Gideon Samson — Doppeltot

Gideon Samson Doppeltot20.Februar 2015

Dop­pel­tot” des nie­der­län­di­schen Autoren Gideon Sam­son ist ein bemer­kens­wer­ter Roman über Freund­schaft, Geschwis­ter­lie­be, Tod und Schuld. Ihn zu lesen ist wie ein her­an­na­hen­des Gewit­ter über sich zu füh­len: dunk­le Wol­ken, die immer näher kom­men, Span­nung, die mehr und mehr steigt, Son­nen­schein, der einst war. Das Ende einer Kind­heit, das durch etwas been­det wird, das als maka­brer Scherz gedacht war, nun aber außer Kon­trol­le gera­ten ist. Ein­dring­lich und ergrei­fend erzählt. Die­ses Buch wird man so schnell nicht ver­ges­sen! Für Jugend­li­che ab 14 Jahren.

Krom­me­ve­er, ein klei­ner (fik­ti­ver) Ort in den Nie­der­lan­den. Bes­te Freun­din­nen, das sind die 12-jäh­ri­gen Mäd­chen Rif­ka und Düve­ke. Wobei Düve­ke mäch­tig stolz auf ihre Freund­schaft ist: “Rif­kas Freun­din zu sein ist das Höchs­te, was man errei­chen kann. Ja, das ist es so unge­fähr, den­ke ich. Und dar­um möch­ten es alle.” (Zitat aus “Dop­pel­tot” S.13) Und alle ande­ren aus ihrer Klas­se tan­zen nur nach Rif­kas Pfei­fe. Sie besticht sie mit Süßig­kei­ten oder ver­teilt unter ihnen (sie nennt sie “das Volk”, über das sie herr­schen möch­te) Mur­meln, die sie einem ande­ren Jun­gen geklaut hat, weil die­ser sie belei­digt hat. Ja, Rif­ka hat alles im Griff. Außer­dem hat sie die ver­rück­tes­ten Ideen. Sie zeigt Düve­ke, wie das mit dem Rau­chen geht, sie ruft bei einem Kin­der­sor­gen­te­le­fon an um sich als Schwan­ge­re (vom Bru­der!) aus­zu­ge­ben und sie plant einem Jun­gen mit lan­gen Haa­ren, den Pfer­de­schwanz abzu­schnei­den. Gideon Samson DoppeltotIhre neu­es­te Idee ist es auf ihrer eige­nen Beer­di­gung zuge­gen zu sein: “Ich wer­de mei­ne eige­ne Beer­di­gung erle­ben”, sagt sie, “Weil ich es will. Und wenn ich was will, pas­siert es auch.” (S.17) Und Düve­ke hilft ihr bei den Vor­be­rei­tun­gen. Das Mäd­chen tut eigent­lich alles für ihre beste Freun­din. Sie stiehlt für Rif­ka, sie “leiht” sich Geld von ihrem Bru­der und sie ist es auch, die die gefak­ten Ent­füh­rungs­brie­fe in den Brief­kas­ten schmei­ßen soll, nach­dem Rif­ka bereits in einem Ver­steck unter­ge­taucht ist. Aber dann bekommt Düve­ke plötz­lich Panik…

Das Inter­es­san­te an “Dop­pel­tot” ist die Ein­tei­lung des Buches in “Davor”, “Danach” und “Wäh­rend­des­sen”. Wobei sich die­se Zeit­ein­tei­lung auf den Tag von Rif­kas Ver­schwin­den bezieht. Der ers­te Teil wird aus Düve­kes Per­spek­ti­ve erzählt. Sie ist ein sehr nai­ves Mäd­chen und wirkt viel jün­ger als ihre zwölf Jah­re. Für sie ist die Freund­schaft zu Rif­ka ein rich­ti­ges Aben­teu­er. Ihre Bewun­de­rung für ihre bes­te Freun­din ist hier­bei sehr deut­lich. Nur zuwei­len fängt sie an, an Rif­kas Ideen und Ein­stel­lun­gen zu zwei­feln. Dann gibt es da noch “Das Gefühl”, das Düve­ke ab und zu heim­sucht. Ein uner­klär­li­ches Angst­ge­fühl, das sie manch­mal über­kommt, das sie wei­nen und Trost bei ihrem gro­ßen Bru­der Oli­ver suchen lässt, der sie als Ein­zi­ger zu ver­ste­hen scheint.

Das Gefühl”, sage ich, “kann sehr lan­ge weg sein. Tage, Wochen, Mona­te. Jah­re sogar. […] Es kann so lan­ge weg sein, dass man glaubt, es käme nicht mehr wie­der. Aber let­zend­lich kommt Das Gefühl immer zurück. Immer, Ma. Es geht nie wirk­lich weg. Nie. Bis man tot ist.” (S.87)

Aus Oli­vers Sicht wird der zwei­te Teil des Buches erzählt. Er erlebt gera­de eine begin­nen­de ers­te Lie­be zu einem Mäd­chen. Jedoch ver­bin­det ihn auch etwas mit Rif­ka, über deren Ver­schwin­den er sich Gedan­ken macht. Zu Düve­ke jedoch, sei­ner klei­nen Schwes­ter, besteht die stärks­te Ver­bin­dung. Für sie wür­de er alles tun. So hat er ein­mal, als sie einen schwar­zen Por­zel­lan­schwan ihrer Mut­ter ver­se­hent­lich hat fal­len las­sen, ihr gehol­fen das Miss­ge­schick zu ver­tu­schen. Er hat die Scher­ben zusam­men­ge­kehrt und ver­schwin­den las­sen. Als die Mut­ter das Feh­len ihres Samm­ler­stücks schließ­lich bemerk­te, nahm Oli­ver sogar die Schuld auf sich.

Das also ist es, was maKasimiran Lie­be nennt, dach­te er. Dass das Glück eines ande­ren dir wich­ti­ger ist als dein eige­nes. So sehr lie­be ich Düve­ke. So sehr, dass ich mir wünsch­te, ich hät­te das häss­li­che Kitsch­ding auf den Boden fal­len las­sen. Für mei­ne klei­ne Schwes­ter wür­de ich tau­send schwar­ze Schwä­ne zer­bre­chen.” (S.140)

Es gibt ein grund­le­gen­des Ereig­nis, das sowohl Oli­ver, als auch Rif­ka unwis­sent­lich prägt: die Beer­di­gung eines Mit­schü­lers, der an einer Krank­heit gestor­ben ist. Auf die­sem Begräb­nis ver­liebt sich Oli­ver in Ilo­na und Rif­ka kommt dort auf ihre bizar­re Idee Zeu­ge ihrer eige­nen Beer­di­gung zu sein. Der drit­te Teil der Geschich­te wird nun aus ihrer Per­spek­ti­ve erzählt, wobei man ihr nun sehr gut in die Kar­ten schau­en kann und erkennt, wie Rif­ka wirk­lich denkt. Ihre Eltern schei­nen sich kaum um sie zu küm­mern, eine Hei­le-Welt-Fami­lie wie Düve­ke sie hat, kennt das Mäd­chen nicht. Die zen­tra­len Sät­ze in ihrer Welt sind: “Ist das nicht zum Lachen?” oder “Weißt du, was auch zum Lachen wäre?”. Dabei macht sie nicht mal vor den maka­bers­ten Wit­zen halt:Mein Vater ist heu­te Nacht gestor­ben.” “Was?!” “Klei­ner Scherz.” (S.9). Rif­ka klaut regel­mä­ßig und stif­tet sogar Düve­ke dazu an.

War­um heißt der Roman “Dop­pel­tot”? Das Wort prägt Düve­ke das ers­te Mal, als sie den Plan von Rif­ka aus­füh­ren soll: “Wenn du die Brie­fe ver­tauscht, bist du tot. Ja. Das hat sie gesagt. Wenn ich sie nicht in den Brief­kas­ten wer­fe, bin ich ganz bestimmt dop­pel­tot.” (S. 82) Doch er hat auch noch eine ande­ren Hin­ter­grund, auf den der Leser bald sto­ßen wird… Gideon Samson Doppeltot Auf jeden Fall grei­fen die drei Tei­le wie Zahn­rä­der inein­an­der und ergän­zen sich auf inhalt­li­cher Ebe­ne per­fekt. Das Cover hat mir auch sehr gut gefal­len, es wirkt geheim­nis­voll und bedroh­lich (im Gegen­satz zum ver­nied­lich­ten, nie­der­län­di­schen Cover!) und nimmt den zer­bro­che­nen Por­zel­lan­schwan zum Sym­bol für ver­dräng­te Schuld (Düve­ke hört nach dem ers­ten Teil auf zu spre­chen) und auf sich genom­me­ne Schuld (Oli­ver, der alles für sei­ne Schwes­ter tun wür­de). “Dop­pel­tot” eig­net sich auf­grund sei­ner mehr­schich­ti­gen Ebe­nen daher sehr gut als Klassenlektüre.

Fazit: Eine Geschich­te, die sei­ne Leser in einen Sog zie­hen wird. Dra­ma­tisch, packend und abso­lut lesenwert!

LesealternativenWenn dir Gideon Sam­sons Erzähl­art gefällt, kannst du noch sei­nen etwas älte­ren Titel Der Him­mel kann noch war­ten” (eine Krebs­ge­schich­te) lesen. Ein Roman, der inhalt­lich gese­hen sehr vie­le Par­al­le­len zu “Dop­pel­tot” hat, ist “Die Kom­pli­zin” von Eire­ann Cor­ri­gan. Zwei Bücher, die an die Freund­schaft zwi­schen Rif­ka und Düve­ke erin­nern, sind Love Ali­ce” von Nata­ly Savina und Spring in den Him­mel” von Lot­te Kins­ko­fer. Ähn­lich pro­vo­kan­te The­men fin­den sich in But­ter” von Eric Jade Lan­ge und Die Liga der Guten” von Rüdi­ger Bert­ram.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Gerstenberg
ISBN: 978-3-8369-5799-1
Erscheinungsdatum: 26.Januar 2015
Einbandart: Hardcover
Preis: 14,95€
Seitenzahl: 224
Übersetzer: Rolf Erdorf
Originaltitel: "Zwarte zwaan"
Originalverlag: Leopold B.V.

Niederländisches Originalcover:
Gideon Samson Doppeltot







Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Niederländisches Cover: Homepage von Gideon Samson

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