorgängertitel “Nichts ist gut. Ohne dich” und setzt sie in den Mittelpunkt des (unabhängig zu lesenden) Romans, um deren eigene Geschichte zu erzählen. Ein vermeintlich arroganter Snob trifft auf eine temperamentvolle, zum Lügen neigende Straßenmusikerin. Zwei, die sich nicht ausstehen können und sich auf einer Reise quer durch Schottland unerwartet näher kommen. Ein Roadmovie voller großer Gefühle, unterhaltsamer Dialoge und toll gezeichneter Charaktere. Für Jugendliche ab 14 Jahren und für Erwachsene.
Edinburgh. Der 21-jährige Max von Linden, Sohn eines Bundestagsabgeordneten, ist auf der Flucht vor seinem Vater. Dessen Geburtstag naht und dem will Max unbedingt aus dem Weg gehen, auch wenn seine Mutter ihn bereits jetzt Tage vorher mit Anrufen und Nachrichten deswegen bombardiert. “Wann ich begonnen habe, meinen Vater zu hassen, weiß ich nicht mehr. Es war so ein Ur-Gefühl, das sich verfestigte über die Jahre. Die Ahnung davon, dass es nicht genug war, einfach nur da zu sein, dass man auch genügen musste. Ansprüchen. Erwartungen. Vor allem denen.” (Zitat aus “Nichts zu verlieren. Ausser uns.” S.56ff) Auf dem Flughafen stößt er unerwartet mit einer Fremden zusammen, die ihn beinahe über den Haufen rennt: Lina. Klein, blonde Haare, asymmetrische Flechtfrisur, Piercings in Nase und Unterlippe, große, blaue Augen und kalter Blick. Auch sie ist aus Deutschland abgehauen, um als Straßenmusikerin in Schottland ein wenig Geld zu verdienen. Und teilt gegenüber Max gleich ordentlich aus, den sie für den Zusammenprall verantwortlich macht. “Niemand wird mich aufhalten. Nicht meine Mutter, nicht ihr dämlicher Typ, ganz sicher kein dahergelaufener Schönling, der sich für was Besseres hält.” (Zitat S.18) Linas Familienverhältnisse sind ebenfalls nicht die besten: “Meine Mutter behauptet immer, die Begeisterung für die Musik hätte ich von meinem Vater geerbt, dem Mann, der sie geschwängert und dann sitzen gelassen hat und der vermutlich ihre große, einzige, alles überschattende Liebe war, was weiß ich. Was ich weiß, ist, dass sie all die anderen nie so geliebt hat. Ich weiß, dass sie mich nie so geliebt hat. Und Robin vermutlich noch viel weniger — Robin, dessen Vater sie nicht einmal wirklich kannte, weil er nach einem One-Night-Stand verschwand.” (Zitat S.69) Ihre Mutter hat ständig wechselnde Beziehungen und hat ihren kleinen Bruder, der immer schon schwierig war und anders als die anderen Kinder irgendwann in ein Heim abgegeben. Das kann Lina ihrer Mutter nicht verzeihen. Und so hat sie nach einem letzten großen Streit schließlich das Weite gesucht: “Vermutlich hat sie mei
ne Sachen bereits verkauft, und Robins gleich mit. In dem neuen Haus mit ihrem neuen Typen ist sicherlich kein Platz mehr für ihre missratenen Gören. Mir egal. Ich gehe sowieso nicht zurück. […] Ich überlege mir etwas, schnappe mir meinen kleinen Bruder und werde mich nie wieder mit ihr oder ihrem Egoismus befassen. Ich hasse sie.” (Zitat S.53) Jetzt in Edinburgh laufen sich Max und Lina des Öfteren über den Weg. Er beobachtet sie ab und zu beim Straßenmusizieren. “Sie spielt Ukulele, neben dem Akkordeon. Sie ist gut. Nicht sonderlich gut, aber passabel. Und übt eine gewisse Faszination aus, das muss ich ihr lassen. Wie ein Autounfall, von dessen Anblick man sich nicht losreißen kann.” (Zitat S.55) Und eines Tages macht Max ihr einen überraschenden Vorschlag. Warum nicht gemeinsam weiter durch Schottland, hoch in den Norden, reisen? Sich das Geld dabei teilen? Sozusagen eine Zweckgemeinschaft gründen? Lina kann Max nicht wirklich ausstehen, lässt sich aber auf den Vorschlag ein. “Für eine Sekunde nur gerät das Lächeln in Max’ Gesicht ins Ungleichgewicht, dann sitzt es wieder, und auf einmal wird mir klar: Das ist es. Der Grund für diese aberwitzige Idee und seine größte Schwachstelle in einem. Er langweilt sich. Und er kann nicht allein sein. Und deshalb ist er sogar bereit, Zeit mit einer ihm fast Fremden zu verbringen, die noch dazu alles andere als sein Typ ist, einfach, weil er sonst nichts damit anzufangen weiß.” (Zitat S.98) Doch ihre gemeinsame Reise verändert alles. Verändert sie beide. Bis sie sich unerwartet näher kommen…
Das Cover von “Nichts zu verlieren. Ausser uns” wartet nicht nur mit einem Cover auf, das dem Vorgängertitel ähnelt, sondern interessanterweise auch mit einem Rechtschreibfehler: es heißt “ausser” statt “außer”, was eventuell dem so harmonischer wirkenden Schriftbild geschuldet sein könnte, orthografisch gesehen jedoch nicht unbedingt vorbildlich ist;-) Der Roman startet mit einer Szene, in der Max und Lina nah nebeneinander in einem Auto liegen und sie über das Lügengeflecht sinniert, in das sie ihm gegenüber hineingeraten ist. Dann setzt der Hauptteil ein, der zwei Wochen zuvor beginnt. Aus meist sich abwechselnden Perspektiven berichten Max und Lina in der jeweiligen Ich-Perspektive. Die Sprache ist locker, angenehm und sehr flüssig. Zu Beginn wirkt die Handlung noch ein bisschen zäh, kommt die Geschichte erst langsam in Fahrt. Hier ist der größte Unterschied zwischen “Nichts zu verlieren. Ausser uns.” und “Nichts ist gut. Ohne dich” zu erkennen. Während die Emotionen in letzterem sogleich da sein, weil die Protagonisten sich bereits kennen, wird in diesem Buch hier die Beziehung erst langsam aufgebaut. Erst im hinteren Drittel des Romans warten dann die wirklich knisternden Momente auf den Leser, werden die Gefühle intensiver und taucht auch ein wenig Erotik auf. Was mir gut gefallen hat, sind vor allem die schön ausgearbeiteten Charaktere. Max, der von Lina für einen Snob gehalten wird, aber gerade nicht der typische Ich-haue-das-ganze-Geld-meines-Erzeugers-auf-den-Kopf ist, sondern sich im Gegenteil aus Geld nicht viel macht: “Mein alter Herr ist unglaublich enttäuscht von mir. So enttäuscht,
dass er denkt, er könne mich am besten treffen, wenn er mir damit droht, den Geldhahn zuzudrehen, um meine augenscheinliche Verschwendungssucht und meinen grässlichen ausschweifenden Lebensstil zu unterbinden, bloß — hat er es jemals getan? Nie. Und insgeheim bewundere ich ihn dafür, weil es bedeutet, dass ihm klar ist, dass mir im Grunde nichts an all dem liegt, was man für sein Geld kaufen kann.” (Zitat S.23) Und Lina, die zu einer hervorragenden Lügnerin geworden ist und Max nicht nur im Glauben lässt einen anderen Namen zu haben und aus der Schweiz, statt aus Berlin zu stammen, sondern ihm auch über ihre Familie falsche Auskünfte gibt. Vor allem manche Dialoge zwischen ihnen mitzuverfolgen, ist ein wahrer Genuss! Wie sie sich gegenseitig aus der Reserve locken, sich Fragen stellen, denen sie gegenseitig ausweichen und ihre Masken nicht absetzen wollen: “Ich frage mich, was an diesem Jungen echt ist und was Fassade. Seit ich ihm das erste Mal begegnet bin, gibt er sich die größte Mühe, überlegen zu wirken, abgebrüht und abgeklärt und über alles erhaben. Er lässt sich durch nichts provozieren — alles lässt ihn kalt. […] Es ist bloß… Ich habe nicht den Eindruck, dass es wirklich so ist.” (Zitat S.112) Schottlandfans dürfen im Übrigen eine große Portion Lokalkolorit in dem Roman erwarten. Es werden viele Städte und Sehenswürdigkeiten des Landes bereist und erwähnt. Natürlich taucht auch Leander in “Nichts zu verlieren. Ausser uns.” in dem Buch auf, ebenso Bela, der dritte Mitbewohner der WG in München. Schätzungsweise wird es dann wahrscheinlich noch eine Fortsetzung geben, die Belas Sicht und seine ganz eigene Liebesgeschichte erzählt. Das Ende: passend und romantisch!
Du magst den Erzählstil von Lea Coplin? Dann lies noch den Vorgängertitel, in dem die Geschichte von Max’ besten Freund Leander erzählt wird: “Nichts ist gut. Ohne dich”, das ich persönlich noch etwas besser fand, als das zweite Buch. Unter ihrem Mädchennamen Alexandra Pilz hat Lea Coplin übrigens noch eine Trilogie veröffentlicht: “Zurück nach Hollyhill” (Band 1),“Verliebt in Hollyhill” (Band 2) und “Für immer Hollyhill” (Band 3). Ebenfalls für Erwachsene hat sie unter dem Pseudonym Anne Sander Romane publiziert: “Sommer in St.Ives”, “Mein Herz ist eine Insel” und “Sommerhaus zum Glück”. Auch die amerikanische Bestsellerautorin Colleen Hoover ist eine sehr gute Alternative zu Lea Coplin. Lies von ihr zum Beispiel “Zurück ins Leben geliebt”, “Nächstes Jahr am selben Tag” und “Nur noch ein einziges Mal”. Dir gefallen Roadmovies mit Liebesgeschichte? Eine sehr gute Alternative zu “Nichts zu verlieren. Ausser uns.” ist “French Summer: A fucking great road trip” von Marian de Smet oder das schon etwas ältere “Kannst du” von Benjamin Lebert. Gut gefallen haben mir auch die Roadmovies “Glücksdrachenzeit” von Katrin Zipse (Südfrankreich, Thaddäaus-Troll-Preis 2014). Oder lies “Der Soundtrack meines Lebens” von Jessi Kirby. Hier fliegen zunächst auch ordentlich die Fetzen zwischen den Protagonisten.
Bibliografische Angaben:Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-71799-1 Erscheinungsdatum: 21.September 2018 Einbandart: Broschur Preis: 10,95€ Seitenzahl: 368 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)