“Wiedersehen mit Lucky” ist der neueste Roman der in Deutschland zwar geborenen, aber in Amerika lebenden Autorin Jenn Bennett. Eine Liebesgeschichte, die zwei alte, ehemals beste Freunde nach einigen Jahren wieder aufeinandertreffen lässt. Als Kinder waren Josie und Lucky unzertrennlich, doch dazwischen ist viel passiert. Jetzt sind sich völlig fremd und sind erwachsen geworden. Kann das was werden zwischen den beiden? Aber auf Josies Familie landet scheinbar ein Liebesfluch… Eine herzerwärmende, wunderschöne Wohlfühl-Lektüre! Mit facettenreichen Charakteren, schönen Dialogen und jeder Menge Tiefgang. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 17-jährige Josie hat ein turbulentes Leben hinter sich. “Ihr müsst wissen, meine Mutter und ich ziehen oft um. Und mit oft meine ich sieben Umzüge in den letzten fünf Jahren.. die Ostküste hoch und runter, sieben verschiedene Städte. Wir sind Profis. Und hauen schneller aus einer Stadt ab als ein Mafioso, dem jemand gesteckt hat, dass gleich die Cops vor seiner Tür stehen.” (Zitat aus “Wiedersehen mit Lucky” S.8) Josies Mutter ist nie da, wenn sie sie braucht, hat ständig wechselnde Männerbekanntschaften, mit denen sie sich vergnügt. Ihre Arbeit als Buchhändlerin wechselt sie auch immer wieder gerne, ihrem letzten Chef schrieb sie, er solle sich seinen Job in den Arsch schieben. Doch jetzt ziehen die beiden für ungefähr ein Jahr nach Beauty, Rhode Island, zurück. Hier ist Josie geboren worden und hat hier gelebt, bis sie 12 Jahre alt war. Aufgrund von Familienstreitigkeiten mit Josies Großmutter sind sie damals abgehauen. Aber diese ist nun nach Nepal vorübergehend ausgewandert und Josie und ihre Mutter dürfen sich um die Traditionsbuchhandlung, die schon seit Jahren in Familienbesitz ist, kümmern und kostenlos in Großmutters Appartement wohnen. Sie wollen Geld sparen, um irgendwann einmal in Florida wohnen zu können. In Beauty trifft Josie unweigerlich auch auf Lucky, ihren ehemals besten Freund. “Er ist ganz schön groß geworden. Und ganz schön attraktiv. Seit wann hat er so breite Schultern? Er sieht einschüchternd aus… und irgendwie wütend. […] Er war ziemlich sauer auf mich, als ich die Stadt verlassen habe.” (Zitat S.20) Es gab damals einen Brand, bei dem er schwer verletzt wurde. Ungefähr zu dem gleichen Zeitpunkt, als Josies Mutter mit ihrer Mutter in Streit
geriet. “Eine Woche nach dem Feuer hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, im Krankenhaus. Er hatte überall Verbände und wartete darauf, operiert zu werden. […] “Er hatte mehrere Hauttransplantationen”, erklärte Evie. “Keine Ahung… Vermutlich hat ihn das verändert, danach hat er sich irgendwie zurückgezogen. Seitdem hat er immer mal wieder Ärger” (Zitat S.22) Josie, die selbst mit der Gerüchteküche des Ortes zu kämpfen hat, in der Schule gemobbt wird, hört auch über Lucky einiges: Er soll im Jugendknast gesessen, nach einer Überdosis den Magen ausgepumpt bekommen und angeblich ein Mädchen geschwängert haben. Doch Lucky spricht nicht groß mit ihr. Er starrt sie an, aber er ignoriert sie. Dass sie einmal beste Freunde waren, davon merkt man rein gar nichts mehr. Aber Josie hat sowieso nicht vor allzu lange zu bleiben. Sie will ihren Highschool-Abschluss machen, ein paar fotografische Erfolge vorweisen und dann abhauen nach Kalifornien, wo ihr Vater lebt, ein berühmter
Modefotograf, bei dem sie eine Ausbildung machen will. Sie sehnt sich nach einem normalen Familienleben: “Menschen, die zusammen zu Abend essen und über ihre Probleme reden. Menschen, die normale Familiensachen miteinander tun — im Garten grillen und in den Zoo gehen. Eltern, die ihren Kindern Schwimmen und Radfahren beibringen. All das will ich.” (Zitat S.25) Ihre Mutter weiß nichts von ihren Plänen. Nur Lucky scheint allmählich dahinter zu kommen, was sie vorhat. Als sie sich auf einer Party unerwartet näher kommen und Josie versehentlich eine Schaufensterscheibe mit einem Stein einschlägt, nimmt er die Schuld auf sich und behauptet bei der Polizei, er hätte das getan. Jetzt muss er den ganzen Schaden bezahlen und ein halbes Jahr dafür schuften. Warum hat er das getan? Das will Josie unbedingt herausfinden…
Das Cover macht neugierig, ist in ähnlich warmen Farmen gezeichnet wie der unabhängig voneinander zu lesende Vorgängertitel “Unter dem Zelt der Sterne”. Der Roman ist durchgängig in der Ich-Perspektive aus Josies Sicht geschrieben. Diese wendet sich — nur sehr vereinzelt — aber auch mal direkt an den Leser: “Und wisst ihr was? Ich würde es jederzeit wieder tun.” (Zitat S.209) In die Geschichte kommt man sehr schnell herein, auch wenn anfangs sehr viel “Nebensächliches” über die Stadt, die historische Entwicklung mit eingeflochten wird. Jenn Bennett schreibt sehr ausführliche, detailverliebte und intensive Geschichten. Aber schafft auch erfrischende, authentische Charaktere, die definitiv anders sind. Wie zum Beispiel Josie: “Weißt du, was lustig ist? Bei meiner Mutter und mir bin ich die Erwachsene”, erkläre ich ihm. “Die Verantwortungsvolle, die allein zu Hause hockt und Hausaufgaben macht und ihre Mutter daran erinnern muss, die Stromrechnung zu bezahlen, damit ich nicht im Dunk
eln sitze oder für WLAN zu Starbucks laufen muss.” (Zitat S.66) Ein Mädchen, das viel zu früh selbst erwachsen werden musste und sehr unter dem Lebensstil der Mutter leidet. Die durchgetaktete Punkte-Pläne und Verlässlichkeit liebt, aber gerade dann doch ins Chaos stolpert. Ein Praktikum, für das sie sich bewirbt und eine Absage erteilt bekommt und eine Kleinstadt, in der sie nicht auffallen will und sogar eine familiären Zwei-Fronten-Krieg auslöst. Josie hat gewissermaßen das Talent ins Fettnäpfchen zu treten. Dennoch hat mir ihre teils flapsig-leichte, aufgeregte Art — vor allem ihren unerwarteten Gefühlen Lucky gegenüber, vor dem sie keines ihrer Gefühle verbergen kann — sehr gut gefallen. Die Dialoge — wenn auch nur sehr selten mal etwas hölzern — sind höchst unterhaltsam und machen viel Spaß. Faszinierend fand ich auch die Tatsache, dass sie es liebt Schilder zu fotografieren: “Manche Leute bevorzugen La
ndschaften oder Menschen oder Tiere, ich nicht. Ich mag Reklametafeln, Plakatwände mit bissigen Slogans, penetrante Neonschriftzüge an Restaurants, von Kugeln durchsiebte Straßenschilder. Sie erzähle alle eine Geschichte und das mit wenigen Worten.” (Zitat S.9) Jedes der Kapitel wird mit einer Bildunterschrift eines nicht vorhandenen Bildes (schade!) eingeleitet, in dem das Schild, das sie fotografiert hat, beschrieben wird. Hinter Luckys Fassade hingegen kann man erst allmählich blicken. Ihn umgibt zunächst noch das typische Bad-Boy-Image wie in so vielen Jugendbüchern. Doch Jenn Bennett zeichnet ihre Charaktere grundsätzlich tiefschichtiger und so darf man auch gespannt sein, was sich hinter Lucky noch alles verbirgt. Bis die Liebesgeschichte der beiden beginnt, da muss man sich zunächst noch ein wenig gedulden, aber emotionale Begegnungen zu beschreiben, das kann die Autorin definitiv. Man fiebert förmlich von einem Zusammentreffen zum nächsten;-) Und ob ta
tsächlich ein Liebesfluch auf Josies Familie lastet? “In meiner Familie wird hartnäckig an dem Glauben festgehalten, auf den Saint-Martin-Frauen laste ein Fluch in Liebesangelegenheiten. Sie hätten Pech in der Liebe und seien dazu verdammt, elend und einsam zu enden.” (Zitat S.7) Das darf man am Ende dann herausfinden! Gut gefallen haben mir auch die Botschaften des Romans: Dass man manchmal seinen Schutzwall besser fallen lässt und dass eine ehrliche und offene Kommunikation (vor allem in der Familie) wichtig ist.
Dir gefällt “Wiedersehen mit Lucky”? Dann greif noch zu den anderen drei Romane von Jenn Bennett, die bisher im Deutschen erschienen sind und komplett eigenständige Geschichten sind: “Annähernd Alex” und “Die Anatomie der Nacht” und “Unter dem Zelt der Sterne”. Letzterer hat mir sehr gut gefallen. Eine Liebesgeschichte, die eine hervorragende Alternative zu “Wiedersehen mit Lucky” ist, ist “Das tiefe Blau der Worte” von Cath Crowley, hier spielt ebenfalls eine Buchhandlung eine zentrale Rolle (auch wenn es diesmal seine Familie ist, die diese führt) und auch sie kehrt nach Jahren wieder in ihren Heimatort zurück und trifft auf ihren alten Freund. Ähnlich verhält es sich in “Nichts ist gut. Ohne dich.” von Lea Coplin. Sehr gelungen sind auch “Der Sommer, als du wiederkamst” von Emily Martin und “Lass mich nicht los” von Sarah Alderson. Oder lies “Long-lost friend” von Sarah Zarr (schon etwas älter),“Emmy &Oliver” von Robin Benway (sensibel und unterhaltsam erzählt), “Das Glück hat vier Farben” von Lisa Moore und “My life in circles” von Brandy Colbert. Eine Mutter, die ihre Tochter vernachlässigt, das findest du zudem in “Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” von Estelle Laure und in “Eine Handvoll Lila” von Ashley Herring Blake.
Bibliografische Angaben:Verlag: Carlsen ISBN: 978-3-551-58437-3 Erscheinungsdatum: 18.März 2021 Einbandart: Broschur Preis: 15,00€ Seitenzahl: 384 Übersetzer: Claudia Max Originaltitel: "Chasing Lucky" Originalverlag: Simon & Schuster Amerikanisches Originalcover:
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(4,5 von 5 möglichen Punkten)
-------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Jenn Bennett