Die deutsche Autorin Juliane Breinl hat mit “Graue Wolken im Kopf” einen Roman geschrieben, der — wie der Titel schon verlauten lässt — sich mit einem ernsten Thema beschäftigt: Depression bei Jugendlichen. Die Geschichte eines junge Mädchens, die unwissentlich in solch eine hineinrutscht, ehe sie begreift, was überhaupt mit ihr los ist. Ein aufklärendes und bewegend erzähltes Buch. Für Jugendliche ab 12 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 15-jährige Tiziana ist hübsch, beliebt und hat nebenbei auch sehr gute Noten. Jetzt geht es auf den Abschluss zu und da braucht sie noch einmal richtig viel Power. Sie will Klassenbeste werden und anschließend gleich das Fachabitur machen. Denn um an der Journalistenschule genommen zu werden, auf die sie gehen möchte, muss man schon ein Ausnahmetalent sein. Deshalb nimmt sie mit ihrer besten Freundin Vivian auch an einem Fotoprojekt teil, bei dem sie Obdachlose interviewen und fotografieren soll. Nebenbei arbeitet sie nicht nur für die Schülerzeitung, sondern ist ebenfalls Mitglied in einem Volleyballverein. Freizeit hat sie kaum noch. Das nervt vor allem Vivian: “Wir sehen uns seit Wochennur noch zum Arbeiten. Fotostory, Volleyballspiel, Referat ausarbeiten und so’n Zeug. Können wir nicht einfach mal wieder miteinander abhängen? Musik hören, Klamotten anprobieren und über andere lästern. Das haben wir früher total oft gemacht!” (Zitat S.56) Das würde Tiziana gerne mal wieder, aber wie soll sie das bei ihrem Arbeitspensum schaffen? Die nächsten Klausuren stehen an, für die sie lernen muss und jetzt hat ihr Volleyballtrainer ihr auch noch vorgeschlagen in der Erwachsenen-Damenmannschaft mit zu trainieren. Dort würde dringend Unterstützung gebraucht werden. Und obwohl sie eigentlich ablehnen wollte, hat der Trainer sie irgendwie dazu gedrängt auf seinen Vorschlag einzugehen. “Warum ist das alles so kompliziert?, fragte sie sich und am liebsten hätte sie Vivian ihr Herz ausgeschüttet, ihr erklärt, wie verzwickt alles war — wie ihr Trainer ihr keine Chance gelassen hatte und dass sie natürlich gerne mehr Freizeit hätte, aber nicht wusste, wie sie das anstellen sollte. Doch sie brachte keinen Ton über die Lippen und setzte sich schweigend neben Vivian auf ihren Platz.” (Zitat S.61)
Jetzt steht auch noch ihr 16.Geburtstag an und eine große Party ist geplant. Tiziana fühlt sich mehr und mehr überfordert: “Wie soll ich das nur alles schaffen?, fragte sie sich zum wiederholten Male, und obwohl sie wusste, dass es eigentlich ungerecht war, verfluchte sie Vivian, die ihr diese Party eingebrockt hatte.” (Zitat S.75) Dann passiert etwas auf der Feier, dass das Fass zum Überlaufen bringt und Tiziana zusammenbrechen lässt. Doch niemand merkt, was wirklich mit ihr los ist…
“Graue Wolken im Kopf” ist aus zwei sich abwechselnden Perspektiven und in personaler Erzählweise geschrieben. Es ist nicht nur Tiziana, die berichtet, sondern auch Vivian, die ihre Sicht der Dinge schildert. Eingeleitet werden die Kapitel mit einer in einem Regentropfen umhüllten Kapitelnummerierung und einem Zitat einer interviewten Person. Der Anfang des Roman war für mich noch eher etwas zäh zu lesen, zieht sich sehr in die Länge und manche Szenen (z.B. wie anderen Leuten “spontan” um den Hals gefallen wird) lesen sich etwas gekünstelt. Aber dann wird man buchstäblich in einen Sog hineingezogen und kann den Roman kaum aus den Händen legen. Tizianas Empfindungen werden sehr berührend beschrieben: “Ihr ganzer Körper fühlte sich an, als hätte jemand tagelang darauf herumgetrampelt, und in ihrem Kopf herrschte eine Art Betriebsausfall. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und musste sich sogar darauf konzentrieren, wie man Treppen stieg. Zudem war ihr andauernd schwindelig. Dr. Grasser hatte gesagt, sie hätte einen Infekt, aber […] wie eine Erkältung fühlte sich das alles nicht an. Eher wie eine nie enden wollende Katastrophe!” (Zitat S.106) Gerade ihre Sorge diesem Zustand nie wieder entkommen zu können und ihre gleichzeitigen widersprüchlichen Gefühle — warum sie sich denn nicht einfach zusammenreißen kann — sind sehr gut getroffen. Selbst die einfachsten Dinge gelingen dem jungen Mädchen nicht mehr. Englischvokabeln pauken… keine Chance. Sie kann sich an die Wörter einfach nicht mehr erinnern, auch wenn sie sie zigmal durchgeht. Dann immer dieses laute Rauschen, der Schwindel. Und ihre Eltern, die einfach nicht nachvollziehen können, war
um sie “alles hinschmeißt”, was sie sich so lange erarbeitet hat. Diese überlegen sogar, sie mittels der Polizei dazu zu zwingen wieder zur Schule zu gehen. Sehr passend sind auch die bereits erwähnten Zitate, die am Anfang jedes Kapitels erscheinen. Zu Beginn tauchen diese noch mitten im jeweiligen Kapitel ein zweites Mal auf und es wird klar, dass dies die Worte der Obdachlosen sind, die Tiziana und Vivian interviewen. Später erscheinen die Zitate zwar nicht mehr im Fließtext selbst, es sind aber noch die gleichen Urheber und diese schildern die Gefühle von Menschen während einer Depression. Was mir am Ende noch gefehlt hat, sind Adressen oder Angaben, an wen man sich als Jugendlicher wenden kann, wenn man selbst in einen depressiven Zustand gerät.
Fazit: Ein aufwühlendes, packend erzähltes Buch über ein wichtiges Thema.
Ein Mädchen, das nicht weiß, was mit ihr los ist und darunter leidet, findest du ebenso in “Wie ein Fisch im Baum” von Lynda Mullaly Hunt. Hier hat das Mädchen Legasthenie. Romane über Depressionen gibt es im Jugendbuch einige. Eine weibliche Hauptfigur, der dies passiert, kannst du in “Schwarze Zeit” von Jana Frey entdecken (ebenfalls sehr flüssig geschrieben), in der Taschenbuch-Neuerscheinung “Was uns bleibt ist jetzt” von Meg Wolitzer und in “Mein Herz und andere schwarze Löcher” von Jasmine Warga. Einen männlichen Protagonisten erlebst du in “Eine echt verrückte Story” von Ned Vizzini, “Allein unter Schildkröten” von Marit Kaldhol (heftig!) und “Das hier ist kein Tagebuch” von Erna Sassen (zwei Mal nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016). Sehr oft ist in Jugendbücher auch die Mutter an Depressionen erkrankt, wie zum Beispiel in “Easy” von Christoph Wortberg, “Das Gegenteil von fröhlich” von Katrin Stehle und “Meine wahre, erfundene Welt” von Kaat Vrancken. Wenn du — unabhängig von Depressionen — ein wirklich bewegendes Jugendbuch lesen möchtest, dann greif mal zu “Nichts wünsche ich mir mehr” von Lena Hach. Bekannte, deutsche Realityautorinnen, die über viele aufrüttelnde Themen schreiben, sind vor allem Jana Frey und Brigitte Blobel, aber auch Manfred Theisen oder Birgit Schlieper.
Bibliografische Angaben:Verlag: Arena ISBN: 978-3-401-51198-6 Erscheinungsdatum: 17.Juni 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 8,00€ Seitenzahl: 224 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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