“Offline ist es nass, wenn’s regnet” ist mittlerweile das sechste Jugendbuch der amerikanischen Autorin Jessi Kirby. Der Roman mit dem tollen Titel und der kleinen Portion “Digital Detox” stellt eine erfolgreiche Influencerin in den Mittelpunkt, die ihres oberflächlichen Schein-Lebens überdrüssig ist und einen unerwarteten Schritt wagt: sie macht sich auf den Weg den John Muir Trail zu wandern, einen 340km langen Fernwanderweg in Kalifornien. Eine Suche nach der eigenen Identität und dem Wunsch, sein Leben wieder genießen zu können. Gewohnt einfühlsam und mitreißend geschrieben. Ein wunderbares Buch! Lesetipp!! Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Kalifornien. Hier lebt die 17-jährige Mari. Sie ist eine bekannte Influencerin, hat schon über eine halbe Million Follower und hofft auf immer neue Abonnenten ihrer Instagram-Seite und ihres Youtube-Kanals. Ständig inszeniert sie ihr Leben: dekoriert ihr Frühstück bis ins kleinste Detail um anschließend ein Foto davon zu machen; absolviert eine Abfolge von Yogaübungen, bei der sie sich filmt und trägt dabei superschicke Sportklamotten. An ihrem 18.Geburtstag schenkt ihr Freund Ian ihr eine bezaubernde Kette. Ihr Leben wirkt makellos. Mari scheint der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt zu sein. Doch all das ist nur Schein: das perfekte Frühstück landet nach dem erfolgreichen Foto im Mülleimer, da es zu viele Kalorien hat; die Sportklamotten werden von einer Firma bezahlt, die erwartet, dass sie dafür Werbung macht und Ian ist nur zu Schein ihr Freund: “...wir geben auf unseren jeweiligen Feeds das glückliche Pärchen, was uns beiden zugutekommt, vor allem bei Unternehmen, die auf Crossover-Accounts stehen. Das rede ich mir zumindest ein.” (Zitat aus “Offline ist es nass, wenn’s regnet” S.26) Am Tag ihres 18.Geburtstags ist Maris Leben auf einem Tiefpunkt angekommen. Die ständige Suche nach Anerkennung in sozialen Netzwerken; dieses künstliche, sinnentleerte Dasein — all das ist ihr zu viel geworden. “Ich lege mich hin, schließe die Augen und denke an diese fremden Menschen — meine Follower — und daran, wie sie mich sehen, mit dem Gefühl, mich aufgrund dessen zu kennen, was ich ihnen präsentiere. Sie würden nie darauf kommen, dass ich an meinem Geburtstag allein in meinem Zimmer hocke und mich noch nie im Leben so einsam gefühlt habe.” (Zitat S.34) Hals über Kopf
und ohne groß nachzudenken dreht sie ein Video, das sie ihrer toten Cousine Bri widmet. Bri, mit der sie eigentlich Abenteuer erleben wollte und ständig neue Dinge tun, die ihnen niemand zutraute. Das zumindest hatten sich die beiden Mädchen, die wie Seelenverwandte füreinander waren, an ihrem 13.Geburtstag einander versprochen. Doch nach der Trennung ihrer Eltern war es Maris Weg in die Onlinewelt, um damit umzugehen und bald passte Bri in diese Welt einfach nicht mehr hinein. Vor einiger Zeit starb ihre Cousine dann bei einer Wanderung.“Ich gestehe Bri, wie sehr ich mich darin verloren habe und dass ich meine Zeit gerade dafür investiere, ein gefaktes Leben zu erschaffen, um andere Leute zu überzeugen. Aber wovon genau? Dass ich etwas Besonderes bin? Oder bewundernswert? Gut genug? An unserem achtzehnten Geburtstag erzähle ich ihr, dass ich nichts davon bin und überhaupt keine Vorstellung davon habe, wer ich bin oder was in meinem Leben noch stimmt.” (Zitat S.42) Das Video, in dem sie beschließt mit der
Onlinewelt aufzuhören, sorgt für große Wellen und einen regen Shitstorm, ehe Mari realisieren kann, was sie da getan hat. Als am nächsten Tag auch noch ein Päckchen vor ihrer Türe steht, in dem sich Bris alte Wanderschuhe und ihr komplett gepackter Wanderrucksack befinden, ist es wie ein Wink des Schicksals, einfach mal einen neuen, anderen Weg zu gehen. Denn es gab eine Tour, die Bri und Mari eigentlich mal gemeinsam machen wollten: den John Muir Trail, ein Fernwanderweg in der Sierra Nevada. Bri hat ihn nicht mehr gehen können. Und Mari will eigentlich nur mal kurz ein bisschen frische Bergluft schnuppern. Niemals könnte sie sich vorstellen, so eine lange Wanderung zu tätigen. Das würde sie sich niemals zu trauen. Doch dann kommt alles ganz anders…
“Offline ist es nass, wenn’s regnet” wartet mit einem wirklich bezaubernden Cover und einem brillanten Titel auf, der kurz innehalten und schmunzeln lässt. Da hat sich der Loewe Verlag bei der Gestaltung tatsächlich was einfallen lassen! Da wirken der englische Titel (“The other side of lost”) und das englische Cover (siehe unten) fast schon ein bisschen langweilig;-) Den Roman selbst zu lesen, macht richtig viel Freude! Man ist sofort drin in der Geschichte, die durchgängig aus Maris Sicht in der Ich-Perspektive erzählt wird, und kann sich sehr gut in das junge Mädchen einfühlen. Es ist heftig zu lesen, wie oberflächlich ihr Leben geworden ist. Dass sie keinerlei Freunde hat und sogar für ihren Geburtstag etwas “Künstliches” vorbereiten muss: “Um 17:45 kommt Ian schlecht gelaunt in den Hinterhof des veganen Cafés, in dem wir uns gern treffen. Er wirkt noch genervter, als er sich setzt und ich als Erstes das Geburtstagsgeschenk, das ich selbst eingepackt habe, aus meiner Handtasche hole.” (Zitat S.27) Alles ist gestellt und nur Show vor einem Online-Publikum: “Reicht das? Ich muss mal los.” Ich nicke. “Ja klar. Ich lade es heute Abend hoch.” “Super”, sagt er. “Vergiss nicht, mich zu taggen.” “Natürlich nicht.” Dennoch spricht Jessi Kirby hier wichtige Themen der heutigen Jugend an: das In-Szene-Setzen der eigenen
Persönlichkeit, das Preisgeben von Privatem in sozialen Netzwerken und der Drang nach Bestätigung durch andere (teils fremde) Nutzer. Deutlich zeigt sie die Gefahr auf, sich in solchen sozialen Welten zu verlieren und eine gewisse Abhängigkeit davon zu entwickeln. “Und als ich dann mein erstes Bikinifoto postete, funktionierte es tatsächlich: Beinahe über Nacht begannen fremde User, meine Beiträge zu liken, zu kommentieren und mir zu folgen. […] Dieses erste Foto und die Reaktionen darauf hatten mir ein gutes Gefühl gegeben, als alles andere gar nicht gut war.” (Zitat S.39) Das Leben von Maris Cousine Bri, die vor ihrem Tod ständig auf Wandertouren und voller Lebenslust und Abenteuerdrang war, stellt da einen großen Gegensatz zu dem Alltag der Protagonistin dar. Damit und vor allem mit der Rolle, die sie in Zukunft spielen möchte, muss Mari sich auseinandersetzen. Sie bei dieser Reise zu begleiten, liest sich äußerst bewegend und emotional. Immer wieder werden auch liebevoll (in Handlettering!) gestaltete Auszüge aus Bris Wandertagebuch dem Roman beigefügt, die dem ganzen einen Lebensweisheiten
enthaltenden, klug untermalenden Ton geben. “Ich wünsche uns, dass wir nie aufhören, Abenteuer zu erleben und Neues zu erfahren, dass wir immer wieder Dinge tun, die uns niemand zutraut, und dass wir mutig, frei und glücklich sind.” (Zitat S.8) Und während Mari lernt ihren ganz eigenen Weg zu gehen, wird bereits klar: diese Reise wird sie für immer verändern. Und auch den Leser stellenweise zum Nachdenken und Träumen anregen. Romantische Liebesgeschichte inklusive!
Fazit: Ein absolut gelungenes Lese-Erlebnis, das ich nur wärmstens empfehlen kann. Ein Buch, das Lust macht die Wanderschuhe rauszuholen, das Handy in die Ecke zu pfeffern und loszumarschieren;-)
Als sehr gute Alternative zu “Offline ist es nass, wenn’s regnet” könnte ich mir “This song will save your life” von Leila Sales vorstellen. Hier versucht ein Mädchen (wenn auch auf andere Art und Weise) ebenfalls bei anderen gut anzukommen und merkt, dass sie mit diesem Weg in eine Sackgasse geraten ist. Sie geht dann zwar nicht wandern, taucht aber dennoch in eine völlig neue andere Welt ein, die alles für sie verändert. Selbstfindung und Liebesgeschichte mit dabei! Hinsichtlich dem Leben in der Onlinewelt und der ständigen Suche nach Bestätigung ist auch “Instagirl” von Annette Mierswa bestens geeignet. Sehr gut gefallen hat mir ebenso “The distance from me to you” von Marina Gessner, in welchem ein Mädchen, das genauso alt ist wie Mari, ganz allein eine Wanderung auf dem Appalachian Trail startet, der um einiges länger ist, als der John Muir Trail — nämlich ca. 3500km lang! Noch mehr Bücher von Jessi Kirby gefällig? Dann lies (chronologisch nach Erscheinungsdatum sortiert): “Mondglas”, “Der Soundtrack meines Lebens”, “Dein eines, wildes, kostbares Leben” (so toll!) und “Mein Herz wird dich finden” (zum Dahinschmelzen!).
Bibliografische Angaben:Verlag: Loewe ISBN: 978-3-7432-0377-8 Erscheinungsdatum: 14.Januar 2019 Einbandart: Broschur Preis: 14,95€ Seitenzahl: 336 Übersetzer: Anne Brauner Originaltitel: "The other side of lost" Originalverlag: Harper Teen Amerikanisches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
Dieser Titel hat es in folgende Kategorie geschafft: **Kasimiras Lieblingsbücher**
------------------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Jessi Kirby