“Something happened to Ally” ist ein Roman der amerikanischen Autorin und Journalistin Hayley Krischer. Sie stellt zwei Mädchen in den Vordergrund: Ally, die sich am Ziel ihrer Träume sieht, als sie ihrem geheimen Schwarm Sean auf einer Party endlich näherkommt und völlig durch den Wind ist, als dieser ihr “Nein” nicht akzeptiert und sie schließlich vergewaltigt. Und Blythe, die die beste Freundin von Sean ist und von diesem den Auftrag bekommt, sich hinterher um Ally zu kümmern. Blythe, die immer zu Sean hält und sich nicht vorstellen kann, dass er Ally wirklich etwas angetan hat. Doch die beiden Mädchen freunden sich tatsächlich an und bald kommen Blythe erste Zweifel und Ally, die alles möglichst vergessen will, weiß nicht mehr, ob dies wirklich richtig ist… Ein aus zwei Perspektiven erzählter Roman, der eine Tat aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Eine Geschichte über sexuelle Gewalt, falsche Loyalität, Freundschaft und dem Mut, sich nicht unterdrücken zu lassen, aber vor allem auch über Wut, die sich langsam ihren Bann bricht. Ein wichtiger Beitrag zu #metoo. Intensiv. Mitreißend. Heftig. Für Jugendliche ab 14 Jahren, die sich mit ernsten Themen auseinandersetzen wollen und für Erwachsene.
New Jersey. Ally ist heimlich verliebt in Sean. Er ist der Kapitän des Fußballteams und ein absoluter Womanizer. Eigentlich eine ganz andere Liga. Und so träumt sie seit Jahren schon vor sich hin, kauft sich regelmäßig die Schülerzeitung, um seine Fotos auszuschneiden und als Collage in kleine Bücher zu kleben. “Ich tauche ihn in einen rosa Schimmer. Ich verziere ihn mit Regenbogen und Herzen.” (Zitat aus “Something happened to Ally” S.15) Doch eines Tages lädt Sean ihren besten Freund Raj zu einer Party ein und sagt direkt zu ihr, dass sie doch auch kommen solle. Auf der Party sucht Sean Kontakt zu Ally, sie trinken etwas zusammen und kommen sich langsam näher. “Mein Traum wird endlich wahr, aber ich fühle mich total überfordert, alles geht viel zu schnell, wie in einer dieser komischen Autowerbungen, in der die Lichter über eine dunkle Wüstenstraße rasen.” (Zitat S.23) Sie gehen hoch in ein Schlafzimmer. Kommen sich noch näher. Doch dann will Ally, dass Sean aufhört und er tut dies nicht. Er vergewaltigt sie, überhört ihr deutliches “Nein”. Als Ally schließlich völlig konfus aus dem Schlafzimmer stürmt, wird sie von Blythe beobachtet, der besten Freundin von Sean, die mit ihm eine lange und sehr intensive Bindung hat, obwohl sie mit Seans bestem Freund Dev zusammen ist. Sean bittet sie kurz darauf um Hilfe. “Wir sind schon so lange befreundet, B. Du weißt, dass ich nie jemandem wehtun würde. Aber ich habe ihr wehgetan. Und
vielleicht… Ich weiß nicht. Vielleicht war ich zu heftig. Du weißt, dass ich nie jemandem etwas antun würde.” Sean weint jetzt. Er ist ein Wirbelsturm aus Emotionen. Er zittert. Er murmelt irgendwas von der Schule vor sich hin und dass er rausgeschmissen und dann niemals von einem College angenommen wird.” (Zitat S.35) Blythe, die nicht wirklich glaubt, dass Sean dem Mädchen etwas angetan hat, verspricht sich um Ally zu kümmern und freundet sich mit ihr an, um sie zu beeinflussen. Aber dann entdeckt sie, dass sie einige Dinge gemeinsam haben und zwischen den beiden beginnt eine echte Freundschaft zu entstehen. Doch die Geschehnisse jener Nacht, die Ally möglichst vergessen möchte, scheinen noch immer zwischen ihnen zu stehen. “Morgen früh werde ich mich bemühen, mir nichts anmerken zu lassen und nicht komisch zu laufen oder so. Denn ich habe vor, das alles nach heute Nacht zu vergessen.” (Zitat S.41) Und dann kommen Blythe allmählich Zweifel und sie fragt sich, ob ihr loyales Verhalten Sean gegenüber richtig ist. “Ich kann sein Gesicht vor mir sehen. Seinen Blick an diesem Abend. Ich würde doch nie jemandem wehtun. Würde er nicht, oder? Nicht absichtlich. Oder?” (Zitat S.130) Als Ally schließlich nicht mehr
länger schweigen kann, geraten die Ereignisse schnell außer Kontrolle…
Das deutsche Cover wirkt ein bisschen unscheinbar, das englische (siehe unten) gefällt mir um einiges besser, muss ich sagen. Der Roman wird passenderweise von einem Zitat von Tarana Burke eingeleitet, der Gründerin der #MeToo-Bewegung. Die zwei Hauptcharaktere sind sehr gut getroffen und sehr facettenreich dargestellt. Sie erzählen abwechselnd in Ich-Perspektive. Blythe — beliebt, abgebrüht, taff und fast etwas überheblich. “Wenn ich ihr in der Schule auf dem Gang begegne, schaut sie immer stur geradeaus, als ob da ein Licht am Ende des Flurs wäre oder eine Kamera oder so, irgendetwas, ganz weit weg und erhaben.” (Zitat S.13 ff) Und Ally, die zunächst noch ganz unschuldig und naiv wirkt, sich dann aber zunehmend entwickelt und verändert. Die beiden Mädchen sind höchst unterschiedlich und haben dennoch in ihrer Familiengeschichte eine nennenswerte Gemeinsamkeit. Ihre Mütter. Blythes Mutter ist bipolar und sie muss sich ständig um diese sorgen und kümmern. Und Allys Mutter ist Alkoholikerin gewesen und hat die Familie verlassen, als Ally 12 war und lebt nun in einer Kommune. Die Freundschaft der beiden Mädchen hat dennoch etwas fast toxisches. “Es hat mir gefallen, in ihrer Nähe zu sein. Ihre offensichtliche Macht über die anderen Mädchen in diesen bescheuerten Toiletten hat in mir irgendwie das Bedürfnis geweckt, Teil ihrer Follower zu werden. Die Art, wie sie ihre Haare über die Schulter wirft, als könnte nichts und niemand ihr etwas anhaben. So würde ich mich jetzt auch gern fühlen. Wie eine gläserne Wand. So als ob niemand mich berühren kann, ohne sich an meinen scharfen Kanten zu schneiden.” (Zitat S.94ff) Denn auch wenn Ally durchaus bewusst ist, dass Blythe ihre Freundschaft aus berechnenden Gründen eingeht, genießt sie es in deren Nähe zu sein. Und umgekehrt genauso — obwohl Blythe eigentlich zunächst nur mit Ally spielte, wird sie sich der “echten” Freundschaft zwischen ihnen immer mehr bewusst. Hayley Krischer schildert das Beziehungsgeflecht der beiden, aber auch zu Nebenpersonen sehr tiefgründig und authentisch. Neben Freundschaft, Manipulation, Macht und Abhängigkeit steht vor allem auch die sexuelle Gewalttat von Sean im Vordergrund.
Auch der Prozess der Verdrängung von Ally wird sehr glaubhaft beschrieben. “Ich versuche Sammi das zu erklären. Dass hier gerade mein ganzes Leben auf dem Spiel steht, dass sie mit niemandem darüber sprechen darf, denn wenn sie auch nur einer einzigen Person davon erzählt, wird mein ganzes Leben explodieren. Dass Sean Nessel mein Leben ruinieren wird. Aber sie lässt nicht locker. Sie hört nicht auf. Also schüttle ich einfach nur den Kopf, mache die Augen zu und tue so, als würde ich nicht existieren. Als würde das alles jemand anderem passieren.” (Zitat S.93) Ebenso ein bizarrer Initiationsrythus, der an Schule schon seit Jahren stattfindet und den Mädchen angeblich Macht verleihen soll, obwohl sie zu sexuellen Handlungen gewissermaßen gezwungen werden, wird in dem Roman thematisiert. “Something happened to Ally” ist ein sehr intensiver Roman, der an die Substanz geht und der berührt, aber dennoch trotz schwerer Themen Hoffnung verbreitet. Der Erzählstil ist durchweg flüssig und mitreißend — eine Geschichte, die man so schnell nicht vergessen wird und die man ungern aus den Händen legen möchte. Das Ende hingegen fand ich fast ein wenig enttäuschend und fad. In einem Nachwort geht die Autorin noch auf ihre eigene Hintergrundgeschichte ein und die Entstehung des Buches. Sie hat tatsächlich bereits vor zwanzig Jahren angefangen diese Idee zu Papier zu bringen und dann immer weiter entwickelt.
Dir gefällt der Erzählstil von Hayley Krischer? Im August diesen Jahres erscheint etwas Neues von ihr (allerdings für Erwachsene): “Where are you, Echo Blue?”. Als Lesealternative könnte ich mir auf jeden Fall die Bücher von Kathleen Glasgow vorstellen. Lies zum Beispiel von ihr “How to make friends with the dark” oder ihr neustes Werk “The Glass Girl”, die beide richtig gelungen sind. Zur Vergewaltigungsthematik wäre auch “Du wolltest es doch” von Louise O’Neill (ab 16) eine gute Alternative. Eine nicht ganz so heftige Geschichte über einen sexuellen Übergriff in einem Feriencamp, findest du in “Drei fast perfekte Wochen” von Christina Ebertz. Auf einer Party vergewaltigt worden zu sein, das behandeln folgende zwei Romane: “Almost” von Anne Eliot (sehr bewegend) und “Sprich” von Laurie Halse Anderson. Oder lies “Entscheide dich!” von Annika Thor, in welchem es auch zu einem Übergriff mehrerer Personen auf ein Mädchen kommt. Zwei Bücher für reifere Leser, die sich sehr intensiv mit dem Thema Missbrauch/ Vergewaltigung auseinandersetzen, sind: “Broken: Der Moment, in dem du fällst” von Tabitha Suzuma (wahnsinnig ergreifend und emotional, ab 15 Jahren) und “Aidan: Sünde. Liebe. Lüge. Schuld.” von Brendan Kiely (heftig, ab 16). Ein heftiges Buch ist auch “Hass gefällt mir” von Johanna Nilsson, in dem ein Mädchen zu einer sexuellen Handlung in Anwesenheit mehrerer Personen gezwungen wird, was gefilmt und anschließend im Netz verbreitet wird. Was mit einem Menschen passiert, der vergewaltigt worden ist, das zeigt “Zerbrochen” von Susan Shaw auf sehr eindringliche Weise. Zwei etwas ältere Bücher, aber sehr gute Alternativen, sind “Kurzer Rock” von Christina Wahldén und “Eigentlich ist gar nichts passiert” von Norma Mazer. Ein weiterer Beitrag zur #Metoo-Debatte ist “#Fingerweg” von Susanne Fülscher. Oder lies den Kurzgeschichtenband “Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht” von Lina Muzur. Ein paar weitere #metoo-Romane, die ich ebenfalls sehr empfehlen kann sind: “Goldmädchen” von Jennifer Iacopelli und “Warum du schweigst” von Martin Schäuble (beide im Bereich Sport), “Was Sara verbirgt” von Kathrine Nedrejord (kurzweilig und intensiv), “Not your girl” von Annette Mierswa (unheimlich packend), “Meat Market: Schöner Schein” von Juno Dawson (bewegend!) Oder lies noch “Off the record: Unsere Worte sind unsere Macht” von Camryn Garrett und “#No game: Jetzt ist Schluss mit Schweigen!” von Natasha Friend.
Bibliografische Angaben:Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-74119-4 Erscheinungsdatum: 17.April 2025 Einbandart: Broschur Preis: 16,00€ Seitenzahl: 384 Übersetzer*in: Michelle Landau Originaltitel: "Something happened to Ali Greenleaf" Originalverlag: Razorbill Amerikanisches Originalcover:
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(4 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Hayley Krischer