Jana Fuhrmann — Dann kannst du nicht mehr wegsehen

26.Mai 2025

Dann kannst du nicht mehr weg­se­hen” ist der Debüt­ro­man der deut­schen Autorin Jana Fuhr­mann, die ein jun­ges Mäd­chen in den Mit­tel­punkt ihrer Geschich­te stellt, die anfängt sich aktiv für den Tier­schutz ein­zu­set­zen. Eigent­lich ist Jel­la eine Außen­sei­te­rin, ist ger­ne für sich allein, doch als sie die cha­ris­ma­ti­sche Linn ken­nen­lernt, schließt sie sich deren Grup­pe an. Doch bald rei­chen Jel­la die “harm­lo­sen” Aktio­nen wie Fly­er ver­tei­len oder Leu­te aktiv anzu­spre­chen nicht mehr aus. Sie will wirk­lich etwas bewir­ken. Als sie sich Mat­tis und sei­ner Grup­pe anschließt und sich nachts mit vie­len ande­ren in einem Schlacht­hof anket­tet, gerät die Situa­ti­on außer Kon­trol­le. Jel­la erlei­det eine Panik­at­ta­cke. Plötz­lich geht gar nichts mehr und sie muss in eine Kli­nik… Ein sehr fas­zi­nie­ren­der und authen­tisch erzähl­ter Roman, der auf Tier­schutz, Vega­nis­mus und Akti­vis­mus auf­merk­sam macht, aber auch Men­tal Health damit geschickt kom­bi­niert. Die Autorin, die selbst als Pres­se­re­fe­ren­tin in einer Tier­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on arbei­tet, weiß zudem, von was sie schreibt. Berüh­rend. Bewe­gend. Mit­rei­ßend. Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren und inter­es­sier­te Erwachsene.

Die 16-jäh­ri­ge Jel­la lebt sehr zurück­ge­zo­gen. Eine bes­te Freun­din hat­te sie zuletzt in der Grund­schu­le. “Die Welt ist kaputt, die Kli­ma­ka­ta­stro­phe nicht mehr auf­zu­hal­ten und nar­ziss­ti­sche, mora­lisch ver­kom­me­ne alte wei­ße Män­ner haben die Macht, alles in die Luft zu spren­gen. Die einen haben nicht mal genug zu essen, die ande­ren schei­ßen drauf und schie­ßen Rake­ten in Penis­form ins Welt­all, und alles ist wahn­sin­nig kom­pli­ziert und eh nicht zu ändern.” (Zitat aus “Dann kannst du nicht mehr weg­se­hen” S.15) Ihr Zim­mer ist ihr liebs­ter Ort. Ihr Rück­zugs­ort. “Alles, was ich brau­che, sind mein Bett, mein Lap­top und eine Tür, die ich zuma­chen kann.” (Zitat S.17) Zusam­men lebt sie mit ihrer dau­er­ge­stress­ten und oft erschöpf­ten Mut­ter in einer Woh­nung. Wirk­lich viel Geld haben sie nicht. Doch Jel­la braucht ohne­hin nicht viel. Bin­ge­wat­chen ist ihr liebs­tes Hob­by. Oft macht sie Film­aben­de mit ihrer Mut­ter und schaut allei­ne regel­mä­ßig Trash TV, um abzu­schal­ten. Aber dann begeg­net sie eines Tages in der Stadt der selbst­be­wuss­ten Linn. “Und trotz­dem strahlt sie etwas aus, wovon ich Wel­ten ent­fernt bin. Eine abso­lu­te Sicher­heit und Ent­schlos­sen­heit. Unbe­ein­druckt von den Reak­tio­nen der Vor­bei­ge­hen­den steht sie da, mit gera­dem Rücken und einem ver­we­ge­nen Zug um den Mund.” (Zitat S.19) Die­se orga­nis­ert sich sehr enga­giert als Tier­schüt­ze­rin. Und obwohl Jel­la zunächst äußerst skep­tisch ist, schließt sie sich ihrer Grup­pe schließ­lich an. Genießt die Freund­schaft zu Linn und hilft regel­mä­ßig bei ihren Aktio­nen mit. Sie besu­chen Demos und spre­chen aktiv Leu­te in Zügen an. “Wir gehen durch den Gang und stre­cken den Leu­ten die Bild­schir­me ent­ge­gen. Kühe, deren gro­tesk gro­ße, von dicken Adern über­zo­ge­nen Euter aus­se­hen, als wür­den sie gleich plat­zen. Schwei­ne, die mit dem Kopf nach unten an Haken hän­gen, wäh­rend aus ihren auf­ge­schnit­te­nen Keh­len das Blut spru­delt und über ihre Gesich­ter läuft. Aus­ge­mer­gel­te Hüh­ne mit trü­bem Blick und kah­len Stel­len über­all am Kör­per.” (Zitat S.47) Jel­la, die selbst Vege­ta­rie­rin ist und nun zur Vega­ne­rin wird, infor­miert sich immer mehr über den Tier­schutz. Will noch mehr bewe­gen auf die­ser Welt. Bald rei­chen ihr die Aktio­nen mit Linn und ihren Freun­den nicht mehr. Sie will noch mehr tun. Da stößt sie auf Mat­tis, der regel­mä­ßig nächt­li­che Aktio­nen plant, in Stäl­le ein­bricht, um Misstän­de zu doku­men­tie­ren. Bei ihrer ers­ten Akti­on ret­tet sie spon­tan ein klei­nes Fer­kel, das ohne ihre Hil­fe gestor­ben wäre. Doch dann geht es ihr zuneh­mend schlech­ter. Oft wache ich zwi­schen drei und vier Uhr mor­gens auf und scrol­le auf mei­nem Han­dy durch Vide­os aus Stäl­len und Schlacht­hö­fen, bis ich auf­ste­hen muss. Ängs­te schlei­chen sich bei mir ein. Am Ende einer Schul­stun­de trau­re ich mich kaum auf­zu­ste­hen, weil ich auf ein­mal befürch­te, dass mei­ne Bei­ne ein­fach unter mir weg­bre­chen könn­ten. Ich ver­su­che, den Gedan­ken weg­zu­schie­ben, aber er taucht in nächs­ter Zeit häu­fi­ger auf.” (Zitat S.118) Als sie mit­ten in einer nächt­li­chen Akti­on, bei der sie sich in einem Schlacht­hof mit ande­ren zusam­men anket­ten, eine Panik­at­ta­cke bekommt, gerät alles außer Kon­trol­le. Jel­la kann ein­fach nicht mehr. Kurz dar­auf wird sie in eine Kli­nik gebracht…

Das Cover ist rich­tig schön, auf­fäl­lig und pas­send gestal­tet. Der Titel höchst tref­fend gewählt. Der Roman, der durch­ge­hend aus Jel­las Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve erzählt wird, star­tet mit einem Pro­log, der bereits andeu­tet, was mit der Prot­ago­nis­tin im Lau­fe des Buches pas­sie­ren wird: “Ich bewe­ge mei­ne krib­beln­den Arme und Bei­ne. Sie funk­tio­nie­ren, aber füh­len sich fremd an. Ich ken­ne das mitt­ler­wei­le, also ganz ruhig. Ich weiß, dass ich nicht ver­rückt bin. Ich weiß, dass der Lärm, dass die Schreie in mei­nem Kopf sind, und nicht von außen kom­men.” (Zitat S.7ff) Sie ist in einer Kli­nik. Hat immer wie­der Panik. Und wird von einer The­ra­peu­tin beglei­tet. “Denk immer dar­an, was dich moti­viert. Über­leg dir, wo du hin­willst”, hat­te Frau Kita­li gesagt. Ich will nir­gend­wo mehr hin. Ich habe die Höl­le gese­hen. Die Welt ist dun­kel und ich bin schwach. Nutz­los. Ein Nichts.” (Zitat S.9) Dann setzt der Haupt­teil, der 6 Mona­te vor­her spielt. Die Autorin ver­wen­det eine sehr kla­re, flüs­si­ge Spra­che. Wäh­rend in der ers­ten Hälf­te des Buches sich sehr stark auf das The­ma Tier­schutz fokus­siert wird (hier wird es zuwei­len schon etwas hef­ti­ger und es wird nichts aus­ge­spart), beschäf­tigt sich die zwei­te Hälf­te von “Dann kannst du nicht mehr weg­se­hen” (der Titel ist pas­send dop­pel­deu­tig!) mit men­ta­ler Gesund­heit, vor allem mit Panik­at­ta­cken, es geht aber auch in Rich­tung Depression/Burnout. Die Wand­lung der Prot­ago­nis­tin fand ich all­ge­mein sehr über­zeu­gend dar­ge­stellt. Anfangs ver­sucht sie alles Unbe­que­me zu ver­drän­gen, sich nicht mit poli­ti­schem Welt­ge­sche­hen, Kli­ma­wan­del etc. aus­ein­an­der­zu­set­zen. “Es gibt Augen­bli­cke, in denen mir das nicht gelingt. Augen­bli­cke, in denen mir aus dem Nichts mit einem Schlag bewusst wird, dass ich tat­säch­lich da bin und dass jetzt jetzt ist. Es ist ein grau­en­vol­les Gefühl, viel zu viel, viel zu grell, viel zu nah. Meist scrol­le ich dann so lan­ge durch Insta­gram, bis ich wie­der den Zustand von ange­neh­mer Selbst­ver­ges­sen­heit erreicht habe.” (Zitat S.16) Doch als Jel­la Linn ken­nen­lerntKasimira, ändert sich alles. Sie ver­än­dert sich. “Es ist, als wäre ich aus einem viel zu lan­gen Schlaf end­lich auf­ge­wacht. Plötz­lich sehe ich völ­lig klar. Mein altes Ich, das zwar alles am Ran­de mit­be­kom­men hat, aber sich mit unbe­que­men Wahr­hei­ten nicht beschäf­ti­gen woll­te, kann ich nicht mehr ver­ste­hen. Ich unter­zie­he alles, was ich besit­ze einer gründ­li­chen Prü­fung und schmei­ße weg, was nicht vegan ist.” (Zitat S.50) Jel­la wird in ihren Ansich­ten bald jedoch immer extre­mer und ent­fernt sich von Linn und ihrer Cli­que. Eckt auch mit ihrer Mut­ter zuneh­mend an. “Was soll sie machen? Mich ein­sper­ren? Kann sie nicht. Mich zu Hau­se raus­schmei­ßen? Wäre viel­leicht sogar gut, dann könn­te ich machen, was ich will.” (Zitat S.111) Dann kommt der Absturz. Ihre Zeit in der Kli­nik, aber auch das, was danach kommt, wird sehr ein­fühl­sam beschrie­ben. Für ein Jugend­buch wird lei­der etwas zu oft das Rau­chen erwähnt. Das Ende ist äußerst pas­send. Vor allem die Zeit auf dem Lebens­hof und die Begeg­nun­gen dort berüh­ren. Die Bot­schaft kommt an — dass man nicht über sei­ne Gren­zen gehen darf. Dass man trotz­dem etwas bewir­ken kann in der Welt, jeder auf sei­nem Level.

Erzäh­le­risch wird das The­ma Umweltschutz/Tierschutz nicht all­zu oft im Jugend­buch auf­ge­grif­fen, etwas älter schon sind zum Bei­spiel “2084 — Noras Welt” von Jos­tein Gaar­der (2015), “Mei­ne Öko­kri­se und ich” von Ilo­na Ein­wohlt (2014) und “Euer schö­nes Leben kotzt mich an” von Saci Lloyd (2013). Eini­ge Umwelt­ro­ma­ne hat auch Carl Hiaa­sen geschrie­ben, zum Bei­spiel “Fet­te Fische” oder “Eulen”. Oder KatjLesealternativena Bran­dis in “Floa­ters”Oder lies das gelun­ge­ne “Welt­ver­bes­sern für Anfän­ger” von Ste­pha Quit­te­rer oder “Die drei !!! — Vol­ler Ein­satz für die Erde” von Kirs­ten Vogel. Etwas neu­er sind noch “Sturm” von Chris­toph Scheu­ring oder “Cat­ching Fee­lings: Das Herz fin­det immer einen Weg” von Kie­ra Licht. Sehr emp­feh­len kann ich auch “Es war die Nach­ti­gall” von Kat­rin Bon­gard, hier ver­liebt sich einen Tier­schüt­ze­rin in einen Jäger oder “Long Road” von Kevin Brooks (hier wird ein Affe geret­tet). Zur The­ma­tik Depression/Angststörung/Burnout gibt es eini­ge sehr lesens­wer­te Roma­ne im Jugend­buch: “Alles. Nichts. Und ganz viel dazwi­schen.” von Ava Reed, “Graue Wol­ken im Kopf” von Julia­ne Breinl, “Nur ein biss­chen Angst” von Alex­an­der Kiel­land Krag und “Sowas wie Som­mer, sowas wie Glück” von Lise Vil­lad­sen. Sehr gut fand ich außer­dem “Mein Som­mer auf dem Mond” von Adria­na Popes­cu, in wel­chem sich ein paar Jugend­li­che in einer psych­ia­tri­schen Ein­rich­tung ihren Pro­ble­men stel­len müs­sen (u.a. auch ein Mäd­chen mit einer Angststörung).

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Thienemann 
ISBN: 978-3-522-20311-1
Erscheinungsdatum: 24.April 2025
Einbandart: Broschur
Preis: 15,00€
Seitenzahl: 304
Illustrator:in: Formlabor

Kasimira auf Instagram:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kasimiras Bewertung:

110_F_27090275_P62H5g5rleoKRt9aFRaJyhqsJOmrgqsw 110_F_27090275_P62H5g5rleoKRt9aFRaJyhqsJOmrgqsw110_F_27090275_P62H5g5rleoKRt9aFRaJyhqsJOmrgqsw110_F_27090275_P62H5g5rleoKRt9aFRaJyhqsJOmrgqsw110_F_27090275_P62H5g5rleoKRt9aFRaJyhqsJOmrgqsw

(4,5 von 5 mög­li­chen Punkten)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner