“Meine Augen sind hier oben” ist das Jugendbuchdebüt der amerikanischen Autorin Laura Zimmermann. Ein Roman über ein Mädchen, das unter ihrer großen Oberweite leidet. Eine Geschichte, die Mut macht zu sich selbst zu stehen und sich nicht zu verstecken. Die mit äußerst liebenswerten Charakteren aufwartet und einfach unheimlich schön und mit einem herrlichen Humor erzählt wird. Lesetipp! Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 15-jährige Greer hat ein Problem. Eher gesagt zwei. Sie stehen ihr im Weg und hindern sie daran ein normales Leben zu führen: ihre Brüste, die sie nur Donna und Doria nennt und die einfach viel zu groß sind. Sie stören sie bei allem. Deshalb trägt sie nur noch Klamotten in Übergröße und versucht ihre Oberweite zu verstecken. Auch sonst verhält sie sich eher unauffällig: “Ich mache keinen Sport, keinen Ärger, spiele nicht Theater. Ich bin nicht die Sorte Mädchen, mit dem man ausgehen will. Ich bin nur das kluge Mädchen. Das kluge Mädchen, das immer die Arme vor der Brust verschränkt.” (Zitat aus “Meine Augen sind hier oben” S.14) Darüber reden, das will Greer nicht, nicht mit ihrer Mutter, und auch nicht mit ihrer besten Freundin Maggie. Doch dann geschehen zwei Dinge in ihrem Leben, die alles verändern: sie lernt Jackson kennen, den Sohn eines Kunden ihrer Mutter, die sich um Menschen kümmert, die frisch zugezogen sind und ihnen das Eingewöhnen erleichtert. “Aus Jacksons Sicht könnte ich alles sein. Das kluge Mädchen plus. […] Irgendwie macht es Spaß, sich vorzustellen, mal ganz anders sein zu können, auch wenn er mich sofort durchschauen wird, sobald er in der Schule ist.” (Zitat S.14 ff) Und Greer wird Mitglied der Volleyballmannschaft. Mit einem speziellen Sport-BH, den eine Lehrerin ihr empfiehlt, scheint plötzlich wieder mehr machbar zu sein. Denn eigentlich bestimmt der Gedanke an ihre Brüste ihren Alltag meist komplett: “Früher konnte ich mich konzentrieren. Früher habe ich nicht über meinen Körper nachgedacht, er war einfach da. […] Jetzt beanspruchen Donna und Doria fünfundzwanzig bis hundert Prozent meiner Gedanken (wie sie sich anfühlen, wie sie aussehen, ob jemand merkt, wie riesig sie sind, ob sie im Kaufhaus gegen das
Regal mit den Weingläsern stoßen).” (Zitat S.98) Doch wird sie es schaffen sich aus ihrem Schneckenhaus zu wagen? Und kann es wirklich sein, dass sich Jackson für sie interessiert? Gibt es vielleicht noch mehr im Leben, als sie je für möglich gehalten hat?
Der Titel und dessen Inszenierung mit der Sprechblase sind einfach brillant gewählt. Hier wurde sich am englischen Original orientiert (siehe unten). Der Roman ist durchgehend aus Greers Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben. Laura Zimmermann verwendet eine unglaublich lockere, pfiffige Erzählart mit einer wunderbaren, süffisanten, unterschwelligen Ironie, die zu lesen, einfach Spaß macht: “Jackson sieht aus wie jemand, der jeden Tag fremde Mädchen bei Starbucks trifft. Ich versuche auch so auszusehen.” (Zitat S.11) Die Kapitel sind meist nicht sehr lang, oft episodenhaft und mit teils Rückblenden zu Geschehnissen in der Vergangenheit. Das Erzähltempo ist nicht auf höchstem Niveau, aber die Geschichte entfaltet sich einfach auf völlig runde, gut durchdachte Art und Weise. Nimmt sich Zeit für ihre Charaktere, die jenseits aller 0–8‑15-Klischees liegen, auch für die Nebenfiguren, so wie die streitsüchtige Maggie, die einsame, Gegenstände stehlende Quinlan. Greer erzählt in aller Deutlichkeit von ihren täglichen Problemen, aber macht dies nur mit sich selbst aus. Selbst genauere Details bezüglich ihrer BHs werden exakt beschrieben, immer begleitet von ihrem eigenwilligen Humor, der einen großen Teil ihres Charmes ausmacht: “Der Stil nennt sich Minimizer-BH, aber das Einzige, was minimiert wird, wenn ich ihn trage, ist meine Lungenkapazität. Meine Brüste quellen an allen Seiten heraus […] Von der Taille aufwärts sehe ich aus wie die Mischung aus einer postnuklearen Mutation und dem Ergebnis der Zauberformel, die Harry Potter benutzt hat, um Tante Magda aufzublasen.” (Zitat S.101) Gerade ihre Entwicklung zu verfolgen, ihre Hochs und Tiefs, liest sich höchst unterhaltsam und bewegend. Man fiebert mit ihr mit und wünscht sich, dass sie erkennt, dass sie so viel mehr ist, als nur auf ihre Oberweite reduziert zu sein. Das Ende: berührend und passend!
Fazit: Ein wichtiges Buch, das Heranwachsenden auf bezaubernde Art und Weise Selbstbewusstsein schenkt!
Eine interessante Neuerscheinung über ein Mädchen, das sich mit ihrer (wenigen) Oberweite ebenfalls unwohl fühlt und versteckt, ist “Oben ohne” von Jutta Nymphius. Eine gute Lesealternative zu “Meine Augen sind hier oben” ist vor allem “Dumplin’: Go big or go home” von Julie Murphy, das auch eine ähnliche Botschaft bereit hält. Über das Anderssein schreibt zudem Kendra Fortmeyer in “Was uns ganz macht”, ein Mädchen, das ein Loch im Bauch hat und damit klar kommen muss. Richtig klasse sind außerdem “Nur eine Liste” von Siobhan Vivian, “Wunder” von Raquel J. Palacio und “Die Königinnen der Würstchen” von Clémentine Beauvais.
Bibliografische Angaben:Verlag: Arctis ISBN: 978-303880-040-8 Erscheinungsdatum: 21.August 2020 Einbandart: Hardcover Preis: 18,00€ Seitenzahl: 336 Übersetzer: Barbara König Originaltitel: "My eyes are up here" Originalverlag: Dutton Amerikanisches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
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