“Fair Play: Spiel mit, sonst verlierst du alles!” ist das erste Jugendbuch der deutschen Autorin Kerstin Gulden. Es stellt ein interessantes Experiment in den Vordergrund: eine Schulklasse nimmt an einem Wettbewerb teil und entwickelt eine App, die jeder Schüler sich herunterladen kann, um ein umweltfreundliches Leben zu führen. Überzieht man sein Punktekonto mit allzu vielen umweltschädlichen Aktionen, leuchtet es rot und jeder kann es sehen! Ein Projekt, das durch entstehende Gruppendynamiken, Ausgrenzung und Manipulation allmählich außer Kontrolle gerät… Ein spannender und mit einem brisanten und wichtigen Thema ausgestatteten Thriller, der für einigen Gesprächsstoff sorgt. Ideal auch als Klassenlektüre oder für eine Buchvorstellung. “Die Welle” meets “Erebos”, plus eine große Portion Umweltschutz! Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Es ist die Idee der 17-jährigen Kera. Eine Idee, die eine ganze Klasse, eine ganze Schule auf den Kopf stellen wird. Denn ihre Klasse nimmt an einem Förderwettbewerb des Berliner Senats für die gymnasiale Oberstufe teil. Thema: Wie man die Umweltkrise lösen kann. Das Projekt muss über drei Monate hinweg laufen. “Das ist unser Experiment!”, sage ich und mein Herz schlägt immer schneller. “Wir machen sie sichtbar. Auf unseren Social-Media-Seiten. Wenn mit einem Blick zu erkennen ist, wie sehr jeder Einzelne von uns die Umwelt belastet… reißen wir uns dann zusammen?” (Zitat S.14) Wilde Diskussionen brechen aus, doch ein Mitschüler, der tatsächlich das technische Know-How besitzt, traut sich, sich zu melden: Leonard. Der Außenseiter — der, der immer gemobbt wird: “Wenn ich da mitmache, komme ich aus der Deckung. Dabei will ich am liebsten unsichtbar sein” (Zitat S.17) Er bietet an eine App zu programmieren, die dieses Vorhaben konkret werden lässt. Jeder der möchte, kann sich die App herunterladen und am Wettbewerb teilnehmen. Jeder hat ein eigenes Konto. “Öffentliche Klimakonten” sagt sie, “verlinkt mit unseren sozialen Medien. Jeder hat dasselbe Limit, das die Klimakrise stoppen würde, wenn sich die Menschen daran hielten. Überziehst du, dann kriegen das alle mit.” (Zitat S.18) Auch Elodie, eine erfolgreiche Influencerin, die normalerweise gegen Geld Nagellack oder Lippenstift anpreist, sieht ihre Chance gekommen. Sie stößt dem Gründerteam bei, das das Experiment, das sie “Fair Play” nennen, auf dem Wettbewerb nach Abschluss der drei Monate vorstellen darf. Da sie seit einiger Zeit immer mehr Abonnenten verliert, braucht sie dringend neuen Content und beginnt übe
r “Fair Play” zu berichten. Auch der beliebte Max ist im Gründerteam mit dabei. Seine Lehrerin Frau Wenger hat ihn dazu gedrängt. Denn er ist nicht wirklich gut in der Schule, muss diese aber irgendwie überstehen, um später Grafikdesign zu studieren. Er entwirft das Logo von “Fair Play”. Auf die App selbst hat er keine Lust, will sie sich nicht herunterladen. Frau Wenger will jedoch dass er als Außenstehender darüber berichtet, denn auch diejenigen, die nicht mitmachen, sind Teil des Projekts. Das Einzige, was Max an dem Projekt jedoch gefällt, ist Kera: “Und dann ist da noch Kera. Beim ersten Fair-Play-Four-Treffen war ich wegen der Wenger, bei den folgenden wegen ihr. Je besser ich Kera kennenlerne, desto bezaubernder finde ich sie.” (Zitat S.39) Doch allmählich beginnt die Stimmung umzuschlagen an der Schule. Schüler, die nicht teilnehmen werden “Foul Player” genannt, auch Max. Als Kera eines Tages eine Busfahrt unterschlägt un
d angibt mit dem Fahrrad gefahren zu sein, und das rauskommt, wird sie gnadenlos von ihren Mitschülern deswegen fertiggemacht. Das Experiment scheint langsam außer Kontrolle zu geraten…
Das Cover ist schön und passend gestaltet. Der Thriller wartet mit einem Prolog auf, der bereits eine starke Ankündigung macht: “Das große Ziel, klar, das offizielle: die Welt retten, wenigstens ein bisschen. Vielleicht wäre das Experiment nicht außer Kontrolle geraten, wenn es dabei geblieben wäre. Aber jeder von uns hatte auch einen persönlichen Grund mitzumachen… oder zu rebellieren: Status, Geld, Rache, Liebe, Und so verloren wir mehr, als wir einsetzen wollten. Einen von uns.” (Zitat S.5) Wer wird sein Leben verlieren? Dieser Frage darf der Leser gespannt nachgehen, denn ihm wird die nachfolgende Geschichte quasi zu Füßen gelegt. Mit den Fragen, was er/sie selbst tun würde, ob man genauso handeln würde wie die Jugendlichen. Erzählt wird “Fair Play” aus der Perspektive genau dieser vier Jugendlichen: Kera, Leonard, Elodie und Max, in der jeweiligen Ich-Perspektive. Kerstin Gulden wagt ein faszinierendes, interessantes Gedankenexperiment. Kann solch ein Projekt Jugendliche tatsächlich zum Umdenken bewegen? “Jeder User hat ein persönliches Klimakonto. Es steht auf Grün, wenn ihr euch an euer Limit haltet, auf Rot, wen ihr überzieht. Eure persönlichen Kontostände fließen in ein gemeinsames Klimakonto ein, das ebenfalls grün oder rot ist. […] Das Gemeinschaftskonto nicht zu überziehen, ist das große Ziel.” (Zitat S.41) Kann die App tatsächlich dazu beitragen, dass man sich des eigenen, persönlichen CO₂-Fußabdrucks bewusst wird und dass man Verantwortung für sein Handeln übernimmt? Oder überwiegt die Lust, das Leben zu genießen, so wie Max es tut? “Immer noch finde ich das Projekt bescheuert. Ich will mein Leben genießen, solange ich kann. Um ein Uhr nachts einen Kat
er-Burger essen, spontan den Billigflieger nach Barcelona oder, noch besser, Thailand nehmen und am Strand in den Morgen tanzen. Zu den Beats aus Boxen, die wahrscheinlich den Stromverbrauch einer Kleinstadt haben” (Zitat S.39) Der Thriller liefert auf jeden Fall jede Menge Diskussionsgrundlagen und macht nachdenklich. Rüttelt aber auch auf, indem er zeigt, wie sehr alltägliche Handlungen Auswirkungen auf unsere Umwelt haben. An manchen Stellen haben mir noch etwas die ausführlichen Erklärungen zur Funktionsweise der App gefehlt. Diese werden nur sehr sporadisch eingebaut. “Fair Play kriegt das nämlich mit. Handys haben einen eingebauten Sensor, müssen sie, falls sie sich überhitzen. Und der kann zumindest bei den neueren Geräten auch die Außentemperatur messen. […] Selbst wenn deine Hardware veraltet ist, wird die neue Temperatur verzeichnet. Fair Play weiß, wo du bist, und zieht sich die Informationen von den Handys, die sich mit dir im Raum befinden.” (Zitat S.57) Gleichzeitig findet sich in “Fair Pl
ay” eine weitere Komponente, die für Unterhaltung sorgt: Denn sie zeigt auch die Möglichkeiten der technischen Überwachung und den Eingriff in die Privatsphäre, was vor allem Leonard, der Entwickler der App, für seine Vorteile nutzt, um beispielsweise Gespräche anderer zu belauschen und ihnen hinterher zu spionieren. Hinter die Kulissen der einzelnen Protagonisten zu blicken, liest sich sehr unterhaltsam: “Von so jemandem lasse ich mir nicht meinen Geschäftssinn vorwerfen, auch wenn ich am liebsten “So bin ich doch gar nicht” rufen und ihr all das erzählen würde, was ich niemandem erzählen darf.” (Zitat S.36) Jeder hat gefühlt etwas zu verbergen oder verändert sich durch das Experiment. Intrigen werden gesponnen und heimliche Pläne in die Tat umgesetzt. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass der Thriller den allergrößten Spannungsbogen hat, aber er liest sich sehr flüssig und unterhaltsam mit einer angenehmen Sprache. Oft gibt es Cliffhanger am Kapitelausgang. Am Ende wird es etwas komplexer und man muss schon etwas mitdenken, um die ganzen Verwicklungen und Beziehungen der verschiedenen Personen im Gesamtblick zu behalten. Manches wirkt etwas konstruiert und nicht alles nachvollziehbar. Aber der Ausgang am Ende, die Anknüpfung an den Anfang des Buches ist gelungen.
Eine tolle Alternative zu “Fair Play: Spiel mit, sonst verlierst du alles!” ist “Staat X: Wir haben die Macht” von Carolin Wahl, das ebenfalls ein Experiment (aber ein politisches) in den Mittelpunkt stellt, das zu eskalieren droht und aus vier Sichtweisen erzählt wird. Sprachlich zudem äußerst gelungen! Ähnlich politisch/gesellschaftlich geht es in “Rot oder Blau: Du hast die Wahl” von Manfred Theisen zu und in dem Klassiker “Die Welle” von Morton Rhue. Spiele, die außer Kontrolle geraten, findest du in diesen vier toll erzählten Büchern: “Gotcha!”, von Shelle Hrdlitschka, “Panic: Wer Angst hat, ist raus!” von Lauren Oliver, “Nerve: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen” von Jeanne Ryan und “Die Liga der Guten” von Rüdiger Bertram. Vielleicht wären auch “Isola” von Isabel Abedi und “Schlusstakt” von Arno Strobel etwas für dich. Dich interessiert das Thema Umweltschutz im Jugendbuch? Sehr radikal verändern wollen die Protagonisten in “Wake up” von Manfred Theisen ihre Umwelt. Oder lies “2084 — Noras Welt” von Jostein Gaarder, “Meine Ökokrise und ich” von Ilona Einwohlt, “Euer schönes Leben kotzt mich an” von Saci Lloyd, “Die drei !!! — Voller Einsatz für die Erde” von Kirsten Vogel und “Es war die Nachtigall” von Katrin Bongard. Eine Schulklasse, die die Welt verbessern will? Das findest du in “Weltverbessern für Anfänger” von Stepha Quitterer
Bibliografische Angaben:Verlag: Rowohlt ISBN: 978-3-499-00628-9 Erscheinungsdatum: 23.März 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 18,00€ Seitenzahl: 336 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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