Unter dem Pseudonym Cleo Leuchtenberg haben sich die Autorinnen Lisa Marie Dickreiter und Claudia Brendler zusammengetan und mit “I love you heißt noch lange nicht Ich liebe dich” ihr erstes Jugendbuch geschrieben, das seine Leser in die Welt der Synchronisation eines Hollywoodfilmes entführt. Ein interessantes Setting und eine Liebesgeschichte, die hauptsächlich im Winter spielt. Nette Unterhaltung für Zwischendurch. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Berlin. Die 17-jährige Diplomatentochter Lilly hat es manchmal nicht leicht. Alle 3 bis 4 Jahre ein Umzug in ein anderes Land. Während sie vor Kurzem noch in Rumänien gelebt hat — aber auch schon in Kanada und Südkorea — wurde ihr Vater jetzt nach Berlin versetzt. Freundschaften zu knüpfen ist da schwierig. Und ihr letzter Freund hat mit ihr Schluss gemacht, weil ihm eine Fernbeziehung zu anstrengend erschien. Weil die Liebe dafür nicht ausreichen würde. Das einzig Konstante in Lillys Leben ist die International School, auf die sie in jedem Land geht und ihre Liebe zur Schauspielerei. Denn sie ist gut in dem, was sie auf der Bühne tut: “Der Applaus war überall. Er hallte von den Wänden, er fiel von oben auf mich herab, er kam von hinten, wo die anderen standen, er schien sogar aus den Boxen zu kommen. Ich verbeugte mich. Einmal, zweimal, dreimal und immer wenn ich hochschaute, sah ich die Agentin. Sie stand und klatschte und hörte nicht auf.” (Zitat S.9) Deshalb schlägt ihr Schauspiellehrer auch Lilly vor, als eine Castingagentur eine neue, frische Stimme für die Synchronisation eines Hollywoodfilmes sucht. Und sie besteht tatsächlich das Casting, obwohl sie so etwas vorher noch nie gemacht hat und als absolute Anfängerin vieles noch erst lernen muss. “Oft bekommt ihr neue Szenen oder Dialoge nämlich erst direkt vor der Aufnahme. Und dann müsst ihr von null auf hundert da sein. Beim Synchronsprechen […] zeigt sich ganz schnell, wer die wirklich guten Schauspieler sind. Diejenigen, die sich sofort und ohne Vorwissen in eine Rolle einfühlen können. Sich fallen lassen und total darin aufgehen. Das sind die wahren Schauspieler.” (Zitat S.22) Lilly soll die deutsche Stimme der Newcomerin und Schauspielerin Raphaela Stanfield werden, die eine Hauptrolle in dem Film “Die Verlorenen” spielt. Ihr männlicher Gegenpart ist der 17-jährige Ben, der schon seit Ewigkeiten die deutsche Stimme des Schauspielers Lex B. Tyson ist un
d dies schon völlig routiniert macht. Ben verleiht seiner Stimme eine schöne Tiefe und diesen romantischen Touch, der mit vielen Rollen, die Lex B. Tyson gespielt hat, einhergeht. Doch er selbst glaubt nicht an die große Liebe: “Wer zum Teufel dachte sich diesen Scheiß aus? […] Dabei weiß jeder, wahrscheinlich auch die Idioten, die diese schwachsinnigen Drehbücher schreiben, dass Verliebtsein kein erstrebenswerter Zustand ist. Wer will schon vernebelt sein, verrückt, komplett verpeilt, Opfer seiner eigenen Hirnchemie?” (Zitat S.43) Mit so jemandem kann Lilly doch keine Liebesszenen spielen? Zumal Ben sie für ein verwöhntes, reiches Mädchen hält, das von Papa alles — ebenso diese Rolle hier — bezahlt bekommt. Er selbst scheint in größten Geldnöten zu stecken und stibitzt schon mal ein paar Lebensmittel ein, die in der Küche des Tonstudio herumliegen. Doch der Regiechef ist in manchen Momenten nicht allzu begeistert von den Rollen Raid alias Ben und Payton alias Lilly, die sie zu synchronisieren versuchen: “Verdammt, das ist nicht witzig! Hört einfach zu, hört ihr die Intensität? Zwischen Payton und Raid brennt die Luft. Und das will ich auch bei euch hören!” Professionell sein, nur Payton sein, das hatte ich versucht, doch es reichte anscheinend nicht. Wie sollte ich die Luft zum Brennen bringen, mit jemandem wie Ben? Er lag immer noch ausgestreckt im Sessel und tat so, als ob ihn das alles nichts anginge.” (Zitat S.107) Ob sie wollen oder nicht, müssen Lilly und Ben sich zusamme
nraufen. Denn bald werden die Amerikaner — die Auftraggeber — kommen und ihnen über die Schultern schauen: “Ich habe so was auch erst zwei Mal erlebt. Beide Male wurden die Sprecher der Hauptrollen übrigens ausgetauscht. Die Amis sind knallhart! […] Die wollen morgen perfekte Arbeit sehen, die sind das Beste vom Besten gewohnt. […]… entweder ihr funktioniert zusammen, oder ihr seid draußen. Haben wir uns verstanden?” (Zitat S.110ff) Beim Zusammenraufen kommen Lilly und Ben sich jedoch unerwartet näher. Doch was ist Hollywood und was ist echt? Als Ben dann auch noch vorschlägt ihren Freund zu spielen, um einem Kuppelversuch ihrer Eltern mit einem Freund aus Kindertagen zu entgehen, ist das Chaos perfekt…
“I love you heißt noch lange nicht Ich liebe dich” wird aus zwei Sichtweisen in der jeweiligen Ich-Perspektive von Lilly und Ben erzählt. Sie wechseln sich nicht immer konsequent ab, es kann schon mal vorkommen, dass zwei Kapitel hintereinander aus einer Perspektive erzählt werden. Das Setting mit dem Tonstudio, der Synchronisation und zu Beginn mit Lillys Schauspielwelt fand ich sehr faszinierend und gelungen. Schon der Einstieg des Buches, der mit einer Email beginnt, verleiht dem Ganzen ein Gefühl von Glamour, High Society und dem ganz großen Erfolg: “Lieber Olaf, letzte Woche hat Hollywood angerufen — KEIN SCHERZ! Meine Agenten und ich casten gerade mit Hochdruck für den Kinofilm Die Verlorenen. […] Die Dreharbeiten […] fanden in Kanada statt, der fertige Film soll noch im Juli in die deutschen Kinos kommen. Wir suchen jetzt dringend eine neue, unverbrauchte Synchronstimme für Raphaela Stanfield. Gibt es unter deinen Schauspielschülerinnen vielleicht eine, die dafür infrage käme?” (Zitat S.6) Lilly als Charakter ist durchweg sympathisch und man kann sich sehr gut in sie einfühlen. Ben wirkt am Anfang eher genau gegenteilig und schwierig und man braucht eine Weile, bis man auch ihn und seine Beweggründe nachvollziehen kann. Während manche Emotionen des Buches richtig schön berührend geschildert sind, wie zum Beispiel diese hier — “Ich schaute auf meine Füße in den gebrauchten Cowboystiefeln, und auf einmal kamen sie mir lächerlich vor. Alles kam mir lächerlich und unwirklich vor, gleich würde ich aufwachen und feststellen, dass ich die Rolle gar nicht hatte, dass ich nicht hierhergehörte, so wie ich nirgendwohin gehörte. Das Schluchzen stieg einfach auf und schüttelte mich, ich konnte nichts tun. Ich presste die Lippen aufeinander, beugte mich vor und hielt mich an mir selbst fest.” (Zitat S.60) - und das Buch ebenso sprachlich schön geschrieben ist, hatte ich in der Mitte von “I love you heißt noch lange nicht Ich liebe dich” ein wenig Mühe mich von der Geschichte mitreißen zu lassen. Das im Klappentext angedeutete Knistern zwischen den beiden, das war mir ein wenig zu schwach und wurde an manchen Stellen vor allem dadurch verschmälert, dass von Lilly als Payton und von Ben als Raid gespro
chen wurde. Film und Realität, die ineinander übergingen, das vergrößerte die Distanz zum Leser und kostete die Nähe zu den Protagonisten und somit verlor sich auch das Gefühl ein wenig. Im hinteren Teil wird es dann glücklicherweise wieder emotionaler, unterhaltsamer und die Zeichnung der Charaktere richtig schön tiefgründig. Großen Raum nahm auch die Geschichte um Payton und Raid in dem Buch ein. Eine dystopische Action- und Liebesgeschichte, bei der man teilweise komplette Drehbuchseiten in einem anderen Schriftbild abgedruckt lesen konnte. Dass eine der Autorinnen (Lisa Marie Dickreiter) vom Fach ist und selbst diplomierte Drehbuchautorin ist (Studium an der Filmakademie in Ludwigsburg), das merkt man. Ansonsten erfährt man noch im Nachwort von wem sie sich Hilfe geholt haben. Das Ende: passend und gelungen.
Fazit: Der (emotionale) Mittelteil schwächelt etwas, aber ansonsten eine schöne Geschichte.
Du magst einen Hauch von Hollywood, der plötzlich in einem Roman auftaucht? Dann wäre folgende Bücher sicherlich etwas für dich: “Sternengewitter” von Stephanie Sing (hier wird in einem kleinen Ort plötzlich ein Film gedreht und aus Imagegründen soll die unbekannte Protagonistin die Freundin des Starschauspielers spielen!), die “Famous in Love”-Reihe von Rebecca Serle (ein Mädchen ergattert unerwartet die Hauptrolle eines Films und wird berühmt und sich verliebt; die ganze Welt beobachtet sie bei einer Dreiecksgeschichte) oder die “The Make up Girl”-Reihe von Dana Sheen (eine Make-up-Desig-Studentin springt spontan bei einer Promi-Talkshow ein und wird erfolgreich). Etwas Aktuelles gefällig? Eine Neuerscheinung aus dem Frühjahr ist “Emma & Jake: Liebe braucht kein Drehbuch” von Amy Finnegan und bald erscheint “Cinder & Ella” von Kelly Oram. Zwei, die sich nicht ausstehen können und sich zusammenraufen müssen? Das erlebst du zum Beispiel in “Wir fliegen, wenn wir fallen” von Ava Reed oder in “Almost” von Anne Eliot (hier ist auch die Thematik “Freund spielen” dabei).
Bibliografische Angaben:Verlag: Oetinger ISBN: 978-3-7891-0852-5 Erscheinungsdatum: 20.August 2018 Einbandart: Hardcover Preis: 17,00€ Seitenzahl: 336 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
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