“Morgen ist heute schon vorbei” ist das zweite Buch der britischen Autorin Clare Furniss. In dem Roman steckt viel mehr als das Roadmovie eines jungen Mädchens und ihrer Großtante durch das sommerliche England — es ist zugleich die Geschichte einer Familie, einer Reise in die Vergangenheit und gegen das Vergessen und ein Sommer, in dem ein junges Mädchen sich der wohl schwersten Entscheidung ihres Lebens stellen muss. Ein opulentes, einfühlsam erzähltes Werk mit bezaubernden Charakteren! Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
London. Der Sommer der 17-jährigen Harriet, genannt Hattie, hätte nicht schlimmer beginnen können. In den wenigen Tagen bevor ihre Mutter und ihr Verlobter Carl mit ihren zwei jüngeren Geschwistern, den Zwillingen Alice und Ollie, in den Urlaub nach Mallorca fliegen, darf sie sich um die zwei Raufbolde kümmern. Eigentlich wäre es schön gewesen, das Haus für sich alleine zu haben, sie hätte ihre besten Freunde Kat und Reuben einladen können. Doch auch diese Zwei sind plötzlich verreist. Kat wird von ihrer besitzergreifenden, eifersüchtigen, neuen Freundin beschlagnahmt und darf nicht einmal groß Kontakt zu Hattie halten. Und Reuben ist zu seinem Vater nach Südfrankreich abgedüst um in Reichtum, Partys und zu viel Alkohol zu versinken. Gelegentlich treffen ein paar E‑Mails von ihm ein. Als dann auch noch Gloria auf einmal in Hatties Leben auftaucht, ist das Chaos perfekt: sie ist ihre Großtante, von der niemand gewusst hat. Eine exzentrische, alte Dame, die sagt, was sie denkt und mit beginnender Demenz zu kämpfen hat. “Also, ich mag Veilchenpralinen, und ich mag Champagner. Und wenn ich das zum Frühstück essen will, dann tue ich das verdammt noch mal auch.” (Zitat aus “Morgen ist heute schon vorbei” S.84). Während Gloria sich Hattie gegenüber zunächst eher abweisend und unfreundlich verhält, ändert sich ihre Einstellung nach und nach. Und schließlich starten die Zwei in ein außergewöhnliches Abenteuer. Eine Woche lang wollen sie gemeinsam Orte aus Glorias Vergangenheit abfahren. Denn die Erinnerungen an damals sind plötzlich wieder sehr präsent und ein dunkles Kapitel aus Glorias Leben droht an die Oberfläche zu kommen. Doch auch Hattie muss sich diesen
Sommer mit einem wichtigen Thema auseinandersetzen. Denn sie ist schwanger. Von ihrem besten Freund Reuben. Und sie hat bisher kein Wort darüber verloren…
Das Cover samt Titel von “Morgen ist heute schon vorbei” sind wunderbar gewählt. Das Buch ist mit 490 Seiten reinem Erzähltext recht umfangreich. Es wird meist aus Hatties Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Jedoch gibt es immer wieder Einschübe in kursiver Schrift, in denen Gloria zu Wort kommt und sich entweder in der Gegenwart befindet oder in Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgt. Die Sprache ist sehr angenehm und flüssig. Was mir besonders gut an dem Roman gefallen hat, sind die liebevoll skizzierten Charaktere. Auch die Randfiguren sind bestens gelungen, wie zum Beispiel die kleine Alice: “Ich sitze auf dem zugeklappten Klodeckel im Gäste-WC unten im Erdgeschoss, mein Handy in der einen Hand, in der anderen einen weiteren Schwangerschaftstest, und versuche klar zu denken. Was nicht gerade einfach ist, weil Alice vor der verschlossenen Tür steht und FBI-Überfallkommando spielt. “DU HAST KEINE CHANCE, PETROWITSCH!”, brüllt sie mit pseudoamerikanischen Akzent. “DAS HAUS IST UMSTELLT, KOMM MIT ERHOBENEN HÄNDEN RAUS, SONST KOMMEN WIR REIN!” (Zitat S.20) Zu Beginn gibt es daher besonders viel Situationskomik. Der Roman ist mit besonders viel Klugheit erzählt. Selbst wenn Teile davon sicherlich etwas komprimierter hätten erzählt werden können und man etwas Geduld haben muss, hinter die Geheimnisse von Gloria zu kommen, aber auch Details zu Hatties Geschichte mit Reuben zu erfahren, so wird man durch die liebevolle Ausarbeitung der Entwicklung der Charaktere belohnt. Und zudem mit einem Ende, das für so manche Überraschungen sorgt und sprachlich sehr poetisch herüberkommt.
Fazit: Eine außergewöhnliche, behutsam erzählte Familiengeschichte, die einfach berührt und sich zu lesen lohnt!
Du magst Clare Furniss’ Erzählstil? Dann lies unbedingt “Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb”, das mir richtig gut gefallen hat. Sehr gute Lesealternativen hinsichtlich der Demenz- und Familiengeschichte sind “Arthur oder Wie ich lernte den T‑Bird zu fahren” von Sarah N.Harvey und “Obwohl es dir das Herz zerreißt” von Jenny Downham. In Kombination mit einem Roadmovie — das findest du in “Herr Liebe und die Mondphasen” von Nila Wolfram. Ein Klassiker ist auch “Die blauen und die grauen Tage” von Monika Feth. Mit sehr viel Humor geschrieben ist “Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?” von Hervé Jaouen. Oder lies “Foster vergessen” von Dianne Touchell. Ein Roadmovie, in dem die Protagonisten am Ende sich ihrer Vergangenheit stellen müssen, das erlebst du in “French Summer: A fucking great road trip” von Marian de Smet und “Perfect Escape” von Jennifer Brown. Das Thema unerwartete Schwangerschaft und die Schwierigkeit sich zu entscheiden, damit wird sich in folgenden Büchern auseinandergesetzt: “Rückwärts ist kein Weg” von Jana Frey, “Elfte Woche” von Christine Fehér und “Ein bisschen schwanger” von Kristina Dunker (bewegend!).
Bibliografische Angaben:Verlag: Rowohlt ISBN: 978-3499-21812-5 Erscheinungsdatum: 16.April 2019 Einbandart: Broschur Preis: 14,99€ Seitenzahl: 496 Übersetzer: Christine Steen Originaltitel: "How not to disappear" Originalverlag: Simon & Schuster Britisches Originalcover:
Britischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------- Britisches Originalcover: Homepage von Simon & Schuster
Eine sehr gelungene Rezension :) welche Rolle spielt Peggy in dem Buch? Es wirkt so, als sei Gwen die Mutter von Dominik (“den Sohn ihrer Schwester Gwen”, Seite 72). Hab ich irgendwas übersehen oder befindet sich dort ein Druckfehler?
Hallo Sophie,
danke für dein Lob:-) Leider ist es schon Monate her, dass ich dieses Buch gelesen habe… ich fürchte mit solchen Details kann ich dir nicht mehr weiterhelfen;-) Vielleicht weiß es ja noch jemand anderes, der den Roman erst kürzlich gelesen hat oder gerade liest?
Lg Kasimira