“Du bringst mein Leben so schön durcheinander” von der australischen Autorin Claire Christian hat einen Roman geschrieben, der eine zarte Annäherung zweier Außenseiter zeigt. Die Geschichte über einer beginnende Liebe, über das “Normalsein”, über Ehrlichkeit und über das Zerbrechen und langsame Heilen. Ein Buch, das auf sensible Weise zeigt, das jeder sein Päckchen zu tragen hat und dass irgendwann, irgendwie, alles besser werden kann. Emotional, mitreißend und einfach schön zu lesen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Vor sechs Monaten ist ihre beste Freundin Kelly gestorben. Sie hat sich das Leben genommen. Seitdem ist nichts mehr normal in Avas Leben. “Ach, leckt mich alle am Arsch!” brülle ich abschließend, drehe mich auf den Fersen um, marschiere durch den Saal nach hinten, direkt durch die zweiflügelige Tür hindurch. Ich höre, wie sie mir mit einem Knall zufällt. Super hingekriegt, Ava. Ich habe mir gerade heute Morgen geschworen, dass ich versuchen würde, eins dieser stillen, unauffälligen Mädchen zu sein, die sich ihrer Umgebung anpassen. Ich habe sogar mit schwarzem Filzstift “sei farblos” auf meinen Handrücken geschrieben” (Zitat S.7) Auf einer Schulversammlung rastet Ava aus, mit einem Mitschüler prügelt sie sich, weil dieser etwas Negatives über Kelly gesagt hat und dann hat sie- auch wenn sie nicht genau weiß warum — etwas mit Lincoln angefangen, dem älteren Bruder ihrer verstorbenen Freundin. “Ich glaube, er ist der Einzige, der wirklich versteht, wie ich mich fühle. Irgendwie. Ich weiß nicht mal, ob ich ihn mag” (Zitat S.13) Aber tatsächlich kann sie für eine Weile ausblenden, wie kaputt sie sich fühlt, wenn sie mit Lincoln zusammen ist. Wenn sie einfach nicht mehr darüber nachdenken muss, wie scheiße sie sich fühlt. Und wie wenig Sinn ihr Leben, das einem Scherbenhaufen gleicht, gerade noch für sie macht: “Es gibt keine Worte, die ausdrücken können, wie sich das anfühlt, und ich möchte auch gar nicht darüber reden, wie es sich anfühlt, weil alles, was seither passiert ist, alles jetzt im Moment, einfach nur richtig, richtig scheiße ist und irgendwelche Quadratgleichungen ergeben nicht den leisesten Sinn, wenn dir von Kopf bis Fuß alles wehtut.” (Zitat S.8) Der 17-jährige Gideon hält sich meistens für einen Vollidioten. Er ist ein Spätzünder. Hatte noch nie eine Freundin. Hat wenig Selbstbewusstsein. Und bereits den 4.Therapeuten. Mit 14 Jahren hatte er seine erste Depression. Er denkt viel zu viel nach, ist ständig nervös und hat Panikattacken. Und er schreibt Gedichte, Poetry Slam. Aber am liebsten wäre er einfach gerne normal: “Ich verwende ziemlich viel Zeit auf den Versuch, nicht wie ein Vollidiot zu
klingen. So verläuft mein Leben — ich versuche, nicht wie ein Vollidiot zu klingen und dann überschlage ich mich mit meinen Bemühungen, jene Momente auszugleichen, in denen ich zweifellos wie ein Vollidiot rübergekommen bin” (Zitat S.22) Seit Kurzem arbeitet Gideon bei Magic Kebab, einem Imbiss, in dem auch Ava angestellt ist. Zunächst redet sie noch kaum mit ihm, doch als er eines Abends von ein paar afrikanischen Jungs aufgefordert wird spontan mit zu rappen und tatsächlich darauf einsteigt, sieht sie ihn plötzlich mit anderen Augen. Und da Gideon seit einiger Zeit kein Handy und kein Internet mehr benutzt, fangen die beiden an sich zu schreiben. Schlichte, altmodische Briefe. “Gideon wird immer nervös, wenn wir zusammen sind. Das gefällt mir an ihm. Normalerweise werden die Leute nie nervös, wenn sie mit mir zusammen sind. Ich werde nervös, wenn ich bei ihnen bin. Bei jedem, nur nicht bei Gideon. Vielleicht gibt es da so eine Art Quote an Nervosität, die zwischen zwei Leuten aufkommen kann, und weil Gideon allein die komplette Menge verbraucht, spüre ich nichts.” (Zitat S.70) Die beiden kommen sich näher und näher. Doch die Schatten der Vergangenheit sind immer noch allgegenwärtig…
Das Cover ist etwas unscheinbarer, doch beim näheren Hinsehen erkannt man die Raffinesse der Zeichnung, die nur aus einigen ununterbrochenen Linie zu bestehen scheint. Der Roman wird aus zwei sich abwechselnden Ich-Perspektiven erzählt und lässt beide Protagonisten zu Wort kommen. Neben Poetry Slam Texten werden auch ihre Briefe in einem unterschiedlichen Schriftbild — je nachdem von wem sie stammen — mit abgedruckt. Die Sprache ist zuweilen sehr kraftvoll und poetisch: “Er zieht die Hände aus den Taschen, sie flattern wild durch die Luft, als er spricht. Sie passen zu der Energie in seinen Worten, als wären sie Tänzer und die Worte die Musik dazu. Ich bin richtig fasziniert davon und hoffe, dass er weiterreden wird.” (Zitat S.74) Ich muss jedoch zugeben, dass mir die Hauptfiguren am Anfang tatsächlich eher unsympathisch gewesen sind. Ava, die eine zynische und vom Leben verbitterte Art hat und nur eine oberflächliche Beziehung mit Lincoln führt: “Willst du kiffen?”, fragt Lincoln. Ich schüttle den Kopf. Will ich nicht. “Willst du”, er zögert, sieht mich mit seinen großen, braunen Augen an und holt tief Luft, “vögeln?” (Zitat S.13) Und Gideon, der eine Szene schildert, in der er sich vor lauter Nervosität vor einem Vorstellungsgespräch in eine Toilette einschließt, beim Betrachten eines Plakates eine leichte Erektion erhält und sich allerlei konfuse Gedanken über all das macht. Ein Geflecht von
Erinnerungen an die Vergangenheit wird nach und nach in die Geschichte mit eingewoben und allmählich fängt man an mehr über die Hintergründe zu erfahren. Versteht die Protagonisten immer besser und beginnt Verständnis aufzubauen. Besonders Gefühle — vor allem die schmerzlichen — werden in “Du bringst mein Leben so schön durcheinander” sehr authentisch geschildert: “Eine Abrissbirne knallte gegen mein komplettes bisheriges Leben. Ich konnte mich nicht rühren. Konnte nicht wirklich hören, was er sagte. Nur mein Gehirn schwirrte, verflüssigte sich, tropfte hinab in mein Herz, machte es so schwer, dass es zerbrach.” (Zitat S.37) Und selbst wenn in dem Roman handlungsmäßig nicht sonderlich viel passiert, so sind es vor allem die vielen Emotionen, die einfach mitreißen. Gideon, der gerne normal wäre und sich unheimlich darin bemüht. Und Ava, die genau das Gegenteil empfindet: “Ich weiß nicht, was Du am Normalsein so attraktiv findest. Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns normal ist. Wir schlagen uns alle mit unserem Mist rum, aber wir alle versuchen, einander dazu zu überzeugen, dass wir normal sind. Ich finde das beschissen. Ich meine, es wäre viel besser, wenn wir alle ehrlich wären” (Zitat S.123) Am Ende zählen vor allem Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen. Aber auch der Mut aufeinander zu zugehen. Und die Tatsache, dass gerade Verletzungen und Schicksalsschläge zum Menschsein dazugehören und zur Entwicklung und zur Reife beitragen können. Das Empfinden von Schmerz und die gefühlten Risse im Inneren, das kann einem zwar niemand abnehmen, aber — so die positive Botschaft des Buches — kann man füreinander da sein, während Letztere langsam heilen. Das Ende ist fesselnd und anders als erwartet und dennoch passend.
Fazit: Ein richtig gutes Buch!
Die wohl inhaltlich beste Alternative zu “Du bringst mein Leben so schön durcheinander” ist für mich “Mein Herz in allen Einzelteilen” von Julie Buxbaum. Dieses schildert ebenso die zarte Annäherung zwischen zwei Außenseitern. Er hat das Asperger-Syndrom und sie kommt mit dem Tod ihres Vaters nicht klar. Äußerst gefühlvoll erzählt! Eine sehr behutsam erzählte Liebesgeschichte ist zudem “Eleanor & Park” von Rainbow Rowell. Eine sehr gute Alternative ist auch “Wenn du mich küsst” von Julia Stone, in dem vor allem die Verarbeitung schmerzlicher Gefühle sehr gut beschrieben wird.
Bibliografische Angaben:Verlag: Thienemann ISBN: 978-3-522-20257-2 Erscheinungsdatum: 11.Februar 2019 Einbandart: Hardcover Preis: 16,00€ Seitenzahl: 320 Übersetzer: Bettina Obrecht Originaltitel: "Beautiful Mess" Originalverlag: Text Publishing Australisches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)
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