Julie Buxbaum — What to say next: Vielleicht genügt ein Wort

Kasimira27.August 2021

What to say next: Viel­leicht genügt ein Wort” ist ein Roman der ame­ri­ka­ni­schen Autorin Julie Bux­baum, der nun neu als Taschen­buch erschie­nen ist (ACHTUNG: frü­her trug es den Titel: “Mein Herz in allen Ein­zel­tei­len”) Eine Geschich­te über ein Mäd­chen, das durch den Tod ihres Vaters zur Außen­sei­te­rin gewor­den ist und einen Jun­gen, der durch das Asper­ger-Syn­drom schon immer einer war. Eine zar­te Lie­bes­ge­schich­te vor erns­tem Hin­ter­grund. Gefühl­voll und stim­mig erzählt. Ein Her­zens­buch mit tol­len Cha­rak­te­ren. Für Jugend­li­che ab 12 Jah­ren und inter­es­sier­te Erwachsene.

David ist ein biss­chen anders als die ande­ren. “Ein Arzt hat mal behaup­tet, ich wäre “an der Gren­ze zum Asper­ger-Syn­drom”. Dabei kann man das Asper­ger-Syn­drom heu­te gar nicht mehr haben, weil es 2013 aus der DSM‑5 (die aktu­el­le Ver­si­on des Werks Dia­gnos­ti­sches und Sta­tis­ti­sches Manu­al Psy­chi­scher Stö­run­gen) gestri­chen wur­de. Von Men­schen mit den ent­spre­chen­den Eigen­schaf­ten wird seit­dem gesagt, sie hät­ten Hoch­funk­tio­na­len Autis­mus.” (Zitat aus “What to say next” S.9) David, der einen IQ von 168 hat und sich natür­lich die aktu­el­le DSM‑5 besorgt hat, um dem nach­zu­ge­hen, glaubt jedoch nicht, dass er an die­ser Stö­rung lei­det. Er ist manch­mal eben nur ein biss­chen unge­schickt und stol­pert leicht. Und ja, er mag alles ger­ne ordent­lich und liebt die Rou­ti­ne. Aber er hat kein Pro­blem damit ande­ren Julie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilenin die Augen zu sehen oder flippt auch nicht gleich aus, wenn man ihn berührt. Nur mit man­chen Rede­wen­dun­gen kommt er nicht ganz klar, ver­steht nicht immer, was sie bedeu­ten und führt des­halb fein säu­ber­lich ein Notiz­buch, in dem er sol­che Din­ge ein­trägt. “Ich sehe Kit an. Was mein­ten ihre Freun­din­nen eigent­lich damit, dass sie “neben der Kap­pe” wäre. Ist Kit sonst unter der Kap­pe? Neben wel­cher Kap­pe über­haupt? Kit und Kap­pe, das passt über­haupt nicht. Heu­te sieht sie sogar noch ordent­li­cher aus als sonst.” (Zitat S.14ff) Davids Schwes­ter Lau­ren, eines der belieb­tes­ten Mäd­chen über­haupt, steht ihm immer hilf­reich zur Sei­te und ana­ly­siert mit ihm Wor­te, Ver­hal­tens­wei­sen und den Sinn dahin­ter. Und sie stellt gesell­schaft­li­che Regeln auf, die er in sein Notiz­buch ein­trägt, um sich mög­lichst dar­an zu hal­ten. Eben­falls über Men­schen, mit denen David zu tun hat, erstellt er aus­führ­li­che Lis­ten. Ihre Merk­ma­le und ihre ver­gan­ge­nen Begeg­nun­gen. Wobei es davon nicht son­der­lich vie­le gibt (abge­se­hen von einem Jun­gen, der ihn ärgert), denn Freun­de hat David so gut wie kei­ne. Umso über­rasch­ter ist er, als sich eines Tages die 16-jäh­ri­ge Kathe­ri­ne, die von allen nur Kit genannt wird, zu ihm an den Tisch in der Kan­ti­ne sitzt. An den Tisch, an dem er nor­ma­ler­wei­se immer allei­ne sitzt. “Mich neben David Dru­cker zu set­zen, hal­te ich für die bes­te Lösung, weil er immer so still ist, dass man ihn fast ver­gisst. […] Nicht, dass man mich falsch ver­steht: Auch ich habe Julie Buxbaum - Mein Herz in allen EinzelteilenHem­mun­gen und bin häu­fig unsi­cher, aber ich habe gelernt, es zu über­spie­len. David hin­ge­gen scheint nicht ein­mal zu ver­su­chen, wie alle ande­ren zu sein.” (Zitat S.19) Kit hat vor Kur­zem ihren Vater durch einen Auto­un­fall ver­lo­ren und kommt damit ein­fach nicht klar. “Von mir wird erwar­tet, dass ich ein­fach so wei­ter­ma­che. Dass ich wie­der die Alte bin.” (Zitat S.24) Doch das kann sie nicht. Genau einen Monat ist es jetzt her, dass er tot ist. Und eigent­lich woll­te Kit an die­sem Tag gar nicht zur Schu­le gehen, doch ihre Mut­ter sagt, dass sie muss. “…ihre Art zu trau­ern, sich mit­füh­len­den Frem­den schluch­zend um den Hals zu wer­fen, ist mir fremd. Was mei­ne Art ist, habe ich dage­gen noch nicht her­aus­ge­fun­den. Lang­sam fan­ge ich an zu glau­ben, dass es sie nicht gibt.” (Zitat S.18) Und so zieht sie erneut das Hemd ihres Vaters an, mar­schiert zur Schu­le - und setzt sich zu David an den Tisch. Um ein­fach mal ihre Ruhe zu haben. “Ich kom­me mir blöd vor. Macht das die Trau­er mit einem? Es ist, als wür­de ich mit einem Raum­an­zug durch die Schu­le lau­fen — mit einem Trüb­sal­helm, so undurch­dring­lich wie Glas. Nie­mand ver­steht, was ich durch­ma­che. Wie auch? Ich ver­ste­he es ja selbst nicht.” (Zitat S.18) Nicht gerech­net hat Kit aller­dings mit Davids direk­ten Art (“Dein Dad ist also tot”, sage ich.” (Zitat S.13)), sei­ner Auf­rich­tig­keit und sei­ne Ehr­lich­keit. Sie, die sich immer ver­ant­wort­lich fühlt, ein Gespräch am Lau­fen zu hal­ten, kann auch mit ihm schwei­gen. Oder ihm Din­ge erzäh­len, die sie nicht ein­mal ihren bes­ten FreuJulie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilenndin­nen erzählt hat. Dass sie bei­spiels­wei­se immer wie­der an die­se Unfall­nacht den­ken muss und ver­sucht zu rekon­stru­ie­ren, an wel­cher Stel­le etwas hät­te anders gemacht wer­den kön­nen, damit ihr Vater nicht gestor­ben wäre. “Ihre Wan­gen sind rosig, und ihre Augen glän­zen ein wenig feucht. Ich muss mich abwen­den, weil sie so atem­ber­au­end schön ist, dass ich es kaum ertra­ge, sie anzu­se­hen.” (Zitat S.15) Uner­war­tet kom­men Kit und David sich näher. Ver­brin­gen mehr Zeit mit­ein­an­der. Doch dann wird Davids Notiz­buch gestoh­len und im Netz ver­öf­fent­licht. Das Notiz­buch, in dem er sich so gut wie über jeden Schü­ler in sei­ner sach­li­chen Art und Wei­se geäu­ßert hat. Das bringt eine gro­ße Wel­le ins Rol­len und ver­än­dert alles…

Mein Herz in allen Ein­zel­tei­len” wird sowohl aus Kits, als auch aus Davids Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve erzählt. Ich muss zuge­ben am Anfang ein wenig Zeit gebraucht zu haben, um mich mit Davids “ande­rer” Art anzu­freun­den. Er ist ein ganz eigen­williger Cha­rak­ter, der auch in sei­nen ganz eige­nen (manch­mal etwas hoch­ge­sto­che­nen) Wor­ten spricht: “Auf der High­school besteht aber offen­sicht­lich eine nega­ti­ve Kor­re­la­ti­on zwi­schen beliebt sein und der Anzahl von Leu­ten, die dich wirk­lich mögen, dafür aber eine posi­ti­ve Rela­ti­on zwi­schen beliebt sein und Leu­ten, die mit dir befreun­det sein wol­len. Nach­dem ich ein­ge­hend dar­über nach­ge­dacht habe, ergibt es für mich Sinn, aller­dings steJulie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilenlle ich fest, dass ich bei­des bin: Außen­sei­ter und ein wun­der­ba­res Bei­spiel dafür, dass Kor­re­la­ti­on noch nicht Kau­sa­li­tät impli­ziert.” (Zitat S.31) Jedoch bestand die­se Befremd­lich­keit wirk­lich nur zu Beginn des Buches. Irgend­wann schließt man David ein­fach in sein Herz und lässt sich von ihm — der auf sei­ne Art einen gewis­sen Charme hat — ver­zau­bern: “Als er merkt, dass er etwas Komi­sches gesagt hat, guckt er total süß. Um ihn zu ret­ten, hake ich mich bei ihm ein und gehe mit ihm die Stra­ße hin­un­ter. […] “Ganz ehr­lich, manch­mal glau­be ich, nur Hun­de kön­nen mich hören”, erwi­dert er. “Ich höre dich eigent­lich ganz gut, falls das zählt.” “Das zählt sehr viel”, sagt David, und ich wer­de rot. Er auch, wenn ich mich nicht täu­sche.” (Zitat S.122) Es wird in dem Roman daher zeit­wei­se zart roman­tisch und eben­so unfrei­wil­lig komisch und erhei­ternd für den Leser Davids (erfri­schen­de, ande­re) Sicht auf die Din­ge mit­zu­er­le­ben: …ich erheb mich und ver­las­se den Raum, genau, wie Kit es kurz zuvor getan hat. Ver­pas­sen wer­de ich auf jeden Fall nichts. Das Phy­sik­buch habe ich letz­ten Som­mer bereits durch­ge­le­sen. Die weni­gen Unklar­hei­ten lie­ßen sich mit einer kur­zen Goog­le­re­cher­che klä­ren und mit einem kos­ten­lo­sen Stan­ford-Online­kurs ver­tie­fen.” (Zitat S.36) Anders­sein heißt Beson­ders­sein, das impli­ziert das Jugend­buch auf eine schö­ne Art und Wei­se. Denn Erwach­sen­wer­den heißt nicht nur zu hin­ter­fra­gen, wer manJulie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilen sein möch­te, son­dern auch sich plötz­lich in einem Dschun­gel aus Gefüh­len und Ver­hal­tens­mus­tern wie­der­zu­fin­den, die man (bei sich selbst und bei ande­ren) erst ein­mal ver­ste­hen muss. Dass genau das für jeman­den mit Asper­ger-Syn­drom (und das hat David, wie er sich am Ende ein­ge­steht) noch viel schwie­ri­ger ist, zeigt “What to say next” sehr gut. Man fühlt und lei­det glei­cher­ma­ßen mit David mit, wenn er Kit näher kommt, aber ihr Ver­hal­ten ein­fach nicht “ent­zif­fern” kann: “Dan­ke fürs Mit­neh­men.” “Jeder­zeit”, ant­wor­tet sie, und ich hät­te sie gern gefragt, was sie damit meint. Ist es ein ech­tes Ange­bot oder rei­ne Höf­lich­keit? Die Spra­che ist vol­ler Mehr­deu­tig­kei­ten, die mir das Leben schwer machen.” (Zitat S.93)
Die zwei­te gro­ße, “erns­te” The­ma­tik in dem Buch ist der Umgang mit Trau­er, die Kit zu schaf­fen macht. Wäh­rend die Geschich­te anfangs noch von einem Geflecht aus Erin­ne­run­gen an ihren Vater durch­zo­gen ist, ver­sucht das jun­ge Mäd­chen bald den Unfall­her­gang mit Davids (mathe­ma­tisch-pysi­ka­li­scher) Hil­fe zu unter­su­chen. Gibt es eine Vari­an­te, in der die­ser hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen? In der er über­lebt hät­te? Und natür­lich gibt es in die­sen Tei­len des Romans auch trau­ri­ge Momen­te: “Ich habe die Eltern mei­nes Vaters, mei­ne ande­ren Groß­el­tern, nie ken­nen­ge­lernt, und wenn ich je Kin­der haben wer­de, wer­den sie mei­nen Dad nicht ken­nen­ler­nen. Wenn ich eines Tages hei­ra­ten wer­de, wird mein Dad mich nicht zum AltarJulie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilen gelei­ten. Beim Schul­ab­schluss wird nur mei­ne Mom zuschau­en.” (Zitat S.76ff) Dass Kit von allen mit Samt­hand­schu­hen ange­fasst wird, stört sie extrem. Daher ist ihre neue Zusam­men­kunft in den Mit­tags­pau­sen der Schu­le mit David etwas völ­lig Neu­es für sie. “Dei­ne scho­nungs­lo­se Ehr­lich­keit ist… irgend­wie erfri­schend.” (Zitat S.92) Kit gelingt eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ver­gan­ge­nen, aber auch eine äußerst schwie­ri­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit ihrer Mut­ter und einem Fami­li­en­ge­heim­nis, das uner­war­tet ans Licht rückt. “Es kann bes­ser wer­den — bei mir, bei uns. Viel­leicht wer­de ich eines Tages stolz sein auf die neue Kit — auf die auch mein Dad stolz wäre. Es ist in Ord­nung, dass ich nicht mehr die­sel­be bin wie frü­her. Das geht gar nicht. Viel­leicht kön­nen wir aus etwas, das sich voll­kom­men sinn­los anfühlt, etwas Sinn­vol­les machen.” (Zitat S.314) Das Ende von “What to say next” offen­bart eine über­ra­schen­de Wen­dung und ein schö­nes Happyend :-)

Fazit: Eine gelun­ge­ne Geschichte!

Wenn dir “What to say next” gefal­len hat, lies noch das ers­te Buch, das Julie Bux­baum geschrie­ben hat“Tell me three things” — eben­falls eine schö­ne Lie­bes­ge­schich­te ver­bun­den mit der The­ma­tik Trau­er (hier ist jedoch die Mut­ter gestor­ben). Love­sto­ry plus Tod, das ver­ei­nen vie­le Jugend­bü­cher. Hier die bes­ten Alter­na­tivLesealternativenen: “Wie viel Leben passt in eine Tüte?” von Don­na Freitas (schon etwas älter, aber gran­di­os — macht wie­der Lust auf das Leben!), “Nichts als Lie­be” von Beth Kephart (sprach­lich gese­hen sehr toll), “Wenn du mich küsst” von Julia­na Stone (unheim­lich ergrei­fend und roman­tisch!), “Das Jahr, nach­dem die Welt ste­hen blieb” von Cla­re Fur­niss (gefühl­voll und herz­er­wär­mend) und “Was uns bleibt ist jetzt” von Meg Wolit­zer (unter­halt­sam und groß­ar­tig!). Ein Mäd­chen mit autis­ti­schen Zügen und eine äußerst sym­pa­thi­sche Haupt­fi­gur fin­dest du in dem bezau­bern­den “Das Blub­bern von Glück” von Bar­ry Jons­berg. Eine berüh­ren­de Lie­bes­ge­schich­te ver­bun­den mit einem Jun­gen, der unter dem Asper­ger-Syn­drom leidet/ bezie­hungs­wei­se Autis­mus hat, erlebst du in “Zwei Her­zen im Gold­fisch­glas” von Sal­ly Par­tridge, in “Für uns macht das Uni­ver­sum Über­stun­den” von A. Mer­edith Wal­ters und in Ein Kuss ist ein fer­ner Stern von Alex­an­der Rös­ler (sehr bewe­gend!). Oder greif zu dem noch etwas neue­ren “Die Lie­bes­brie­fe von Abel­ard und Lily” von Lau­ra Creed­le, “Jeder von uns ist ein Rät­sel” von A.J.Steiger, “Mei­ne Check­lis­te zum Ver­lie­ben” von Anja Janot­ta und “Das Licht von tau­send Ster­nen” von Leo­nie Lastel­la. Ein Jun­ge, der auf­grund sel­ber Pro­ble­ma­ti­ken auch noch eine Kri­mi­nal­fall löst, das kannst du in “Der bes­te Tag mei­nes Lebens” von Ash­ley Edward Mil­ler, in “Smart oder Die Welt mit ande­ren Augen” von Kim Sla­ter und in dem Klas­si­ker “Super­gu­te Tage oder Die son­der­ba­re Welt des Chris­to­pher Boo­ne” von Mark Had­don entdecken.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: ONE (Lübbe)
ISBN: 978-3-8466-0136-5
Erscheinungsdatum: 27.August 2021
Einbandart: Broschur
Preis: 12,90€ 
Seitenzahl: 368 
Übersetzer: Anja Malich
Originaltitel: "What to say next"	 
Originalverlag: Delacorte Press

Deutsches Originalcover:
Julie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilen











Amerikanisches Originalcover:
Julie Buxbaum - Mein Herz in allen Einzelteilen











Julie Buxbaum über ihr Buch (auf Englisch):
 

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Kasimiras Bewertung:

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(4,5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Amerikanisches Cover: Homepage von Julie Buxbaum

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