“Was Sara verbirgt” ist der zweite Roman der norwegischen (und samischen) Autorin Kathrine Nedrejord, der ins Deutsche übersetzt wurde. Erneut setzt sie die Geschichte einer Freundschaft in den Mittelpunkt, die auf eine harte Belastungsprobe gestellt wird, als eines der beiden Mädchen vergewaltigt wird, aber nicht verraten will, wer es gewesen ist. Eine Suche nach der Wahrheit, eine Auseinandersetzung mit Scham und dem Wunsch zu verdrängen. Ein wichtiger Beitrag zu #metoo, ein wichtiges Buch, um Mut zu machen! Kurzweilig (gerade mal 154 Seiten), aber intensiv und sehr berührend zu lesen! Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Karasjok. Norwegen. Lajla und Sara sind beste Freundinnen. Auch wenn sie sehr unterschiedlich sind. Sara ist “…klein und dunkelhaarig, und ihre Erscheinung hat etwas beinahe Feindseliges. Ich bin groß und blond und lächle meistens, jedenfalls solange wir die Spiele gewinnen.” (Zitat aus “Was Sara verbirgt” S.10). Lajla spielt Fußball und Sara Gitarre. Doch sie stammen beide aus einer Familie, in der die Mütter Sámi mit nomadischem Lebenstil sind. Ihre jeweiligen Väter hingegen sind schon immer sesshaft gewesen. “Die Nomaden gegen die Sesshaften, und die Sesshaften gegen die Nomaden. Sara und ich sind weder das eine noch das andere.” (Zitat S.10) Und halten deshalb umso stärker zusammen, auch in den Fronten, die sich zuweilen in ihrem Schulalltag gebildet haben. Ohne Sara würde Lajla die Schule niemals überstehen, ist sogar auf die Weiterführende gegangen, weil auch ihre Freundin dorthin geht. Nur Klemet, Saras Freund kann sie nicht ausstehen. “Ich begreife wirklich nicht, was Sara in ihm sieht. Sein Gesicht, die Pickel auf seiner Stirn, die krumme Haltung. Er ist alles andere als umwerfend und charmant.” (Zitat S.27) Manchmal ist Lajla auch ein bisschen eifersüchtig auf ihn, weil Sara Zeit mit ihm verbringt, anstatt mit ihr. So auch am Samstag Abend, als sie zu ihm will. Bis es nachts plötzlich an Lajlas Zimmerfenster klopft und Sara dort auftaucht. Das hat sie noch nie gemacht! Einfach so an ihr Fenster geklopft. Ihre Wimperntusche ist verlaufen und sie hat rote Kratzer an ihrem Hals. Nimmt sich schnell einen Schal und zieht einen Pullover von Lajla über. “Ich denke, dass da zwar Sara sitzt, aber irgendetwas nicht stimmt. Ich sehe sie an, doch sie weicht mir au
s, schaut an die Decke, an die Wand, durchdringend. Ich lasse meinen Blick über sie gleiten und erreiche die Hände, die sie in die Ärmel zurückziehen will, auch da sind rote Kratzer.” (Zitat S.14) Doch Sara will nicht sagen, was passiert ist. Am nächsten Tag schwänzt sie sogar die Schule, was gar nicht zu ihr passt. Sie antwortet auch auf ihre SMS nicht, dabei macht sie das doch sonst immer. Sara will Ärztin werden, bläut Lajla immer wieder ein, wie wichtig gute Noten sind. Dann, als sie wieder zur Schule kommt, trägt sie auf einmal einen unförmigen, riesigen Anorak. Ist viel zurückhaltender als sonst. Lajla macht sich Vorwürfe. “Ich hätte sie ausfragen müssen, als sie bei mir zu Hause war. Aber sie hat sich geweigert. Jedes Mal, wenn ich mich dem Thema näherte, hat sie von etwas anderem geredet oder sich unter der Decke verkrochen und so getan, als würde sie mich nicht hören.” (Zit
at S.21) Als sie dann endlich zugibt, dass etwas passiert ist, dass sie nicht wollte, beschließt Lajla auf eigene Faust herauszufinden, was geschehen ist. Sie weiß mittlerweile, dass Sara niemals bei Klemet war. Aber wo war sie dann? Allmählich häufen sich die Verdächtigen…
Das Cover ist sehr gut getroffen — ein Hingucker. Der abwesende Blick der abgebildeten Person. Dazu die auffällige, knallrote Schrift. Es vereint genau die Gegensätze der Geschichte — das Wegschauen und das Hinsehen. Der Roman wird in 23 Kapiteln erzählt, durchgehend aus Lajlas Sicht in der Ich-Perspektive und von einer Art Prolog eingeleitet. Dieser schildert die letzten Stunden “Normalität”, bevor sich die Vergewaltigung ereignet hat. Einige Andeutungen erhöhen hierbei die Dramatik: “Ich ahne nicht, dass uns nur wenige Stunden von einer Katastrophe trennen.” (Zitat S.11) und “Und Sara und ich werden nie wieder so sein wie letzthin auf dem Heimweg.” (Zitat S.11) Trotz aller Ernsthaftigkeit und Heftigkeit der Thematik ist “Was Sara verbirgt” ein eher ruhigeres Buch. Es besteht aus vielen Dialogen, aber auch Personenporträts von Figuren, die in der Geschichte eine Rolle spielen oder spielen könnten. Man begleitet Lajla gewissermaßen auf ihrer Suche. Sie, die plötzlich ganz mutig wird und unbedingt aufklären will, was Sara passiert ist. Dennoch ist die Geschichte sehr mitreißend geschrieben und vor allem die Freundschaft der beiden wird sehr authentisch geschildert, besonders die Veränderung dieser: “Da mir nichts Besseres einfällt, strecke ich die Hände aus, um sie zu umarmen. Aber da zuckt Sara zusammen und stößt mich so heftig weg, d
ass ich auch danach noch ihre wütenden Handflächen auf meinem Brustkorb spüre. Ich weiche zwei Schritte zurück, stoße gegen die Schreibtischkante und kann nur mit Mühe das Gleichgewicht halten.” (Zitat S.17) Es ist eine Freundschaft, die die beiden Mädchen an ihre Grenzen treibt. Die aber auch zeigt wie stark ihr Zusammenhalt ist und wie sehr Lajla für ihre Freundin einstehen will: “Ich bringe ihn um”, sage ich. “Sag mir, wer es war! Dann bringe ich ihn für dich um. Ich bin stark. Das schaffe ich. Ich hole zu Hause ein Messer und bringe ihn um.” Sara schüttelt den Kopf. “Dieses Wort… Vergewaltigung… Das klingt irgendwie nicht richtig. Das ist nicht mein Wort. Das ist so ernst.” (Zitat S.44) Dabei “verbirgt” “Was Sara verbirgt” eine äußerst wichtige Botschaft. Dass es niemals richtig sein kann über solch eine Gewalttat zu schw
eigen. Dass es wichtig ist, so etwas ernst zu nehmen und nicht unter den Tisch zu kehren. Dass man sich trauen darf, für sich einzustehen, nicht so, wie Sara es tut: “Aber ich komme schon darüber hinweg. Außerdem wäre es ein Riesentheater mit der Polizei und so. Ich bin nicht sonderlich beliebt, mir würde ja eh niemand glauben.” (Zitat S.47) Vor allem die Angst, die sie empfindet, wird deutlich. Die Scham und die Befürchtungen, vor dem, was geschehen könnte, wenn sie ihr Schweigen bricht: “Sonst bringt er mich um.” (Zitat S.18). Dabei war für Lajla ihre Freundin immer “Sara die Starke” (Zitat S.17). Sie hat sogar die Scheidung ihrer Mutter weggesteckt und sich für ihre Geschwister eingesetzt. Umso schöner ist es zu lesen, wie es ihre beste Freundin ist, die sich nun für sie einsetzt. Die kämpft wie eine Löwin, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Suche nach dem Täter liest sich zeitweise fa
st wie ein Krimi. Besonders anzumerken ist, dass die Vergewaltigung selbst tatsächlich im Detail niemals geschildert wird. Die Sprache ist sehr klar und mit vielen kurzen, prägnanten Sätzen versehen. Kathrine Nedrejord hat eine sehr feinfühlige Erzählart, mit viel Raum zwischen den Zeilen. Das Ende ist passend und gleichzeitig nur eine Andeutung, von dem, was noch kommen wird.
Fazit: Eine sehr lohnenswerte Geschichte, die es in sich hat und mit der Perspektive der besten Freundin eine ganz besonderen Sichtweise bietet.
Wenn dir “Was Sara verbirgt” gefallen hat, kannst du noch das erste Buch von Kathrine Nedrejord lesen, das ins Deutsche übersetzt wurde: “Lass mich!”. Ebenfalls eine sehr berührende Freundschaftsgeschichte. Geschrieben hat die Autorin, die auch fürs Theater arbeitet, jedoch noch einige weitere. Du findest sie auf ihrer Homepage. Du möchtest dich noch mit anderen Büchern auseinandersetzen, die über Missbrauch berichten? Romane hierzu gibt es unzählige, die meisten finden im näheren Familienumfeld statt, wie zum Beispiel “Herzsprung: Wenn Liebe missbraucht wird” von Reality-Autorin Brigitte Blobel (Stiefvater) oder in dem fast schon modernen Klassiker “Rotkäppchen muss weinen” von Beate Teresa Hanika (Opa). Auf einer Party vergewaltigt, das findest du in dem wirklich bewegenden “Almost” von Anne Eliot und in “Sprich” von Laurie Halse Anderson. Eine gute Alternative, die neben Missbrauch auch das Thema Freundschaft miteinschließt, ist “Entscheide dich!” von Annika Thor. Sehr berühend geschrieben sind ebenfalls “Du wolltest es doch!” von Louise O’Neill (erst ab 16 Jahren),“Broken: Der Moment, in dem du fällst” von Tabitha Suzuma (ab 15) und “Zerbrochen” von Susan Shaw (schon etwas älter). Oder lies “Drei fast perfekte Wochen” von Christina Erbertz, das einen Übergriff im Feriencamp schildert. Über #metoo schreiben auch sehr emotional: Annette Mierswa in “Not your girl” und Juno Dawson in “Meat Market: Schöner Schein”. Noch mehr Bücher über Missbrauch findest du hier.
Bibliografische Angaben:Verlag: Urachhaus ISBN: 978-38251-5271-0 Erscheinungsdatum: 10.Februrar 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 17,00€ Seitenzahl: 154 Übersetzer: Holger Wolandt, Lotta Rüegger Originaltitel: "Det Sara skjuler" Originalverlag: H.Aschehoug & Co Norwegisches Originalcover:
![]()
Kasimira auf Instagram:
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
------------------------------------------- Norwegisches Cover: Homepage von Kathrine Nedrejord