Einen schönen Titel bietet “Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” von der amerikanischen Autorin Estelle Laure seinen Lesern. Ein Roman über das Alleingelassen werden in einer Familie, unerwartete Verantwortung und eine noch viel unerwartetere Liebe. Unterhaltsam und bewegend. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
New Jersey. Die 17-jährige Lucille hat es nicht gerade leicht. Ihr Vater wohnt nicht mehr bei ihnen zu Hause. Und jetzt hat ihre Mutter einfach ihren Koffer gepackt und ist abgehauen. “Sie sagte, sie wolle den Kopf freikriegen, sich sammeln, und sei bald wieder zurück.” (Zitat aus “Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” S.36) Sie hat Lucille und ihrer kleinen, neunjährigen Schwester Wren einen vollen Kühlschrank und ein wenig Geld da gelassen. Spätestens zum Schulanfang wollte sie wieder da sein. Doch die zwei Wochen sind vorbei und ihre Mutter ist immer noch nicht wieder da. Schon beim Abschied war sie so seltsam: “Sie war irgendwie abwesend, die Augen groß und trüb. […] Als wären wir gar nicht da, als wären wir Gespenster. Zu diesem Zeitpunkt war nur noch die Hülle von ihr übrig. Die Mom, die ich kannte, war nicht mehr da, schon eine Weile nicht. Also war der Abschied auch kein richtiger Abschied, sondern das letzte Loslassen von etwas, das längst Erinnerung war.” (Zitat S.36/37) Nun ist Lucille ganz allein auf sich gestellt. Sie muss den Haushalt schmeißen, die anstehenden Rechnung bezahlen, sich um ihre kleine Schwester kümmern und nebenbei auch noch das Verschwinden der Mutter vor den neugierigen Nachbarn und der Mutter ihrer besten Freundin Eden vertuschen. Ihre Mutter sei im Urlaub, so ihre Standardantwort. Dabei möchte sie lieber nicht zu vielen Leuten vertrauen. “Wenn du einem Menschen vertraust, drückst du ihm ein Messer in die Hand, das er dir in den Bauch rammen kann. So viel weiß ich.” (Zitat S.30) Niemand soll sie und ihre Schwester in ein Heim stecken oder voneinander trennen. Kompliziert wird es für Lucille allerdings erst so richtig, als auch Digby, der Zwillingsbruder ihrer besten Freundin, ihr helfen will. Denn obwohl Lucille ihn schon kennt, seit sie sieben ist, haben sich ihre Gefühle für ihn seit einiger Zeit verändert. “Wie kommt es, dass Digby gestern nur Edens zugegebenermaßen süßer Bruder war und mir heute den Atem raubt, mich erzittern lässt und mein Innererstes nach außen krempelt? Sind es die Hormone? Ein Fehler in der Matrix? Das Produkt aus innerer Verzweiflung und meinem unterentwickelten Ich?” (Zitat S.18) Lucille ist völlig überfordert. Und wer ist der oder die Unbekannte, der heimlich ihren Kühlschrank füllt und die Arbeit im Garten für sie erledigt? Und wann kommt eigentlich ihre Mutter zurück? Wird sie überhaupt jemals wiederkommen?
“Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” wird komplett aus Lucilles Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben. Die Überschriften des Romans sind mit kleine Luftballons und Tagesangaben versehen und beginnt mit “Tag 14″ . Er zählt die Tage, die Lucilles und Wrens Mutter die beiden schon alleine gelassen hat. Und das werden immer mehr und mehr Tage… Das Thema Vernachlässigung ist taucht in der Jugendliteratur immer mal wieder sporadisch auf, hier ist es kombiniert mit einer Liebesgeschichte. Das Schicksal von Lucille, die plötzlich so viel Verantwortung übernehmen muss, ist sehr ergreifend geschrieben. Man kann sich sehr gut in ihre Sorgen und Nöte hineinversetzen. “Jedenfalls habe ich alles getan, was Mom tun würde. Habe es zumindest versucht. Das Universum weiß genau, dass ich schummele, dass ich nur so tue, als hätte ich einen Plan. Dabei habe ich keinen.” (Zitat S.8/9) Es ist ein Drahtseilakt, den das Mädchen absolviert. Zur Schule gehen, den Haushalt schmeißen, für die kleine Schwester sorgen und dann auch noch Geld verdienen, um die anstehenden Rechnungen zu bezahlen, damit ihnen das Telefon nicht abgestellt wird, das Kabelfernsehen weiterhin funktioniert (und Wren ihre Lieblingskochsendung sehen kann) und das Essen im Kühlschrank nicht ausgeht.
Lucille spricht den Leser zuweilen direkt an: “Fragt mich nach meinem Namen, wenn er dabei ist, und wahrscheinlich wüsste ich die Antwort nicht.” (Zitat S.13) und “In der linken — ja, meine Damen und Herren, Jungs und Mädchen, in der linken Hand — halte ich einen nagelneuen Einhundert-Dollar-Schein. Er kam gestern mit der Post.” (Zitat S.23) Das wirkt manchmal etwas theatralisch, kommt jedoch nur sehr selten vor. Die Figur von Digby war für mich am Anfang noch etwas blass und wenig greifbar, doch zum Glück ändert sich dies recht schnell und es wird richtig schön romantisch! Der Erzählstil und die Sprache habe mir sehr gut gefallen. Vor allem das Cover ist ein wahrer Hingucker! (bezieht sich auf die deutsche Hardcoverausgabe, siehe unten) Beim Titel wurde sich wohl etwas an “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” orientiert, aber why not?;-) Gegen Ende wird es noch mal sehr dramatisch und nervenaufreibend und man möchte “Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance” kaum aus den Händen legen. Auch transportiert der Roman eine schöne Botschaft: Man ist nie so alleine, wie man denkt und oft stärker, als einem selbst bewusst ist.
Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch!
Zum Thema Vernachlässigung gibt es ein paar Romane im Jugendbuch: “Der Märchenerzähler” von Antonia Michaelis (sprachgewaltig, genial! Hier kümmert sich ein Junge um seine kleine Schwester), “Forbidden” von Tabitha Suzuma (sehr bewegend! Hier kümmern sich Junge und Mädchen um ihre jüngeren Geschwister), “8 Tage im Juni” von Brigitte Glaser (Mädchen kümmert sich um kleinen Bruder) und “Abgemeldet” von Birgit Schlieper (Mädchen kümmert sich um Geschwister). Die Mutter ist auch in folgenden Romanen abgetaucht: “Eulenfalter” von Sara Pennypacker (bereits ab 11 Jahren, toll!), “Fünfzehn kopflose Tage” von Dave Cousins und “About Ruby” von Sarah Dessen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Fischer ISBN: 978-3-7335-0164-8 Erscheinungsdatum: 22.Februrar 2018 Einbandart: Taschenbuch Preis: 8,00€ Seitenzahl: 272 Übersetzer: Sophie Zeitz Originaltitel: "This raging light" Originalverlag: Houghton Mifflin Deutsches Originalcover:
Amerikanisches Originalcover:
Hörprobe aus dem Buch:
Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Houghton Mifflin