Jenny Downham — Ich war der Lärm, ich war die Kälte

Kasimira14.August 2022

Ich war der Lärm, ich war die Käl­te” ist ein Roman der bri­ti­schen Schrift­stel­le­rin Jen­ny Down­ham. Die viel­fach aus­ge­zeich­ne­te Autorin beschäf­tigt sich in ihren Büchern wahr­lich mit kei­nen leich­ten The­men, doch sie ist eine begna­de­te Erzäh­le­rin! In die­sem Werk stellt sie ein jun­ges Mäd­chen in den Mit­tel­punkt, das mit Aggres­sio­nen zu kämp­fen hat, sich aber eigent­lich nur danach sehnt, geliebt zu wer­den. Ein höchst ein­drucks­vol­les Buch, inten­siv, bewe­gend und bril­lant geschrie­ben. Eine Fami­li­en­ge­schich­te, abseits des Main­streams, die man sich defi­ni­tiv nicht ent­ge­hen las­sen soll­te. Eines der bes­ten Bücher, das ich in den letz­ten Jah­ren gele­sen habe! Nun neu als Taschen­buch erschie­nen. Für Jugend­li­che ab 13 Jah­ren und Erwach­se­ne, die man wie­der etwas rich­tig, rich­tig Gutes lesen wollen!

Die 15-jäh­ri­ge Alex­an­dra, genannt Lexi, wird manch­mal wütend. Rich­tig aggres­siv. Dann schreit sie und gibt Din­ge von sich, die ihr hin­ter­her wie­der leid­tun. Dann macht sie Gegen­stän­de kaputt und stößt alle von sich. Seit sie­ben Jah­ren gehö­ren auch John mit sei­nem Sohn Kass, der drei Jah­re älter ist als sie und auf den Lexi heim­lich steht, zu ihrer Fami­lie. Iris ist das gemein­sa­me Kind der bei­den. Genau­so wun­der­schön wie ihre Mut­ter. In grö­ße­rer Gesell­schaft hat Lexi Pro­ble­me. Fühlt sich fehl am Platz, weiß nicht, was sie sagen soll, ohne anzu­ecken oder etwas falsch zu machen. Bei der Ver­lo­bungs­fei­er ihrer Eltern, die im Gar­ten statt­fin­det, soll sie des­halbKasimiraein paar Häpp­chen her­um­rei­chen, um bes­ser Kon­tak­te schlie­ßen zu kön­nen. Etwas, das sie nicht wirk­lich ger­ne macht: “…wenn sie mich dann komisch ansa­hen, wür­de mich das so wütend machen, dass ich das Tablett auf den Rasen schmei­ßen und davon­stap­fen wür­de. Johns gelack­te und geschnie­gel­te Arbeits­kol­le­gen wür­den her­aus­fin­den, was er schon wuss­te — dass ich eine fürch­ter­lich jäh­zor­ni­ge Idio­tin war. Irgend­wer wür­de ihn garan­tiert fra­gen: “Hat die­ses Mäd­chen irgend­was mit dir zu tun?” Und dann wür­de er die­ses furcht­bar ent­täusch­te Gesicht zie­hen und sagen: “Alex­an­dra wird mei­ne Stief­toch­ter.” (Zitat aus “Ich bin S.12) Dabei möch­te Lexi doch nur eines: unbe­dingt dazu­ge­hö­ren. Teil die­ser Fami­lie sein. Geliebt wer­den. Doch dann ras­tet sie tat­säch­lich wie­der aus, als ein auf­dring­li­cher, älte­rer Herr — der Seni­or­part­ner von John, zu dem sie eigent­lich beson­ders nett sein soll­te — ihr beim Tan­zen zu nahe kommt und sie sich wehrt. Nie­mand glaub­te ihr und als der Mann einen KasimiraAsth­ma­an­fall erlei­det, ist sowie­so nie­mand mehr auf ihrer Sei­te. John schick­te sie ein­fach nur ins Bett. “Fick dich!” Mir war klar, wie sich das anhör­te. Ich wuss­te, was die ande­ren den­ken wür­den. Sah, wie sie ungläu­big die Köp­fe schüt­tel­ten. “Tut mir leid, Leu­te”, erklär­te John ihnen. “Es war ein lan­ger Tag.” Ich for­der­te ihn noch mal auf, sich zu ficken, ehe ich quer über den Rasen und die Trep­pe rauf­stapf­te.” (Zitat S.47) Weil Lexi kei­ne Freun­de hat, gibt es nur zwei Men­schen, mit denen sie ihre Sor­gen tei­len kann. Mit ihrem Stief­bru­der Kass, von dem sie immer wie­der betont, dass er nicht ihr Bru­der sei (und mit dem sie sich sehn­süch­tig eine Bezie­hung wünscht) und des­sen Freun­din Cerys, die beliebt ist und von der sie sich manch­mal einen Rat holt. Sie lei­det dar­un­ter, dass Kass schon seit eini­ger Zeit wegen sei­nem Stu­di­um nicht mehr bei ihnen wohnt. Ruft ihn immer wie­der an und erzählt ihm von ihren Nöten: “Wo Iris und mei­ne Mum bei­de so hübsch sind und du Archi­tek­tur stu­dierst, und jetzt nKasimiraoch die Mär­chen­hoch­zeit. Was ist an mir schon traum­haft? Dein Dad kann nicht zu Hau­se arbei­ten, wenn ich da bin, weißt du das schon? Ich zeh­re an sei­ner krea­ti­ven Ener­gie.” “Der zieht dich bloß auf.” “Du musst unbe­dingt zurück­kom­men und mich ret­ten.” (Zitat S.50) Aber Kass ist nun mal nicht zu Hau­se. Bei ihr und bei John, mit dem das Zusam­men­le­ben immer schwie­ri­ger wird. “Sag ihnen, dass dir das mit der Par­ty leid­tut, und ver­sprich, nächs­tes Mal, wenn du wütend wirst, bis zehn zu zäh­len und dich wie­der zu beru­hi­gen. Sieh es als Expe­ri­ment, war­um nicht?” Sei net­ter. Mit­füh­len­der. Ent­schul­di­ge dich. Beru­hi­ge dich. Cerys sag­te: “Leg dir zu all­dem ein neu­es Hob­by zu und tu etwas mehr für die Schu­le, und schon haben wir einen völ­lig neu­en Men­schen aus dir gemacht.” (Zitat S.59) Und Lexi tut wirk­lich alles, um ihre gele­gent­li­chen Aus­brü­che wie­der­gut­zu­ma­chen. Bringt John zum Bei­spiel KasimiraKaf­fee und ein paar Kek­se in sein Arbeits­zim­mer. Doch dann nimmt sie in der Schu­le an einem Vor­spre­chen für die Thea­ter-AG für Shake­speares “Der Sturm” teil und ras­tet erneut aus. Schmeißt einen Stuhl gegen eine Glas­schei­be. Das hat unge­ahn­te Folgen…

Düs­ter, kunst­voll arran­giert und genau­so zer­bro­chen wie die Haupt­fi­gur erscheint, wirkt das Cover von “Ich war der Lärm, ich war die Käl­te” (bezieht sich auf die Hard­co­ver­aus­ga­be, sie­he unten). Der unge­wöhn­li­che, aber fas­zi­nie­ren­de Titel hebt sich genau­so ab wie der Roman selbst. Jen­ny Down­ham hat eine Geschich­te geschrie­ben, die anders ist, mit einer Prot­ago­nis­tin, die sprö­de und rau und vol­ler zwie­späl­ti­ger Gefüh­le ist. Genau­so zwie­späl­tig lässt sie den Leser erst ein­mal zurück, der in einem ein­füh­ren­den Pro­log, der wie ein unheil­vol­les Mär­chen beginnt, auf die Per­son stößt, die kei­nem Ste­reo­ty­pe gleicht: “Es war ein­mal ein Kind, das zu einem schlim­men Mäd­chen her­an­wuchs. Sie schmiss und Kasimiraschlug um sich, schimpf­te und fluch­te. Sie war ein töl­pel­haf­tes Tram­pel und hat­te kei­ne Freun­de. […] “Ich wer­de mich ändern”, sag­te das Mäd­chen. “Von nun an beneh­me ich mich, ver­spro­chen.” […] Sie woll­te von ihrer Fami­lie geliebt wer­den. Doch die Wut lau­er­te in ihrem Bauch wie eine tücki­sche Schlan­ge. Und man­che Ver­spre­chen las­sen sich nicht so leicht ein­hal­ten.” (Zitat S.7) Gera­de die­se Ecken und Kan­ten ihrer Haupt­fi­gur her­aus­zu­ar­bei­ten, ist Jen­ny Down­ham außer­or­dent­lich gut gelun­gen. Trotz aller Wid­rig­kei­ten schließt man die Ich-Erzäh­le­rin Lexi in sein Herz, fühlt und fie­bert mit ihr mit. “Ich war der Lärm, ich war die Käl­te” ist mit­un­ter kein ein­fa­ches Buch, es for­dert den Leser. Es lässt ihn auf den Höhen und Tie­fen der Prot­ago­nis­tin wan­deln. Es ist wild und unge­stüm, aber auch vol­ler Hef­tig­keit und Schmerz: “Ich woll­te, dass sie mich zu sich her­an­wink­te. Mich an sich zog und mir sag­te, dass sie mich lieb hat­te. Doch sie blieb ein­fach nur stirn­run­zelnd sit­zen, so als wür­de sie mich über­haupt nicht ken­nen.” (Zitat S.81) Dann aber auch wie­der sanft­mü­tig, trau­rig und klug: “Ich berühr­te eine schwarz­sam­te­ne Blatt­knos­pe mit der aus­ge­streck­ten Hand. Wenn ich ein Blatt wäre, wür­de nie­mand etwas von mir erwar­ten.” (Zitat S.9ff) Jen­ni­fer Down­ham schreibt ein­fach her­vor­ra­gen­de Lite­ra­tur. Ihre Spra­che ist ein­fach, aber äußerst inten­siv. Hier ist jedes Wort am rich­ti­gen Platz. KasimiraMan taucht in die Geschich­te immer tie­fer ein, wie­der förm­lich von ihr ein­ge­so­gen. Ent­blät­tert eine Wahr­heit, die so dra­ma­tisch, ergrei­fend und packend ist. Das Ende lie­fert einen beson­de­ren und uner­war­te­ten Show­down, thea­tra­lisch und ein­fach per­fekt. Dass man “Ich war der Lärm, ich war die Käl­te” jemals wie­der ver­ges­sen wird — unmöglich!

Fazit: Groß­ar­ti­ge Lite­ra­tur. Mit­un­ter eines der bes­ten Bücher, das ich in den letz­ten Jah­ren gele­sen habe!

Dir gefällt Jen­ny Down­hams Art zu erzäh­len? Dann lies noch ihre ande­ren Bücher. Sehr gut gefiel mir “Bevor ich ster­be”, das die Geschich­te eines krebs­kran­ken Mäd­chens erzählt, das sich noch letz­te WüLesealternativennsche erfül­len möch­te, bevor sie stirbt. Danach erschien “Ich gegen dich”, das sich auch sehr berüh­rend liest. Dar­auf­hin ver­öf­fent­lich­te sie im Deut­schen “Die Unge­hö­rig­keit des Glücks”, das spä­ter noch ein­mal unter dem Titel “Obwohl es dir das Herz zer­reißt” neu auf­ge­legt wur­de. Hin­sicht­lich der Wut und der Aggres­si­on muss­te ich sofort an den eben­falls bri­ti­schen Autoren Mel­vin Bur­gess und sein Buch “Kill all enemies” den­ken, das eine sehr gute inhalt­li­che Alter­na­ti­ve ist oder auch an die Prot­ago­nis­tin in “Sali­gia: Das Spiel der Tod­sün­den” von Swant­je Opper­mannDu magst Fami­li­en­ge­schich­ten, bei denen man erst lang­sam unter die Ober­flä­che blickt? Dann lies unbe­dingt das her­aus­ra­gen­de “Jetzt, ist alles, was wir haben” von Amy Giles oder auch “Jeden Tag ein biss­chen mehr” von Loui­sa Reid. Men­schen, die zunächst kei­ne Chan­ce bekom­men, fin­dest du zudem in “Immer die­se Herz­schei­ße” von Nana Rade­ma­cher, in “Befreiuugs­schlag” von Ste­fan Gem­mel & Uwe Zis­se­ner und in “Voll ver­kackt ist halb gewon­nen” von Tom Limes. Gut könn­te ich mir auch “Wie ein Fisch im Baum” von Lyn­da Mulla­ly Hunt vorstellen.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: cbj
ISBN: 978-3-570-31497-5
Erscheinungsdatum: 10.August 2022
Einbandart: Taschenbuch
Preis: 10,00€
Seitenzahl: 432
Übersetzer: Astrid Arz
Originaltitel: "Furios Thing"
Originalverlag: David Fickling Books

Britisches Originalcover: 
Kasimira










Deutsches Hardcover:
Kasimira











Die Autorin stellt ihr Buch vor (auf Englisch):
 

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Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

Die­ser Titel hat es in fol­gen­de Kate­go­rie geschafft: **Kasi­mi­ras Lieb­lings­bü­cher**

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