Die britische Autorin und Wissenschaftlerin Katherine Rundell hat bereits einige preisgekrönte Romane veröffentlicht. So wie auch “Mitten im Dschungel”, ihr viertes Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde und jetzt neu als Taschenbuch erschienen ist. Eine Abenteuergeschichte über eine Gruppe Jugendlicher, die nach einem Flugzeugabsturz im Urwald des Amazonas ums Überleben kämpft und hinter ein wohl gehütetes Geheimnis kommt. Mit faszinierendem Survival-Wissen. Solide erzählt, aber mit positiver Botschaft. Für Mädchen und vor allem für Jungs ab 11 Jahren.
Sie kennen einander nicht wirklich und teilen sich die Plätze in einem kleinen Flugzeug, das sie in die brasilianische Stadt Manaus bringen soll: Drei Jugendliche und ein Kind. Doch bald vereint sie eine unerwartete Gemeinsamkeit: nach dem Absturz des Flugzeugs und dem Tod des Piloten sind sie die einzigen Überlebenden. Mitten im Dschungel des Amazonas. Fred war auf dem Weg zu seiner Cousine gewesen, wohin sein Vater ihn schickte, damit er sich nach längerer Krankheit dort erholen sollte. “Innerlich war Fred voller Neugier und Sehnsucht und stets auf Zack. Nur hatte er nie die Möglichkeit bekommen, dies unter Beweis zu stellen, denn sein Vater hatte immer vehement auf geputzten Schuhen und einer braven Miene bestanden. Aber Fred dachte schnell und forsch. Er wollte mehr von der Welt, als sie bisher für ihn bereitgehalten hatte.” (Zitat aus “Mitten im Dschungel” S.34) Er hat Unmengen von Abenteuerbüchern bei sich zu Hause stehen, hat Romane über Entdeckungsreisende geradezu verschlungen. Jetzt muss er unweigerlich selbst zum Abenteurer werden. Doch auch die Geschwister Lila und Max, der gerade mal 5 Jahre alt ist, verfügen über ein wenig Insiderwissen: ihre Eltern sind Wissenschaftler. “Fred beobachtete sie. Lila war klein und bewegte sich, als wäre sie jederzeit sprungbereit — wie ein Reh oder ein Lemur -, als würde sie Dinge hören, die anderen entgingen.” (Zitat S.37) Der kleine Max ist immer ein wenig quengelig, hat ständig Rotz in der Nase und leidet an einer Allergie. Zum Leidwesen seiner Schwester ist er auch sehr abenteuerlustig und geht gerne mal alleine auf Erkundungstour. Und dann ist da noch Constanze, die aber nur Con genannt werden möchte. “Fred betrachtete Con, die im lichtgesprenkelten Schatten hockte und so ungeschickt hantierte, als wäre
sie es nicht gewohnt, ihre Hände zu benutzen. Sie schien in ihren Kleidern in einer Falle zu sitzen. Es gibt Kleider, die bestimmen, dass die jeweilige Person still dasitzen und nett lächeln muss. Con trug solche Kleider, nur dass diese beim Absturz braun und grün und rot verfärbt worden waren.” (Zitat S.38) Sie ist allem äußerst skeptisch gegenüber und schlägt regelmäßig einen äußerst sarkastischen Ton an. Von Freds Idee ein Floß zu bauen, um schneller Manaus zu erreichen, hält sie erst mal gar nichts. Doch auf Hilfe können die Jugendliche lange warten. Die einzige Möglichkeit um zu überleben, besteht darin sich durch den Dschungel hindurch zu kämpfen. Nur steckt dieser voller Gefahren und unerwarteter Geheimnisse…
“Mitten im Dschungel” ist das erste Buch, das ich von Katherine Rundell gelesen habe und ich muss gestehen, dass ich zu Beginn ein wenig enttäuscht davon war. Eine preisgekrönte Autorin — da steigt die Erwartungshaltung. Mir war der Erzählstil (der Roman ist in personaler Erzählweise durchgängig aus Freds Sicht geschrieben) zu Beginn ein wenig holprig. Und es gab immer wieder Szenen in dem Buch, die ich mir räumlich gesehen einfach nicht richtig vorstellen konnte, weil sie so kurz und bruchstückhaft nur beschrieben wurden, wie zum Beispiel der Schauplatz des Flugzeugsabsturzes oder die Felswand oder der Brand. So etwas habe ich selten in Geschichten, dass mir da einfach die beschriebenen Details fehlen. Zudem wirken die Ereignisse, die die Jugendlichen zu Beginn erleben, ein wenig aneinandergereiht, wie Perlen auf einer Schnur aufgefädelt, eine Begebenheit nach der anderen, schön emsig abgearbeitet. Die Spannung, die Dramatik, die man sich in solch einer Situation gewünscht hätte, schien nicht greifbar. Auch die Sprache ist von der Wortwahl zuweilen ein wenig antiquiert: “Du gemeiner, kleiner Mistkerl! Wenn du das noch einmal machst, erzähle ich es Papa, und dann vertrimmt er dich mit seinem Schuh.” (Zitat S.85) oder “Er hatte eigentlich beruhigend klingen wollen, aber sein Tonfall hatte irgendwo zwischen “verzweifelter Lüge” und “gestrenge Tante auf dem Sterbebett” gelegen.” (Zitat S.136) Was dann aber wieder sehr reizvoll und faszinierend in “Mitten im Dsc
hungel” ist, ist die Schilderung der Überlebenstricks der Jugendlichen und ihre Begegnung mit den Lebewesen des Dschungels: Neben Affen, Alligatoren, Ameisen sind auch Bienen, ein Faultier, Delfine und sogar Vogelspinnen, die gegessen werden (!) mit von der Partie. Es ist schön mitzuerleben wie die Vier sich immer intensiver mit der Natur auseinanderzusetzen beginnen und bald auch genauer hinschauen: “Das Grün, das anfangs wie eine abweisende Wand gewirkt hatte, war bei genauerem Hinschauen gar nicht so eintönig grün. Es setzte sich aus tausend unterschiedlichen Nuancen zusammen, Gelbgrün, Smaragdgrün, Jadegrün und ein dunkles, fast schwarzes Grün, das Fred an gesunkenen Schiffe erinnerte.” (Zitat S.79) Hier kommt der Autorin sicherlich auch ihre eigene Kindheit zu gute, die sie — wenn man ihre Biografie liest — in Simbabwe verbracht hat, wo sie mit ihrem Diplomatenvater 10 Jahre lebte, ehe die Familie nach Europa zog. Man spürt förmlich die Entdeckerlust, die sie ihren Protagoni
sten mitgibt: “Eine Ananas”, flüsterte er. Fred spürte, wie es in seinen Fingerspitzen prickelte, so aufregend war diese Entdeckung. So musste sich Kolumbus gefühlt haben, dachte er.” (Zitat S.80) Ebenso die Entwicklung der Figuren ist schön mit anzusehen, die sich untereinander zunächst nicht alle ausstehen können und sich durch die gemeinsamen Erlebnisse allmählich verändern: “Fred beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Con war wie verwandelt. Zuvor war sie abweisend und grimmig gewesen und hatte nur aus Klauen und Zähnen bestanden. Nun arbeitete sie hingebungsvoll und schien kaum zu atmen, während sie sich über die Lianen beugte.” (Zitat S.61) Das Ende hält eine positive Botschaft bereit und fordert die Leser dazu auf trotz Angst mutig zu sein und auch mal ein Risiko einzugehen.
Fazit: Das Buch lässt mich ein wenig zwiegespalten zurück… allerdings mag es für die Zielgruppe durchaus funktionieren. Nur literarischen Ansprüchen genügt es vielleicht nicht immer — aber am besten selbst lesen und eine eigene Meinung bilden;-)
Wenn dir Katherine Rundells Erzählstil gefällt, dann kannst du noch ihre vorherigen Bücher lesen: “Zuhause redet das Gras” (2012, ab 12), “Sophie auf den Dächern” (2015, ab 11), “Feo und die Wölfe” (2017, ab 11), “Das Weihnachtswunder” (2018, ab 6). Du magst Abenteuerromane, in denen die Protagonisten in der wilden Natur ums Überleben kämpfen müssen? Eine der besten Alternativen ist wohl “Allein in der Wildnis” von Gary Paulsen und die Fortsetzung “Der Fluss”. Oder lies die “Survival”-Reihe von Andreas Schlüter, die auch mit jeder Menge Wissen über das Überleben im Dschungel daherkommt und am selben Ort spielt: “Verloren am Amazonas” (Band 1), “Der Schatten des Jaguars” (Band 2), “Im Auge des Alligators” (Band 3) und “Unter Piranhas” (Band 4, erscheint im Februar 2019). Klasse für Mädchen ist ebenso “Raven: Der Berg der Gefahren” von Wendy Orr. Für ältere Leser wäre auch sehr gut “Schatten des Dschungels” von Katja Brandis geeignet, das ich echt spannend fand oder “Moon Wolf River” von Rainer Maria Schröder oder — noch etwas neuer und romantischer — “Das Glück an meinen Fingerspitzen” von Julie Leuze. Am Amazonas spielen zudem folgende zwei Romane: “Maia: oder Als Miss Minton ihr Korsett in den Amazonas warf” von Eva Ibbotson (7−11 Jahre) und “Die Stadt der wilden Götter” von Isabelle Allende (ab 12).
Bibliografische Angaben:Verlag: Carlsen ISBN: 978-3-551-31992-0 Erscheinungsdatum: 18.März 2021
Einbandart: Taschenbuch Preis: 7,99€ Seitenzahl: 304 Übersetzer: Henning Ahrens Originaltitel: "The Explorer" Originalverlag: Simon & Schuster
Britisches Originalcover:
Trailer zum Buch (auf Englisch):
Die Autorin spricht über den Inhalt des Buches (auf Englisch):
Kasimiras Bewertung:
(3 von 5 möglichen Punkten)
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Britisches Cover: Homepage von Simon & Schuster
Ich liebe dieses Buch über alles! Es ist einfach so krass Danke Katherine für dieses wunderbare Buch!!