Die österreichische Autorin Elisabeth Steinkellner wurde für ihren Roman “Rabensommer” mit dem Hans-im-Glück 2014 ausgezeichnet. Sie erzählt eine Geschichte über Freundschaft, Enttäuschungen und das Erwachsenwerden. Behutsam. Poetisch. Aufwühlend. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Juli ist gerade 18 geworden. Zudem hat sie das Matura (das österreichische Abitur) hinter sich gebracht. Jetzt kann die Zukunft kommen. Von dem Provinzdorf in die Großstadt. Studieren möchte sie. Und doch bleibt ihr und ihren zwei besten Freunden August und Ronja und ihrem Freund Niels nur noch ein letzter gemeinsamer Sommer. Sie gehen zusammen auf Partys, sie genießen die Nähe und Freundschaft zueinander und das Leben, kosten es aus, bevor es sie auseinandertreiben wird. “In der Fünften hab ich mal ein Referat über Raben gehalten.” August lacht. “Ja, echt”, fahre ich fort, “das sind wirklich soziale Tiere. Leben in Paaren, so richtig monogam und so. Und die Jüngeren, die noch keinen festen Partner haben, bilden kleinere Grüppchen. Freundschaftsgrüppchen, sozusagen. Die halten echt zusammen.” (Zitat aus “Rabensommer” S.56/57) Denn Ronja wird nach London gehen, als Au-Pair. Niels muss die letzte Klasse wiederholen. Und August weiß noch nicht, was sein wird. Juli wird vier Stunden entfernt von Niels in der Stadt wohnen. Sie werden eine Fernbeziehung führen. Doch was ist mit den anderen? “Ob es wohl immer so bleiben wird zwischen Ronja und mir? Lässt sich das Band, das uns bis jetzt so eng verbunden hat, auch über die Monate und Kilometer hinweg dehnen? Oder wird es eines Tages ausgeleiert sein oder gar reißen?” (Zitat S.64) Was ist mit August? Zwischen ihm und ihr hat Ronja immer eine besondere Anziehung gespürt, obwohl sie ja mit Niels zusammen ist. “Verstehst du, Juli, wir vier haben immer alles zusammen gemacht. Wir waren immer so eng, und manchmal habe ich mich gefragt, was aus mir werden würde, wenn ich euch nicht mehr hätte. Was von mir übrig bleiben würde. Ich wusste oft nicht mehr, wer ich eigentlich bin.” (Zitat S.87) Doch dann verrät August ihr ein Geheimnis, das alles verändert und einen Keil zwischen sie treibt. Dann macht auch noch Niels mit ihr Schluss. Juli muss ihr Leben völlig neu sortieren. Und das ganz allein in einer ersten eigenen Wohnung mitten in der Großstadt…
“Rabensommer” fällt sogleich durch sein schönes Cover auf. Unaufdringlich, aber prägnant. Verträumt, aber zugleich ausdrucksstark. Die vier Raben machen den Inhalt greifbarer. Wie oben bereits zitiert sind sie es, die die Freundschaft zwischen Juli, Ronja, Niels und August symbolisieren. Eine Freundschaft, die nach dem Ende der Schulzeit auf eine harte Probe gestellt wird. Vor allem Juli — und es ist ihre (Ich-)Perspektive, aus der der Roman erzählt wird — ist in Aufbruchstimmung, gierig danach ihre Fühler nach Neuem auszustrecken und einen Vorgeschmack auf die Freiheit zu bekommen, die sie jetzt erwartet. Die erste eigene Wohnung! Das ungewohnte Leben in einer fremden Stadt: “Die Zukunft erscheint mir unendlich groß, strahlend blau und sonnengefleckt. In manchen Momenten möchte man das Leben umarmen, mit ihm Polka tanzen oder Cha-Cha-Cha, aber das Leben ist zu groß, um es mit den Armen umschlingen zu können, also bleibt man sitzen, still auf dem Fensterbrett, und atmet und spürt und ist einfach da.” (Zitat S.77) Und doch möchte sie auch an dem Alten, Wohlbekannten festhalten. Denn Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Veränderung bedeutet auch Enttäuschung. Und Liebe kann auch weh tun. “Rabensommer”, das in zwei Teile geteilt ist, zeigt vor allem im zweiten Erzählteil, der eher aus mehreren Fragmenten besteht, wie viel Schmerz auch mit dem Erwachsenwerden verbunden ist. Es reihen sich schlechte Träume, kurze Textnachrichten von Ronja, Briefe von Julis Mutter, Einkaufszettel, Aufzählungen und Julis Erleben aneinander. Ihre Verletzungen sitzen tief, manchmal möchte Juli kaum ihre Wohnung verlassen. Studieren? Momentan nicht wirklich. Unsicherheit und das Gefühl keine Anleitung fürs Leben zu besitzen, lassen sie zögern auf ihrem Weg weiterzugehen:
“Manchmal denke ich, dass ich am liebsten für den Rest meines Lebens in Mamas Küche stehen und Kuchen backen würde, während Mama danebensteht und mir genau sagt, was ich machen muss.” (Zitat S.107) Und doch schafft sie es mit Hilfe von Esra, ihrer sympathischen Vormieterin, deren Bruder und deren Mann langsam wieder ins Leben zurückzufinden. Sich darüber klar zu werden, was sie will. Wer sie sein will. Und wen sie auf ihrem Weg am liebsten bei sich haben möchte. Sehr gut hat mir auch die Sprache von Elisabeth Steinkellner gefallen. Manchmal wirkt sie salopp und nah dran an ihren Figuren, dann wieder total poetisch und wortgewaltig: “Ich spüre Augen auf mir, öffne meine, sehe Niels. Er steht ein paar Meter weit weg und sieht mich dunkelweich an.” (Zitat S.32) und “Der Himmel strickt an einer grauen Decke. Ich sitze auf dem Fensterbrett, in der Hand eine Tasse Tee. Trinke. Schaue. Warte. Worauf, weiß ich nicht. An Tagen wie heute bin ich eine fallen gelassene Masche.” (Zitat S.110).
Fazit: Ein vielschichtiger, lohnenswerter Roman!
Einen Roman übers Erwachsenwerden verbunden mit Enttäuschungen hat auch Hilde Kvalvaag geschrieben: “Das ist der Sommer im Paradies, wie er eben aussieht, wenn man die Sonnenbrille absetzt”. Eine gute Alternative ist ebenso “Und plötzlich war der Wald so still” von Moa Eriksson Sandberg. Sehr sensibel übers Erwachsenwerden schreiben auch Katarina von Bredow (z.B. “Ich will endlich fliegen, so einfach ist das”) und Johanna Lindbäck (“Gut. Besser. Das Beste auf der Welt.”). Einen letzten Sommer nach der Schulzeit verbringen die Protagonisten in Neuerscheinungen “Dieser Sommer gehört noch uns” von Heike Karen Gürtler und “School’s out: Jetzt fängt das Leben an!” von Karolin Kolbe.
Bibliografische Angaben:Verlag: Beltz & Gelberg ISBN: 978-3-407-74916-1 Erscheinungsdatum: 17.Juli 2017 Einbandart: Taschenbuch Preis: 7,95€ Seitenzahl: 202 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)