“Alpakas, Agate und mein neues Leben” ist ein Roman der vielfach ausgezeichneten amerikanisch-kanadischen Autorin Erin Bow. Sie erzählt die Geschichte des 12-jährigen Simon, der eine traurige Berühmtheit erhielt, als er einen Amoklauf an seiner Schule als Einziger aus seiner Klasse überlebte. Mit seiner Familie flüchtet er zwei Jahre später an den einzigen Ort in ganz Amerika, an dem es kein Internet gibt, in der Hoffnung ein neues Leben zu beginnen, ohne dass ihn jemand erkennt und er die traumatische Vergangenheit endlich hinter sich lassen kann. Er findet rasch Freunde: Kevin mit den grünen Haaren, dessen Mutter Wissenschaftlerin ist und die autistische Agate, die plant eine Fake-Nachricht an Aliens zu senden. Doch dann tritt sein Geheimnis eines Tages ans Licht. Ausgerechnet Kevin stößt zufällig darauf. Bald gerät wieder alles außer Kontrolle… Ein Roman, der sich Zeit nimmt, um Handlung und Charaktere zu entwickeln — aber die Charaktere sind wirklich einmalig! Erfrischend anders, authentisch und außergewöhnlich. Eine sehr herzerwärmende Geschichte über Traumata, Freundschaft und Zusammenhalt. Das Buch besticht vor allem durch die Mischung aus Ernsthaftigkeit und viel viel Humor. Schräg, skurril und sehr unterhaltsam. Für Jugendliche ab 11 Jahren und interessierte Erwachsene.
Der 12-jährige Simon zieht mit seinen Eltern um. In die National Quiet Zone. “Wir packten also unsere Sachen und zogen in eine kleine Stadt namens — sie heißt wirklich so, ich schwöre — Augen-zu-und-durch in Nebraska. Augen-zu-und-durch ist ein Kaff, die Art von Ort, wo das Bestattungsinstitut “Gemetzel & Söhne” heißt, und das schon so lange, dass es niemand mehr komisch findet.” (Zitat aus “Alpakas, Agate und mein neues Leben” S.11) Der offizielle Grund sind ein paar Alpakas, die den Gottesdienstes seines Vaters, der als Diakon arbeitet, bei einer Tiersegnung so sehr aus dem Ruder laufen ließen, dass er seinen Job verlor. Der inoffizielle Grund ist ein anderer. Denn vor zwei Jahren hat Simon an seiner Schule einen Amoklauf überlebt. Um der Presse zu entgehen, die sich immer noch auf ihn stürzt und um alles endlich hinter sich zu lassen und neu anzufangen, sind sie umgezogen. Denn das kleine Städtchen hat einen entscheidenden Vorteil. Hier gibt es zahlreiche große Radioteleskope. “Sie lauschen auf die schwächsten Signale aus dem Weltraum. Und wenn du in Augen-zu-und-durch oder innerhalb eines Umkreises von 50 Kilometern […] leben möchtest, darfst du keine Funksignale aussenden, die das stören könnten.” (Zitat S.13) Es gibt also kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet und auch kein Handynetz, um die technischen Anlagen nicht zu beeinflussen. Nicht mal Mikrowellen sind erlaubt. Hier kann Simon endlich er selbst sein. Niemand kann ihn googeln und herausfinden, wer er ist. In der quirligen Agata und Kevin mit den grünen Haaren findet er neue Freunde. Doch dann sind es ausg
erechnet die Alpakas, die die Neugierde seines neuen Freundes beflügeln. Natürlich hat Simon Kevin diese Geschichte erzählt. Und als er eines Tages außerhalb von Augen-zu-und-durch die Möglichkeit hat, das Internet zu nutzen und ein Video jenes Alpakas-Desaster in der Kirche, welches viral ging, zu suchen, stößt er unweigerlich auf mehr. Bald ist er nicht mehr der Einzige, der die Wahrheit über Simons Herkunft kennt und alles droht erneut aus den Fugen zu geraten.…
Das Cover ist sehr schön und passend gestaltet. Zeigt bereits einzelne Elemente der Geschichte. Jene wird durchgehend aus Simons Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Der Roman ist in Kapitel eingeteilt, welche teils sehr faszinierende Kapitelüberschriften tragen: “Kapitel eins: In dem Alpakas uns aus Omaha vertreiben” oder “Kapitel zehn: In dem Snacks und Aliens vorkommen” oder “Kapitel zwanzig: In dem mein Dad Heavy Metal in die Kirche bringt”. Dann gibt es immer wieder Einschübe von Kapiteln, die mit “Eine Bemerkung über…” eingeleitet werden und ein Thema näher beleuchten. Simon spricht beim Erzählen die Leser:innen zuweilen direkt mit “du” an. “Es gibt einen charakteristischen doppelten Klingelton von sich, den meine Mom den “Partyanschluss” nennt. Sie sagt zum Beispiel “Der Partyanschluss klingelt” oder “Zeit für eine Party”. Wenn du es dir bis jetzt noch nicht zusammengereimt hast: Meine Mutter hat ihren Humor gern wie ihren Kaffee: schwarz. Und zwar espressoschwarz. Egal. Es ist echt erstaunlich, wie schnell ich mich an das Klingeln des Partyanschlusses gewöhnt habe. Ich höre nicht einmal mehr auf, mir meine Cornflakes in die Müslischale zu schütten, sondern rufe nur die Treppe rauf: “Mom! Da ist jemand gestorben!” (Zitat S.86) Jede Menge Situationskomik, viele skurrile, äußerst schräge und witzige Momente begleiten einen beim Lesen. Ein Bestattungsinstitut, das sich “Gemetzel & Söhne” nennt. Simons Vater, der sich mit einem Eichhörnchen in der Kirche auseinandersetzen muss, das die Hostien klaut und den Aufbewahrungsbehälter anknabbert (er nennt es das “Jesus-Einhörnchen”). Simons Mutter, die einen Mitarbeiter hat, der immer wieder Fehler macht und auch mal eine Leiche unterwegs verliert. Da ist auch viel schwarzer Humor mit dabei. Liebenswert sind aber vor allem auch die Charaktere. Simon, der sich immer mehr
entwickelt und zu sich findet. Agate, die autistische Züge hat und plant eine Fake-Nachricht von Aliens zu senden, um den Wissenschaftlern vor Ort Hoffnung zu machen und die immer wieder eklige Dinge auflistet. Es kommen auch allerhand Tiere in “Alpakas, Agate und mein neues Leben” vor. Neben den eskalierenden Alpakas gibt es noch ausbüxende Emus, die wieder eingefangen werden müssen. Enten. Ziegen, die auf die Welt gebracht werden müssen. Einen äußerst angrifflustigen Pfau, der zum neuen Haus gehört, in das Simons Familie zieht. Und Hercules, den Simon als Assistenzhund für eine Weile sozialisieren darf. Nicht zu vergessen den Hund Todd, der genau weiß, wie man einen Kühlschrank öffnet und sich regelmäßig ein Bier herausholt und dies auch trinkt, um seine Gelenkschmerzen zu besänftigen. Trotz Humor wird in dem Roman jedoch auch ausreichend viel Ernsthaftigkeit mit eingestreut. Zu Beginn (kennt man den Klappentext nicht) wird Simons Vergangenheit auch nur angedeutet. “Und ich wäre natürlich auch auf den Mars gezogen, nur um dem, was in Omaha passiert war, zu entkommen.” (Zitat S.12) In neuen Räumen
achtet er auf Türen und fühlt sich eher unwohl, wenn es nur eine Fluchtmöglichkeit gibt. Erst nach und nach erfährt man was damals genau geschehen ist, spürt dem Trauma, das Simon geprägt hat, immer mehr nach. Erin Bow hat ein Buch geschrieben, in dem sie sich wirklich Zeit lässt, um ihre Figuren zu entwickeln. Zuweilen gibt es ein paar langwierigere Momente, aber man wird immer wieder durch die außergewöhnlichen Charaktere, die man einfach nur ins Herz schließen kann und die humorvollen Momente belohnt. Alles in allem gesehen ist es einfach ein Lesevergnügen dieses Buch!
Erin Bow hat noch einige andere Bücher geschrieben, die bisher allerdings noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Vor Problemen weglaufen, die einen dann doch wieder einholen, das findest du beispielsweise auch in folgenden Büchern: “Wie ein Herzschlag auf Asphalt” von Deb Caletti (hier geht es ebenfalls um einen Amoklauf), “Die beste Zeit ist am Ende der Welt” von Sara Barnard. Gut könnte ich mir ebenso die Romane von Ross Welford vorstellen, die über eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor verfügen, lies zum Beispiel “Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist” oder “Der Hund, der die Welt rettet”. Mit einer schönen Portion Humor und außergewöhnlichen Charakteren besticht auch “Enia und der Regenzauber” von Antonia Michaelis.
Bibliografische Angaben:Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-64124-1 Erscheinungsdatum: 17.April 2025 Einbandart: Hardcover Preis: 16,00€ Seitenzahl: 400 Übersetzer*in: Ute Mihr Originaltitel: "Simon sort of says" Originalverlag: Disney Hyperion Amerikanisches Originalcover:
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(4,5 von 5 möglichen Punkten)
------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Erin Bow