Hayley Krischer — Something happened to Ally

9.Mai 2025

Some­thing hap­pen­ed to Ally” ist ein Roman der ame­ri­ka­ni­schen Autorin und Jour­na­lis­tin Hay­ley Kri­scher. Sie stellt zwei Mäd­chen in den Vor­der­grund: Ally, die sich am Ziel ihrer Träu­me sieht, als sie ihrem gehei­men Schwarm Sean auf einer Par­ty end­lich näher­kommt und völ­lig durch den Wind ist, als die­ser ihr “Nein” nicht akzep­tiert und sie schließ­lich ver­ge­wal­tigt. Und Bly­the, die die bes­te Freun­din von Sean ist und von die­sem den Auf­trag bekommt, sich hin­ter­her um Ally zu küm­mern. Bly­the, die immer zu Sean hält und sich nicht vor­stel­len kann, dass er Ally wirk­lich etwas ange­tan hat. Doch die bei­den Mäd­chen freun­den sich tat­säch­lich an und bald kom­men Bly­the ers­te Zwei­fel und Ally, die alles mög­lichst ver­ges­sen will, weiß nicht mehr, ob dies wirk­lich rich­tig ist… Ein aus zwei Per­spek­ti­ven erzähl­ter Roman, der eine Tat aus unter­schied­li­chen Blick­win­keln beleuch­tet. Eine Geschich­te über sexu­el­le Gewalt, fal­sche Loya­li­tät, Freund­schaft und dem Mut, sich nicht unter­drü­cken zu las­sen, aber vor allem auch über Wut, die sich lang­sam ihren Bann bricht. Ein wich­ti­ger Bei­trag zu #metoo. Inten­siv. Mit­rei­ßend. Hef­tig. Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren, die sich mit erns­ten The­men aus­ein­an­der­set­zen wol­len und für Erwachsene.

New Jer­sey. Ally ist heim­lich ver­liebt in Sean. Er ist der Kapi­tän des Fuß­ball­teams und ein abso­lu­ter Woma­ni­zer. Eigent­lich eine ganz ande­re Liga. Und so träumt sie seit Jah­ren schon vor sich hin, kauft sich regel­mä­ßig die Schü­ler­zei­tung, um sei­ne Fotos aus­zu­schnei­den und als Col­la­ge in klei­ne Bücher zu kle­ben. “Ich tau­che ihn in einen rosa Schim­mer. Ich ver­zie­re ihn mit Regen­bo­gen und Her­zen.” (Zitat aus “Some­thing hap­pen­ed to Ally” S.15) Doch eines Tages lädt Sean ihren bes­ten Freund Raj zu einer Par­ty ein und sagt direkt zu ihr, dass sie doch auch kom­men sol­le. Auf der Par­ty sucht Sean Kon­takt zu Ally, sie trin­ken etwas zusam­men und kom­men sich lang­sam näher. “Mein Traum wird end­lich wahr, aber ich füh­le mich total über­for­dert, alles geht viel zu schnell, wie in einer die­ser komi­schen Auto­wer­bun­gen, in der die Lich­ter über eine dunk­le Wüs­ten­stra­ße rasen.” (Zitat S.23) Sie gehen hoch in ein Schlaf­zim­mer. Kom­men sich noch näher. Doch dann will Ally, dass Sean auf­hört und er tut dies nicht. Er ver­ge­wal­tigt sie, über­hört ihr deut­li­ches “Nein”. Als Ally schließ­lich völ­lig kon­fus aus dem Schlaf­zim­mer stürmt, wird sie von Bly­the beob­ach­tet, der bes­ten Freun­din von Sean, die mit ihm eine lan­ge und sehr inten­si­ve Bin­dung hat, obwohl sie mit Seans bes­tem Freund Dev zusam­men ist. Sean bit­tet sie kurz dar­auf um Hil­fe. Wir sind schon so lan­ge befreun­det, B. Du weißt, dass ich nie jeman­dem weh­tun wür­de. Aber ich habe ihr weh­ge­tan. Und viel­leicht… Ich weiß nicht. Viel­leicht war ich zu hef­tig. Du weißt, dass ich nie jeman­dem etwas antun wür­de.” Sean weint jetzt. Er ist ein Wir­bel­sturm aus Emo­tio­nen. Er zit­tert. Er mur­melt irgend­was von der Schu­le vor sich hin und dass er raus­ge­schmis­sen und dann nie­mals von einem Col­lege ange­nom­men wird.” (Zitat S.35) Bly­the, die nicht wirk­lich glaubt, dass Sean dem Mäd­chen etwas ange­tan hat, ver­spricht sich um Ally zu küm­mern und freun­det sich mit ihr an, um sie zu beein­flus­sen. Aber dann ent­deckt sie, dass sie eini­ge Din­ge gemein­sam haben und zwi­schen den bei­den beginnt eine ech­te Freund­schaft zu ent­ste­hen. Doch die Gescheh­nis­se jener Nacht, die Ally mög­lichst ver­ges­sen möch­te, schei­nen noch immer zwi­schen ihnen zu ste­hen. “Mor­gen früh wer­de ich mich bemü­hen, mir nichts anmer­ken zu las­sen und nicht komisch zu lau­fen oder so. Denn ich habe vor, das alles nach heu­te Nacht zu ver­ges­sen.” (Zitat S.41) Und dann kom­men Bly­the all­mäh­lich Zwei­fel und sie fragt sich, ob ihr loya­les Ver­hal­ten Sean gegen­über rich­tig ist. “Ich kann sein Gesicht vor mir sehen. Sei­nen Blick an die­sem Abend. Ich wür­de doch nie jeman­dem weh­tun. Wür­de er nicht, oder? Nicht absicht­lich. Oder?” (Zitat S.130) Als Ally schließ­lich nicht mehr län­ger schwei­gen kann, gera­ten die Ereig­nis­se schnell außer Kontrolle…

Das deut­sche Cover wirkt ein biss­chen unschein­bar, das eng­li­sche (sie­he unten) gefällt mir um eini­ges bes­ser, muss ich sagen. Der Roman wird pas­sen­der­wei­se von einem Zitat von Tar­a­na Bur­ke ein­ge­lei­tet, der Grün­de­rin der #MeToo-Bewe­gung. Die zwei Haupt­cha­rak­te­re sind sehr gut getrof­fen und sehr facet­ten­reich dar­ge­stellt. Sie erzäh­len abwech­selnd in Ich-Per­spek­ti­ve. Bly­the — beliebt, abge­brüht, taff und fast etwas über­heb­lich. “Wenn ich ihr in der Schu­le auf dem Gang begeg­ne, schaut sie immer stur gera­de­aus, als ob da ein Licht am Ende des Flurs wäre oder eine Kame­ra oder so, irgend­et­was, ganz weit weg und erha­ben.” (Zitat S.13 ff) Und Ally, die zunächst noch ganz unschul­dig und naiv wirkt, sich dann aber zuneh­mend ent­wi­ckelt und ver­än­dert. Die bei­den Mäd­chen sind höchst unter­schied­lich und haben den­noch in ihrer Fami­li­en­ge­schich­te eine nen­nens­wer­te Gemein­sam­keit. Ihre Müt­ter. Bly­thes Mut­ter ist bipo­lar und sie muss sich stän­dig um die­se sor­gen und küm­mern. Und Allys Mut­ter ist Alko­ho­li­ke­rin gewe­sen und hat die Fami­lie ver­las­sen, als Ally 12 war und lebt nun in einer Kom­mu­ne. Die Freund­schaft der bei­den Mäd­chen hat den­noch etwas fast toxi­sches. Es hat mir gefal­len, in ihrer Nähe zu sein. Ihre offen­sicht­li­che Macht über die ande­ren Mäd­chen in die­sen bescheu­er­ten Toi­let­ten hat in mir irgend­wie das Bedürf­nis geweckt, Teil ihrer Fol­lower zu wer­den. Die Art, wie sie ihre Haa­re über die Schul­ter wirft, als könn­te nichts und nie­mand ihr etwas anha­ben. So wür­de ich mich jetzt auch gern füh­len. Wie eine glä­ser­ne Wand. So als ob nie­mand mich berüh­ren kann, ohne sich an mei­nen schar­fen Kan­ten zu schnei­den. (Zitat S.94ff) Denn auch wenn Ally durch­aus bewusst ist, dass Bly­the ihre Freund­schaft aus berech­nen­den Grün­den ein­geht, genießt sie es in deren Nähe zu sein. Und umge­kehrt genau­so — obwohl Bly­the eigent­lich zunächst nur mit Ally spiel­te, wird sie sich der “ech­ten” Freund­schaft zwi­schen ihnen immer mehr bewusst. Hay­ley Kri­scher schil­dert das Bezie­hungs­ge­flecht der bei­den, aber auch zu Neben­per­so­nen sehr tief­grün­dig und authen­tisch. Neben Freund­schaft, Mani­pu­la­ti­on, Macht und Abhän­gig­keit steht vor allem auch die sexu­el­le Gewalt­tat von Sean im Vor­der­grund. Auch der Pro­zess der Ver­drän­gung von Ally wird sehr glaub­haft beschrie­ben. “Ich ver­su­che Sam­mi das zu erklä­ren. Dass hier gera­de mein gan­zes Leben auf dem Spiel steht, dass sie mit nie­man­dem dar­über spre­chen darf, denn wenn sie auch nur einer ein­zi­gen Per­son davon erzählt, wird mein gan­zes Leben explo­die­ren. Dass Sean Nes­sel mein Leben rui­nie­ren wird. Aber sie lässt nicht locker. Sie hört nicht auf. Also schütt­le ich ein­fach nur den Kopf, mache die Augen zu und tue so, als wür­de ich nicht exis­tie­ren. Als wür­de das alles jemand ande­rem pas­sie­ren.” (Zitat S.93) Eben­so ein bizar­rer Initia­ti­ons­ry­thus, der an Schu­le schon seit Jah­ren statt­fin­det und den Mäd­chen angeb­lich Macht ver­lei­hen soll, obwohl sie zu sexu­el­len Hand­lun­gen gewis­ser­ma­ßen gezwun­gen wer­den, wird in dem Roman the­ma­ti­siert. “Some­thing hap­pen­ed to Ally” ist ein sehr inten­si­ver Roman, der an die Sub­stanz geht und der berührt, aber den­noch trotz schwe­rer The­men Hoff­nung ver­brei­tet. Der Erzähl­stil ist durch­weg flüs­sig und mit­rei­ßend — eine Geschich­te, die man so schnell nicht ver­ges­sen wird und die man ungern aus den Hän­den legen möch­te. Das Ende hin­ge­gen fand ich fast ein wenig ent­täu­schend und fad. In einem Nach­wort geht die Autorin noch auf ihre eige­ne Hin­ter­grund­ge­schich­te ein und die Ent­ste­hung des Buches. Sie hat tat­säch­lich bereits vor zwan­zig Jah­ren ange­fan­gen die­se Idee zu Papier zu brin­gen und dann immer wei­ter entwickelt.

Dir gefällt der Erzähl­stil von Hay­ley Kri­scherIm August die­sen Jah­res erscheint etwas Neu­es von ihr (aller­dings für Erwach­se­ne): “Whe­re are you, Echo Blue?”. Als Lese­al­ter­na­ti­ve könn­te ich mir auf jeden Fall die Bücher von Kath­le­en Glas­gow vor­stel­len. Lies zum Bei­spiel von ihr “How to make fri­ends with the dark” oder ihr neus­tes Werk “The Glass Girl”die bei­de rich­tig gelun­gen sind. Zur Ver­ge­wal­ti­gungs­the­ma­tiLesealternativenk wäre auch “Du woll­test es doch” von Loui­se O’N­eill (ab 16) eine gute Alter­na­ti­ve. Eine nicht ganz so hef­ti­ge Geschich­te über einen sexu­el­len Über­griff in einem Feri­en­camp, fin­dest du in “Drei fast per­fek­te Wochen” von Chris­ti­na Ebertz. Auf einer Par­ty ver­ge­wal­tigt wor­den zu sein, das behan­deln fol­gen­de zwei Roma­ne: “Almost” von Anne Eli­ot (sehr bewe­gend) und “Sprich” von Lau­rie Hal­se Ander­son. Oder lies “Ent­schei­de dich!” von Anni­ka Thor, in wel­chem es auch zu einem Über­griff meh­re­rer Per­so­nen auf ein Mäd­chen kommt. Zwei Bücher für rei­fe­re Leser, die sich sehr inten­siv mit dem The­ma Missbrauch/ Ver­ge­wal­ti­gung aus­ein­an­der­set­zen, sind: “Bro­ken: Der Moment, in dem du fällst” von Tab­itha Suzu­ma (wahn­sin­nig ergrei­fend und emo­tio­nal, ab 15 Jah­ren) und “Aidan: Sün­de. Lie­be. Lüge. Schuld.” von Brendan Kie­ly (hef­tig, ab 16). Ein hef­ti­ges Buch ist auch “Hass gefällt mir” von Johan­na Nils­sonin dem ein Mäd­chen zu einer sexu­el­len Hand­lung in Anwe­sen­heit meh­re­rer Per­so­nen gezwun­gen wird, was gefilmt und anschlie­ßend im Netz ver­brei­tet wird. Was mit einem Men­schen pas­siert, der ver­ge­wal­tigt wor­den ist, das zeigt “Zer­bro­chen” von Sus­an Shaw auf sehr ein­dring­li­che Wei­se. Zwei etwas älte­re Bücher, aber sehr gute Alter­na­ti­ven, sind “Kur­zer Rock” von Chris­ti­na Wahl­dén und “Eigent­lich ist gar nichts pas­siert” von Nor­ma Mazer. Ein wei­te­rer Bei­trag zur #Metoo-Debat­te ist “#Fin­ger­weg von Susan­ne Fül­scher. Oder lies den Kurz­ge­schich­ten­band “Sag­te sie. 17 Erzäh­lun­gen über Sex und Macht” von Lina Muzur. Ein paar wei­te­re #metoo-Roma­ne, die ich eben­falls sehr emp­feh­len kann sind: “Gold­mäd­chen” von Jen­ni­fer Iaco­pel­li und “War­um du schweigst” von Mar­tin Schäub­le (bei­de im Bereich Sport), “Was Sara ver­birgt” von Kath­ri­ne Nedre­jord (kurz­wei­lig und inten­siv), “Not your girl” von Annet­te Miers­wa (unheim­lich packend), “Meat Mar­ket: Schö­ner Schein” von Juno Daw­son (bewe­gend!) Oder lies noch “Off the record: Unse­re Wor­te sind unse­re Macht” von Cam­ryn Gar­rett und “#No game: Jetzt ist Schluss mit Schwei­gen!” von Nata­sha Friend.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: dtv
ISBN: 978-3-423-74119-4
Erscheinungsdatum: 17.April 2025
Einbandart: Broschur
Preis: 16,00€
Seitenzahl: 384
Übersetzer*in: Michelle Landau
Originaltitel: "Something happened to Ali Greenleaf"
Originalverlag: Razorbill

Amerikanisches Originalcover:

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Kasimiras Bewertung:

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(4 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Amerikanisches Cover: Homepage von Hayley Krischer

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