“Zusammen wie Schwestern” ist der neueste Roman der amerikanischen Autorin Gayle Forman. Eine Geschichte über eine Einrichtung für schwer erziehbare Jugendliche, in die ein junges Mädchen von ihrem Vater gesteckt wird. Eine Einrichtung, die einem Bootcamp gleicht und mit harten Therapiemethoden arbeitet. Nur die Freundschaft zu vier anderen Mädchen lassen die Protagonistin ihren Alltag überstehen. Ein Buch über Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung in schweren Zeiten. Unterhaltsam und bewegend. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Die 16-jährige Brit musste für den geplanten Ausflug ihrer Familie einen wichtigen Bandauftritt absagen. In den Grand Canyon sollte es gehen. Der Gig der Punkband, in der Brit spielt, war da zweitrangig für ihren Dad. Doch dann fahren nur sie und ihr Vater mit dem Auto los. Ihre (gemeine) Stiefmutter und ihr kleiner Halbbruder fliegen hinterher und sie treffen sich dann dort. Angeblich. Denn Brit und ihr Vater fahren gar nicht in den Grand Canyon. Das wird dem Mädchen erst klar, als sie vor einem merkwürdigen Gebäude halten, das der Vater sich nur mal
anschauen möchte: “Auf den ersten Blick sah die Red Rock Academy aus wie ein heruntergekommenes Motel: ein gedrungenes, T‑förmiges, zweistöckiges, beige verputztes Gebäude. Nur, dass das Red Rock mit Stacheldraht umzäunt war und zwei absurd muskelbepackte Neandertaler auf dem Gelände patrouillierten.” (Zitat aus “Zusammen wie Schwestern” S.7) Und dann wird Brit von eben jenen “Neandertalern” einfach aufgegriffen und hineingeschleppt. Es sei nur zu ihrem Besten, so die Aussage ihres Vaters. Brit kann es kaum fassen. Wo ist sie hier nur gelandet? Und nur weil ihre Schulnoten schlechter geworden sind und sie sich angeblich von ihrer Familie abgesondert hat? Eine Mitinsassin klärt sie bald auf: “Ein stationäres Behandlungszentrum. Offiziell wird es “Internat” genannt, aber in Wirklichkeit verbirgt sich dahinter eine Klapsm
ühle, ein Irrenhaus, ein beschissenes Umerziehungslager für unerwünschte, unangepasste Teenager.” (Zitat S.47) Überall sind Kameras. Sie alle werden ständig beobachtet. Red Rock arbeitet mit einem strengen Belohnungs- und Bestrafungssystem, das in verschiedenen Level eingeteilt ist. Level eins: Absolute Isolation im Zimmer. Nur zur Therapie oder um auf die Toilette zu gehen, darf man es verlassen. Je mehr Bereitschaft man zeigt an sich zu arbeiten, desto höher steigt man im Level und erhält mehr Privilegien, wie das Verlassen des Zimmers zu Therapien, Mahlzeiten oder sogar zu Aktivitäten außerhalb der Einrichtung. Auch Briefkontakt wird dann gestattet oder Besuch von den Familien. Level 6 ist das höchste, was man erreichen kann. “Hast du Level sechs abgeschlossen, darfst
du zurück nach Hause, aber bis dahin liegt ein weiter Weg vor dir. Es kann Monate, ja sogar Jahre dauern, bis du Level sechs erreichst. Es liegt ganz bei dir. Jedes Mal, wenn du dich schlecht benimmst, Regeln missachtest oder dich weigerst, ernsthaft bei deinen Therapien mitzuarbeiten, wirst du um ein oder zwei Level zurückgestuft. Wenn es die Situation erforderlich macht, sogar bis auf Level eins zurück.” (Zitat S.22) Doch die Therapien sind hart. Kontakt untereinander zu den anderen Insassinnen ist nicht gewünscht. Erst langsam begreift Brit, dass Freundschaft das Einzige ist, was es sie schaffen lassen wird, das Ganze hier unbeschadet durchzustehen…
“Zusammen wie Schwestern”, das mit einem schönen Cover bereits auf sich aufmerksam macht, beginnt mit einer interessanten Widmung: “Gewidmet allen unverstandenen Mädchen, überall”. Ebenso unverstanden fühlt sich die Protagonistin in dem Roman, die durchgehend in der Ich-Perspektive erzählt. Warum wurde sie überhaupt in Red Rock gesteckt? Eine Therapeutin erklärt ihr, dass sie unter “oppositionelles Trotzverhalten” (Zitat S.18) leide. Sie sei häufig “reizbar, wird Erwachsenen gegenüber oft ausfallend, trotzt aktiv oder weigert sich, Bitten oder Regeln Erwachsener zu befolgen, ärgert andere bewusst, macht andere für ihre Übertretungen oder ihr Fehlverhalten verantwortlich, ist häufig wütend oder aufgebracht, ist oft nachtragend oder rachsüchtig…” (Zitat S.18) Aber das seien andere Teenager in jenem Alter doch auch? In Rückblenden erfährt man mehr über Brits Familie, die Sorgen ihres Vaters und das
mysteriöse Verschwinden ihrer Mutter, das einen großen Anteil an den Beweggründen, sie in dieses Etablissement zu stecken, hat. Etwas seltsam fand ich am Anfang die Reihenfolge der Erzählteile. Zuerst gibt es eine Art einleitender Prolog, in dem jene Situation des “Plötzlich-vor-der-Einrichtung-Abgebens” geschildert wird, dann folgt eine Danksagung der Autorin, bei der mehrere Namen aufgelistet werden und schließlich wird — eingeleitet durch die Vorgeschichte des “Alibi-Ausflugs” jene Prolog-Szene noch einmal wiederholt um in den Haupterzählteil überzugehen. Das hätte man anders besser lösen können. Die Erzählart und Sprache von Gayle Forman ist sehr angenehm und flüssig. Mehr über den Alltag in Red Rock und deren merkwürdigen Therapiemethoden zu erfahren, liest sich recht unterhaltsam. Bootcamp trifft die Beschreib
ung auf das “Internat” wesentlich besser. So müssen die Mädchen zum Beispiel stundenlange Märsche auf Berge über sich ergehen lassen oder auch einfach nur große Haufen schwerer Holzstücke von einem Ort zum anderen tragen. Stundenlang. Sie dürfen zwar so viel Wasser trinken dabei wie sie möchten, aber nur einmal pro Stunde auf die Toilette gehen. Doch zum Glück findet Brit rasch Anschluss an eine Clique von vier Mädchen. Deren Zusammenhalt und Einstehen füreinander spiegelt sich im passend gewählten Titel des Buches wider: “Also, meine Lieben, vergesst nicht, dass wir der genial legendäre, ultraexklusive Club der Bekloppten sind”, sagte Bebe und fügte ihre Hand hinzu. “Schwestern”, sagte Cassie und streckte ihre Hand aus. “Schwestern”, sagte ich und klatschte meine Hand oben auf die der anderen. Ich spürte unsere vereinte Kraft. “Zusammen wie Schwestern.” (Zitat S.78) Wie sich all dies entwickelt, das liest sich sehr ergreifend und ab der Mitte auch recht dramatisch, wenn der Kampf um Gerechtigkeit beginnt und die Mädchen alles daran setzen, etwas zu verändern. Eine Geschichte, die Mut macht andere Wege zu gehen und an das Gute zu glauben!
Du magst den Schreibstil von Gayle Forman? Dann lies noch ihre anderen Bücher, hier chronologisch nach Erscheinungsdatum: “Wenn bleibe” (2010, tolle Verfilmung!), die Fortsetzung: “Lovesong” (2011),“Nur diese eine Nacht” (Neuauflage von “Lovesong”, selbes Buch, neuer Titel 2014), die zweiteilige Reihe “Nur ein Tag” und “Und ein ganzes Jahr” (2016), “Manchmal musst du einfach leben” (2017) und “Irgendwas von dir” (2018, gefiel mir mittelmäßig). In ein Erziehungscamp wird auch die Protagonistin in “Breakout” von April Henry gesteckt. Das Gleiche passiert den Hauptfiguren in “Camp 21” von Rainer Wekwerth (sehr spannend!). Andere Bücher, die in Bootcamps spielen, sind “Das Camp” von Harald Tondern, und der Klassiker “Bootcamp” von Morton Rhue. Romane, in denen die Protagonisten ebenfalls in einer Art Anstalt landen und dort ausbrechen, sind “Wir waren hier” von Nana Rademacher und “Artikel 5″ von Kristen Simmons. Eine ebenso actionreiche, sehr passende Alternative ist auch “Du kannst keinem trauen” und “Ihr seid nicht allein” von Robison Wells. Superspannend! Sehr gut gefallen haben mir ebenso “Clean” von Juno Dawson und “Mein Sommer auf dem Mond” von Adriana Popescu. Hier sind ebenfalls ein paar Jugendliche in einer Klinik untergebracht, die einiges zusammen durchmachen und sich gegenseitig stärken. Du interessierst dich für Romane, die in einer Klinik spielen? Hiervon gibt es jede Menge: “1:0 für die Idioten” von Karlijn Stoffels (Thema: Suizid), “Von ganzem Herzen, Emily” von Tanya Byrne (Thema: Rache), “Was uns bleibt ist jetzt” von Meg Wolitzer (Thema: Trauer; großartige Literatur!), “Cut” von Patricia McCormick (Thema: Selbstverletzung) und “Letzte helle Tage” von Martyn Bedford (Thema: Trauer). Sehr viele Romane, die in einer Klinik spielen, sind welche, die das Thema Essstörung behandeln: “Nichts leichter als das” von Marnelle Tokio, “Heute will ich leben” von Nora Price (sehr bewegend!), “Das Lächeln der Leere” von Anna Sofia Höpfner (dieses beschreibt vor allem den Prozess der Heilung) und “Alles so leicht” von Meg Haston (dramatisch und schmerzhaft, mit autobiografischen Zügen).
Bibliografische Angaben:Verlag: Fischer ISBN: 978-3-8414-2239-2 Erscheinungsdatum: 27.März 2019 Einbandart: Broschur Preis: 14,99€ Seitenzahl: 288 Übersetzer: Stefanie Schäfer Originaltitel: "Sisters in sanity" Originalverlag: HarperTeen Amerikanisches Originalcover:
Amerikanischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)
----------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Gayle Forman