…das gibt es natürlich noch nicht! So schnell entstehen im Kinder- und Jugendbuch keine Bücher über diese uns alle momentan sehr beschäftigende Thematik. Abgesehen von ein paar No-Name-Publishern oder E‑Book-Schnellschüssen schafft dies der erste große Publikumsverlag (Piper Verlag) erst Mitte Mai solch einen Titel (“Coronavirus: 33 Fragen — 33 Antworten”) in den Handel zu bringen. Hierbei handelt es sich jedoch auch um ein Sachbuch für Erwachsene und um keinen Roman. Zu was greifen also Jugendliche, die bereit sind sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Faszinierenderweise gibt es eine Neuerscheinung, die im Januar 2020 ins Deutsche übersetzt wurde, die interessante Parallelen zum Coronavirus aufzeigt: “Der Hund, der die Welt rettet” von dem britischen Autor Ross Welford, erschienen im Coppenrath Verlag. Hier bricht in England ein Hundevirus aus, das auch schon auf den Menschen überspringt und für einige Todesfälle bereits gesorgt hat. Und wo wurde er erstmals gesichtet? In China: “Bislang hätten sich die Ausbrüche auf die Provinz Jiangsu im Osten Chinas beschränkt, erläuterte Dr. Zamtev. In Nanjing sei damit begonnen worden, sämtliche streunende Hunde zu töten, um die Verbreitung des Virus zu verhindern.” (Zitat S.91) Jiangsu liegt ungefähr 700km von Wuhan entfernt. Der Roman ist für Jugendliche frühestens ab 10 Jahren gedacht und liefert eine äußerst turbulente und sehr unterhaltsame Geschichte, die mit viel Ernsthaftigkeit und Humor vor allem eines gibt, das Kinder und Jugendliche jetzt brauchen — Hoffnung! Denn natürlich ist die Protagonistin — die 11-jährige Georgie — die selbst einen Hund hat, zwar mitverantwortlich dafür, dass sich das Virus in ihrer Gegend verbreitet, weil sie ein paar Hygienevorschriften im Tierheim nicht einhält, aber sie ist eben auch in der Lage auf besondere Art und Weise nach einer Lösung zu suchen. Da befinden sich ungeahnte Möglichkeiten zwischen zwei Buchdeckeln. Und so sorgt die Bekanntschaft zu einer etwas durchgeknallten Wissenschaftlerin, die eine Zeitmaschine erfunden hat, dafür, dass Georgie und ihr Hund “Mister Masch” einfach mal nebenbei die Welt retten! Eine ausführliche Rezension zum Buch findest du hier.
Eine weitere Neuerscheinung vom Februar 2020 ist “Bloom: Die Apokalypse beginnt in deinem Garten” von Kenneth Oppel, einem kanadischen Schriftsteller, der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Das Buch ist nun ins Deutsche übersetzt und im Beltz & Gelberg Verlag veröffentlicht worden. Hier gibt es zwar kein Virus, das um sich greift, aber dafür ein seltsames Gras, das sich immer mehr auf der ganzen Welt auszubreiten droht und mindestens genauso beängstigend ist: “Das Gras hatte keine Blätter, aber stachelige Haare an seinen Stängeln. Es war hart und vollkommen schwarz, ohne den Hauch irgendeines Farbtons. Es sah aus wie etwas, das nicht hierhergehörte.” (Zitat S.46) Es überwuchert sämtliche Felder, zerstört Ernten und wächst unheimlich schnell. Es zurechtzustutzen — beinahe unmöglich! Kenneth Oppel hat einen eher nüchternen Erzählstil. Doch trotz wenig ausufernder Emotionen schafft er es rasch eine Bedrohung in den Köpfen der Leser entstehen zu lassen. Seine Geschichte — die aus der Perspektive von drei Jugendlichen erzählt wird, von denen Zwei zunächst noch unter schlimmen Allergien leiden, die durch das Gras dann aber merkwürdigerweise zu verschwinden scheinen — ist vor allem eines — äußerst actionreich und abenteuerlich. Denn das seltsame Gras entwickelt sich weiter und scheint höchst intelligent zu sein — und es greift den Menschen schließlich direkt an! Der dystopische Roman mit Science-Fiction-Elementen offenbart an dieser Stelle auch einige Horrorszenen: wenn fleischfressende Gebilde Menschen zu verschlingen drohen oder fiese Ranken Menschen im Schlaf zu erwürgen versuchen. Hier sollte man nicht allzu zart bes
aitet sein. Die Lösung scheint in den drei Jugendlichen selbst zu liegen — während andere zum Beispiel mit der Säure der Pflanzen sich die Haut verätzen, macht den drei Protagonisten diese gar nichts aus. In welche Richtung “Bloom: Die Apokalypse beginnt in deinem Garten” geht, davon bekommt man auf den letzten Seiten des Buches eine Ahnung. Das Ende macht bereits neugierig auf die Fortsetzungen. Zwei weitere Teile werden noch folgen, um die Trilogie komplett zu machen. Zu empfehlen für Jugendliche ab 12 Jahren.
Ebenfalls im Beltz und Gelberg Verlag erschienen und schon etwas älter (2015) ist “Schlamm oder Die Katastrophe von Heath Cliff” von dem amerikanischen Bestsellerautoren Louis Sachar (“Löcher”). Ein richtig gut geschriebener Roman, der sehr genau zeigt, wie sich eine Infektion in einer Kleinstadt allmählich ausbreiten kann. Ursache hierfür ist ein Schlammloch mitten im Wald, das mit unbekannten Erregern versehen ist. Denn der Schlamm, so erfährt man bald, ist eigentlich ein „Unfall“ eines großen Konzerns. Dieser wollte mittels eines genetisch veränderten Schleimpilzes eine neue Form von Benzin herstellen. Eigentlich sollte dieser Mikroorganismus an der Luft gar nicht überleben können. Doch einer mutierten Form schien dies gelungen zu sein. In Kontakt mit diesem Schlamm kommen nun drei Schüler einer Privatschule, die den eigentlich “verbotenen” Weg durch den Wald nehmen und bei einer Rangelei den Schlamm zur Verteidigung benutzen: ein Mädchen wirft es einem Jungen direkt ins Gesicht, um den anderen Jungen (Thema Mobbing) zu verteidigen. Kurz darauf hat sie einen merkwürdigen Ausschlag im Gesicht und ihre ganze Hand brennt. Kann das etwa von dem Schlamm kommen? Dann müsste der andere Junge dasselbe Problem ja im Gesicht haben! Nur dieser scheint seit dem Gerangel im Wald spurlos verschwunden zu sein… Bald stecken sich immer mehr Menschen an und schließlich wird sogar der Notstand ausgerufen, um eine Epidemie zu verhindern. Die Geschichte liest sich durchweg interessant und ist mit 192 Seiten relativ flott zu lesen, daher auch für Wenigleser (vor allem Jungs) sehr gut geeignet. Mir hat vor allem der ironische Unterton, der sich zuweilen in die Zeilen schleicht, gefallen und die eingeschobenen Dialoge eines Untersuchun
gsausschusses, der sich mit den Ereignissen in Heath Cliff auseinandersetzt. Der Ausschuss befragt verschiedene Wissenschaftler zu der Gefährlichkeit dieses Schleimpilzes und berichtet später im Buch von dem, was in Heath Cliff passiert, nachdem eine Quarantäne über die ganze Stadt verhängt wird. Sehr anschaulich dargestellt fand ich auch die grafische Veranschaulichung der Verbreitung der Mikroorganismen. Ein paar kleine Bläschen säumen den Buchrand, die immer mehr und mehr werden und zum Schluss ganze Seiten ausfüllen. Die Wissenschaftler erklären, dass eine Zellteilung alle 36 Minuten geschieht und dementsprechend wird das laufende Kapitel immer wieder von eben dieser Zellteilung (in Zahlen ausgedrückt) unterbrochen, was die Dramatik der Geschichte unweigerlich erhöht. Zu Beginn sieht das noch ganz simpel aus: “2×1=2 und 2×2=4” (S.42), doch irgendwann wachsen die Zahlen ins Unermessliche: “2x1.048.576=2.097.152 und 2x2.097.152=4.194.304” S.117). Sehr anschaulich zeigt sich hier, was exponentielles Wachstum auch in Corona-Zeiten gerade bedeutet. Zu empfehlen ist der Roman ab 12 Jahren.
Romane über plötzliche Virus-Ausbrüche & Epidemien/Pandemien
gibt es im Jugendbuch schon seit vielen Jahren. Ein Thema, das immer wieder bewegend dargestellt wird. Hier ein Überblick, chronologisch nach Erscheinungsdatum geordnet. 2012–2015 gab es eine wahre Flut an dystopischen Romanen, hierunter auch einige mit Viren, diese sind grünlich markiert. Titel, die ich selbst gelesen und die mir gut gefallen haben, sind fett markiert.
2004 | Andreas D. Hesse | “Arcan-Virus” | Sauerländer |
2010 | Bettina Obrecht | “Isoliert” | Bloomsbury |
2010 | Klaus-Peter Wolf | “Todesbrut” | Script 5 |
2010 | Miguel Larrea | “Kip Parvati und der Schatten des Todes” | Fischer |
2012 | Lissa Price | “Starters” + “Enders” | Piper |
2013 | Megan Crewe | “Wir sind verbannt” + “Und wenn wir fliehen” | Fischer |
2013 | Dan Wells | “Partials”-Reihe: “Aufbruch”, “Fragmente”, “Ruinen” | Piper |
2015 | Virginia Bergin | “Rain” + “Storm” | Fischer |
2015 | Chris Weitz | “Young World:”-Reihe: “Die Clans von New York” + “Nach dem Ende” | Dtv |
2016 | Jesper Wung-Sung | “Opfer: Lasst uns hier raus” | Dtv |
2016 | Mirjam Mous | “Virus: Wer aufgibt, hat verloren” | Arena |
2016 | Dan Smith | “Shut Down: Du hast nur 24 Stunden” | Carlsen |
2017 | Teri Terry | “Infiziert” + “Manipuliert” + “Eliminiert” | Coppenrath |
2017 | Fabio Geda, Marco Magnone | “Staubgeboren: Die Stadt der Vergänglichen” | Ueberreuter |
2018 | Emily Suvada | “Cat & Cole”-Reihe: “Die letzte Generation” + “Ein grausames Spiel” | Thienemann |