“Oben ohne” von der deutschen Autorin Jutta Nymphius ist ein Roman, der ein Mädchen in den Mittelpunkt stellt, das mit ihrem Aussehen nicht zufrieden ist. Auf dem Weg zur Selbstfindung stolpert sie über so manches Hindernis. Eine Geschichte über Schönheit, Selbst- und Körperbewusstsein und Freundschaft. Einfühlsam und unterhaltsam geschrieben. Für Jugendliche ab 12 Jahren.
Die 13-jährige Amelie ist mit ihrem Leben nicht wirklich zufrieden. Sie wäre gerne mit den beiden Klassenschönheiten Celina und Lina befreundet, ist es aber irgendwie nicht, sondern hinkt nur hinterher. Sie hätte gerne Eltern, die sich nicht ständig streiten. Sie würde gerne von ihrem Schwarm Elias bemerkt werden: “Elias ist nicht irgendein Junge, Elias ist ein Event. Eine Sensation. Finde ich jedenfalls. […] Er kann es wirklich mit jedem Model oder Schauspieler aufnehmen” (Zitat aus “Oben ohne” S.32) Und Amelie hätte gerne einen schöneren Körper. Eine Oberweite ist bei ihr so gut wie nicht vorhanden, dafür steht ihr Bauch weit heraus. Ihre Nase mag sie auch nicht. Oft leiht sie sich die Hemden ihres Vater aus oder trägt andere große Kleidungsstücke: “Oversize-Pullis sind, glaube ich, eigens für mich erfunden worden. Hauptsache, alles ist schön schlabbrig, damit nichts zu erkennen ist.” (Zitat S.7) Manchmal machen sich sogar die Jungs aus ihrer Klasse über sie lustig: “Amelie? Die ist ja so platt, die hat doch bestimmt noch nicht mal ihre Tage!” (Zitat S.41) Doch Kira, ein neues Mädchen in ihrer Klasse, verteidigt sie sogar. Kira ist irgendwie anders. Und zufällig kennt Kira auch Elias näher und stellt einen Kontakt zwischen den beiden her. Amelia schwebt auf Wolke sieben. Aber dann fordert Elias auf einmal etwas Seltsames von ihr. Er möchte sie oben ohne sehen…
“Oben ohne” ist eine kurzweilige Geschichte, in der viel drinsteckt. Ein junges Mädchen in einer sich verändernden Welt. Freundschaften, die sich verändern. Das Familienleben, das sich durch häufige Streitereien der Eltern verändert. Aber vor allem ihr Körper der sich (nicht) verändert. Warum ist ihr Bauch größer als ihre Oberweite? Warum kann sie nicht mit sich zufrieden sein? Jutta Nymphius geht diesen Fragen auf sehr sensible Weise nach. Das Aussehen und das eigene Körperbewusstsein sind gerade für Heranwachsende ein wichtiges Thema. Bin ich in Ordnung so wie ich bin? Oder muss ich anders werden, um akzeptiert zu werden? Ein tolles Beispiel hierfür ist die neue Klassenkameradin Kira: “Obwohl sie nicht gerade schlank ist und ihr Bauch auch ziemlich weit vorsteht, trägt sie meist knallenge Tops und Shirts, die bei jeder klirrenden Bewegung hochrutschen und ihre Speckrollen freigeben. Auch ihre engen Hosen sehen so aus, als stünden sie kurz vor dem Platzen. Aber all das scheint nicht nur sie überhaupt nicht zu stören. Auch niemand sonst traut sich, eine Bemerkung zu machen, erst recht keine höhnische.” (Zitat S.38) Amelie bearbeitet Fotos von sich gerne mit dem Computer. Setzt ihren Kopf auf einen makellosen Körper einer anderen. Oder schließt ihre Zimmertüre ab und betrachtet sich lange Zeit äußerst kritisch im Spiegel. Das distanzierte Gefühl jemand anderen dort wahrzunehmen, gelingt der Autorin auf eine besondere Art und Weise zu schildern: “Eine Weile sehen das Mädchen und ich uns an. Sein Blick wird immer trauriger, flehender. Irgendwie mag ich es, ja, das tue ich wirklich, aber ich kann ihm nicht helfen. So, wie es ist, ist es einfach nicht gut. Schließlich schießen dem Mädchen Tränen in die Augen. Das ist jedes Mal der Moment, in dem ich schnell die Schranktür wieder schließe.” (Zitat S.45ff) Die Wandlung der Protagonistin mitzuerleben, wie sie sich hinsichtlich ihres Körperbewusstseins langsam verändert, liest sich authentisch, auch wenn ihre Entscheidung hinsichtlich des Teilen eines Fotos für mich nicht ganz nachvollziehbar war. Gerade weil sie so unzufrieden mit sich selbst ist. Aber ihre letztendliche Art damit umzugehen, liest sich raffiniert. Die Sprache in “Oben ohne” ist sehr klar und einfach. Das Buch ist in Kapitel unterteilt, die mit passenden Überschriften versehen sind. Manchmal ist die Geschichten in feinen Nuancen ein bisschen theatralisch, auch das Ende ein klein wenig “weichgespült”. Aber unterhaltsam und irgendwie lehrreich ist der Roman auf jeden Fall. Macht nachdenklich. Macht Hoffnung. In Ordnung zu sein, so wie man ist.
Dir gefällt der Erzählstil von Jutta Nymphius? Dann lies noch ein anderes Jugendbuch von ihr (ab 10 Jahren): “Schlägerherz”, ebenfalls im Tulipan Verlag erschienen. Inhaltliche Alternativen zu “Oben ohne” sind zum Beispiel “For your eyes only: 4YEO” von Carolin Philipps, “#Selbstschuld: Was heißt schon privat” von Thomas Feibel, die beide sehr bewegend geschrieben sind. Etwas heftiger geht es zu in “Hass gefällt mir” von Johanna Nilsson, in dem ein Foto und ein Sexvideo eines Mädchen das Leben jenes völlig verändern. Oder lies “Weil es nicht aufhört” von Manfred Theisen, in welchem ein “Oben ohne”-Foto ebenfalls zu einer Hetzkampagne führt. Das Thema Schönheit wird vor allem in dem gelungenen “Instagirl” von Annette Mierswa aufgegriffen. Ein schönes Sachbuch hat außerdem Siobhan Curham geschrieben: “True Face — Sei echt. Sei furchtlos. Sei du selbst”, das Jugendlichen Tipps gibt mit Schönheitsidealen und sozialen Netzwerken umzugehen. Eine richtige gute Alternative zu “Oben ohne” und eine sehr gelungene Neuerscheinung ist außerdem “Meine Augen sind hier oben” von Laura Zimmermann.
Bibliografische Angaben: Verlag: Tulipan ISBN: 978-3-86429-486-0 Erscheinungsdatum: 24.August 2020 Einbandart: Hardcover Preis: 13,00€ Seitenzahl: 200 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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